Ausgabe 06 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag

 

Die gemeinsame Betroffenheit

ist verloren gegangen

Was bleibt von der selbstorganisierten Stadtteilarbeit in den Ostberliner Innenstadtbezirken?

Zu viele Autos belagern die schmalen Straßen, Kaffeehausbestuhlung fällt über das ohnehin knappe Trottoir her, Touristen strömen, Baustellen lärmen: Wer in der Spandauer Vorstadt Erholung von solcher Hektik sucht, den erwartet, nur einen Steinwurf vom Monbijoupark entfernt, eine versteckt gelegene Oase: Im Blockinneren zwischen Krausnick- und Oranienburger Straße öffnet sich der Krausnickpark all jenen, die über einen unauffälligen Zugang den Absprung von der Straße wagen.

Verschlungene Wege geleiten durch eine hügelige Landschaft, die vor allem ein Paradies für Kinder (und geplagte Eltern) ist. Hier ein windschiefes Hexenhäuschen, dort ein Piratenschiff mitsamt Schatzkiste, Hängematten baumeln, und hölzerne Liegen laden zum Sonnen ein.

Möglich gemacht haben dieses Refugium engagierte Anwohner. Sie sind es, die sich nun um die Pflege der Grünfläche kümmern und die mitbestimmt haben, unter welchen Bedingungen der öffentliche Blockinnenbereich genutzt werden darf: Nur bis abends um neun nämlich und ohne Zigarette im Mundwinkel. Ein Kompromiß also zwischen Anwohner- und öffentlichen Interessen, möglich gemacht durch ­ sicher nicht uneigennütziges ­ gemeinschaftliches Engagement im Kiez.

Weiter im Norden, an der Oderberger Straße, erstritten vor über zwanzig Jahren aktive Anwohner unter gänzlich anderen Bedingungen ein vergleichbares Vorhaben, den „Hirschhof". Sie kaperten die unterste Ebene des politischen Repräsentationssystems der DDR, den Wohnbezirksausschuß der Nationalen Front (WBA). Durchaus mit Unterstützung kommunaler Behörden und unter argwöhnischer Beobachtung der Stasi setzte der unterwanderte WBA eine Zusammenlegung und Begrünung mehrerer Hofgrundstücke durch. Der Hirschof wurde zu einem beliebten Treffpunkt der oppositionellen und alternativen Szene Ostberlins, und sein Zustandekommen Vorbild für einige weitere Bürgerinitiativen.

Was folgte, ist bekannt. Die DDR kollabierte und eröffnete dabei ungeahnte Freiräume zur gemeinschaftlichen Aneignung der Stadt: Häuser wurden besetzt, Veranstaltungsräume geschaffen, Straßenräume auf eigene Faust gestaltet und als Bühne für Straßenfeste genutzt. Dann rückte mit der BRD ein anderes staatliches System heran, das zwar mehr Vielfalt zuließ und größere Aushandlungsspielräume bot, doch übergab es einen großen Teil der Regulation an den kapitalistischen Markt.

„Wer es nicht gewohnt ist, Rechte einzufordern, zieht in dieser Welt schnell den Kürzeren"

Die Transformation zeigte sich zunächst noch als staatliche Veranstaltung. Gegen Restitution per „Rückgabe vor Entschädigung" und gegen die gesetzlich gesteuerte Erhöhung der Mieten wurde erneut ein WBA organisiert: „Wir Bleiben Alle" hieß es nun, um die Problematik der Verdrängung all jener Mieter zu thematisieren, die nicht über genügend Einkommen verfügten. Rabiate Methoden einiger Neueigentümer, die Mieter schnell loszuwerden versuchten, wurden ebenso skandalisiert wie angesichts der damaligen Wohnungsnot bestehende massive Leerstände. Dabei verband das WBA-Bündnis, auf bestehende Netzwerke in den Stadtteilen zurückgreifend, Engagierte aus verschiedensten sozialen Milieus.

Etwa zeitgleich zogen die Sanierungsexperten aus dem Westen über Ostberlin her. Im Gegensatz zu den Erfahrungen mit einer mehrheitlich an Abriß und Neubau orientierten Baupolitik in der DDR wurde deren Know-how in puncto behutsame Stadtsanierung zunächst als Bereicherung empfunden. Sie brachten das komplizierte Instrumentarium mit sich, das in Sanierungsgebieten Betroffenenvertretungen etwas Mitsprache einräumte und Rechte der Mieter gegenüber Hauseigentümern installierte. Doch wer es nicht gewohnt war, Rechte einzufordern und sie gegenüber professionell agierenden Eigentümern durchzusetzen, zog in dieser hoch formalisierten Welt der Auseinandersetzung schnell den Kürzeren.

Engagierte Kiezbewohner brachten sich nun in die Betroffenenvertretungen ein, wo Spielplätze, Verkehrsberuhigungen und Denkmalschutzbestimmungen diskutiert wurden. Hier konnten auch die Interessen von Stadtteilgruppen artikuliert und ­ im Falle günstiger Bedingungen ­ erfolgreich unterstützt werden. Günstig war es, wenn die Bezirkspolitik mitzog und Gelder zur Umsetzung von Forderungen bereitgestellt werden konnten.

Am Teutoburger Platz stritt die Anwohnerinitiative für eine Platzgestaltung, die die Interessen unterschiedlichster Kiezbewohner berücksichtigte. Niemand sollte ausgeschlossen werden. Auch die Kiezalkis nicht. Und so bietet sich heute bei gutem Wetter auf dem Platz ein enormes Treiben: Sonnenanbeter braten auf der Wiese, Dreikäsehochs versuchen auf Laufrädern die Schallmauer zu durchbrechen, Jugendliche spielen Basketball und Kinder am Brunnen, während die Älteren aus sonnengeschützten Sitzecken den Platz überblicken können. Mit etwas Glück wird Kuchen aus dem Platzhäuschen gereicht, das auch Austragungsort für Veranstaltungen und Partys ist. Die Anwohnerinitiative erhielt das Platzhaus zur freien Benutzung und verpflichtete sich im Gegenzug dazu, mittels mehrmals im Jahr stattfindender Arbeitseinsätze den Platz in Schuß zu halten.

„Heute können Immobilienunternehmen ihre Gewinne nur noch über Mietstegerungen realisieren"

Doch die im Kiez Aktiven mußten auch einige herbe Dämpfer erfahren. Matthias Bogisch, der seit 1990 in einem Hausprojekt in der Lottumstraße lebt, berichtet von einer weiteren Freifläche im Kiez, nahe der Torstraße, für die ebenfalls Gestaltungspläne nach Wünschen der Anwohner erstellt worden waren. Doch der damals zuständige Bezirksstadtrat Matthias Köhne habe das Ergebnis aufwendiger Arbeit übergangen und einen der üblichen Spielplätze bauen lassen. Der bleibt bis heute weitgehend ungenutzt. „Wer sowas ein paar Mal erlebt, agiert irgendwann mehr im eigenen Rahmen", beschreibt Bogisch den Rückzug einiger Engagierter aus einer Stadtteilarbeit, die von der Gunst der Bezirkspolitik abhängig ist.

Ein weiteres Ergebnis lokalen Engagements ist das seit Mitte der 90er jährlich stattfindende Fest am Teutoburger Platz, das in diesem Sommer zum ersten Mal ausfällt. Klaus Höpner aus der Christinenstraße, der stets bei der Organisation des Festes beteiligt war, führt dies auf zwei Gründe zurück. Zum einen sei man zunehmend pingeliger vom Ordnungsamt beäugt worden. So sei im letzten Jahr ein Bußgeldverfahren eingeleitet worden, weil ein Grillstand lediglich nach zwei statt nach drei Seiten hin geschlossen gewesen sei. Zum anderen sei der Kreis derjenigen, die sich bei der Organisation Arbeit aufhalsen wollten, geschrumpft und für die übrigen die Belastung zu hoch geworden.

Für den Politologen Matthias Bernt sind es im Wesentlichen drei Einflußfaktoren, die Stadtteilarbeit begünstigen: Die soziale Nähe im Kiez, politische Einwirkungsmöglichkeiten sowie ein klarer Gegenstand als Anlaß. In den 80er und frühen 90er Jahren seien die innerstädtischen Kieze Ostberlins zwar kulturell und altersmäßig sehr bunt gewesen, doch habe es eine ähnliche soziale Lage und eine gemeinsame Betroffenheit gegeben, die die Menschen zusammenführte. Die Bürgerinitiativen hätten institutionelle Möglichkeiten nutzen können, ihre Anliegen einzubringen. Mittlerweile werde die Veränderung im Stadtteil jedoch nicht mehr als staatliche Veranstaltung angesehen. „Wenn Entwicklungen als private Geschichten angesehen werden, klappt es nicht mehr, sie politisch zu fassen", so Bernt. Darüber hinaus sei die gemeinsame Betroffenheit verloren gegangen. Die soziale Lage in den verschiedenen Stadtteilen geht inzwischen weit auseinander.

„Die soziale Nähe im Kiez, politische Einwirkungsmöglichkeiten sowie ein klarer Gegenstand als Anlaß begünstigen Stadtteilarbeit"

Dabei dürfte sich der Druck auf Mieter wieder erhöhen. In den 90ern, als Hausmodernisierungen als steuerliche Abschreibungsprojekte funktionierten, konnten viele Mieter noch günstigere Verträge aushandeln ­ denn höchste Mieten zu erzielen, war für den Profit nicht unbedingt nötig. Wenn heute Mietshäuser von professionellen Immobilienunternehmen aufgekauft werden, können sie ihren Gewinn nur noch über Mietsteigerungen realisieren. Mietobergrenzen waren schon vor Jahren gerichtlich gekippt worden, der Mietspiegel als wesentlicher rechtlicher Anhaltspunkt steigt kontinuierlich.

Könnte eine aktive Stadtteilarbeit in Zukunft also wieder an Bedeutung zunehmen? Und zwar nicht nur, um an der Gestaltung von Stadträumen im Kiez teilzuhaben, sondern auch die soziale Zusammensetzung zu schützen und insbesondere die finanziell Schwächsten vor der Verdrängung aus dem Kiez? Wenn Nähe und Vernetzung zentrale Voraussetzungen für die Artikulation gemeinsamer Interessen sind, stellt sich die Frage, wie sie heute, unter anderen Bedingungen wie jenen der Wendezeit, hergestellt werden können.

Am Teutoburger Platz haben einige Engagierte auf die schwindende Beteiligung an der Anwohnerinitiative reagiert. Ein neuer Verein „Leute am Teute" wurde gegründet, der die Pflege des Platzes übernimmt. Die Vernetzung findet auch im Internet statt: Dort wurde ein Blog eingerichtet, über das Termine, Aktivitäten und Probleme bekannt gegeben und diskutiert werden. Es ist zu hoffen, daß die Bespielung des Platzhauses und die Präsenz der Aktiven im Kiez ein Entschwinden der Kommunikation in die Weiten des Internets verhindern wird. 

Michael Philips/Tobias Höpner

 
 
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