Ausgabe 06 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag

 

Das dicke Ende kommt noch ...

Das Scheitern der „behutsamen Stadterneuerung" bedeutet auch neue Chancen für Mieterkämpfe

Der Spielfilm Sommer vorm Balkon von Andreas Dresen war letztes Jahr zumindest in Berlin ein Kinohit. In der ersten Woche waren selbst die 18-Uhr-Vorstellungen ausverkauft. Der Reiz des Filmes bestand nicht nur im alltagsnahen Format der Geschichte und den sorgsam ausgearbeiteten Charakteren, sondern auch in den stimmig dargestellten und ausgesuchten Drehorten: dem Prenzlauer-Berg-Effekt. Ob Neu-, Alt-, oder Besuchsberliner, die meisten Einstellungen lösten einen Wiedererkennungseffekt aus. Das angesagte Café mit den schaufenstergroßen Scheiben, das Graffito an der Wand, die schönen, geschäftigen und jungen Menschen, der Punk mit den großen Hunden, die teuren Autos mit den auswärtigen Kennzeichen, die Plakate, die für die angesagten Clubs der Stadt werben ...

Die Bilder des Films suggerierten im Gleichklang mit dem Feuilleton: Hier brodelt das Leben, hier schlägt das Herz der Stadt, hier bekommt der Alltag den Kick zum Besonderen. Die Geschichte spielt am Helmholtzplatz in Prenzlauer Berg ­ vielleicht der Ort, an dem sich die Konflikte um Aufwertung, Verdrängung und Definitionsmacht im Zuge der Ostberliner Sanierungsarbeiten in den letzten Jahre am stärksten verdichteten. Traditionell mit dem Image des Schmuddelkiezes verbunden, hielt die gründerzeitlich bebaute Umgebung des Helmholtzplatzes trotz intensiver Modernisierungstätigkeit lange Zeit dem Druck der symbolischen Aufwertung stand, und die Nachbarschaft war anders als beispielsweise am Kollwitzplatz noch bis Ende der 90er Jahre proletarisch und subkulturell geprägt. Der Film dokumentiert Momente des Übergangs: In einer Sequenz werden in kurzen Schnitten ein Mann im Anzug auf dem Fahrrad, eine modebewußte junge Mutter mit Kinderwagen und ein an die Hauswand pinkelnder Punk mit Hund gezeigt. Die nächtlichen Balkonszenen ziehen die Zuschauer in eine akustische Konkurrenz von brüllenden „Alkis" und murmelndem Kneipenlärm hinein. Beim Blick über die Dächer fallen die vielen luxuriös gestalteten Dachgeschoßausbauten auf, die im krassen Gegensatz zu den unsanierten, ofenbeheizten Wohnungen der beiden Hauptheldinnen stehen. Es wird ein Bild der Gegensätze gezeichnet und auch eines von Veränderungen. Die letzte Einstellung zeigt das Haus des Films ein letztes Mal ­ eingekleidet in ein Baugerüst, leergezogen zur Sanierung. Das improvisierte Überlebensarrangement der lebensfrohen, aber nicht sonderlich erfolgreichen Frauen verliert sein räumliches Korsett. Wie das Leben der beiden weitergeht, bleibt offen. Auf jeden Fall ist die schöne Zeit des Sommers zu Ende.

„Die Stadterneuerungspolitik stellt die Existenzfrage für Tausende Bewohner"

Die Stadterneuerungspolitik der letzten 15 Jahre jedoch stellte die Existenzfrage für Tausende Bewohner auch im wirklichen Leben. Trotz des in den Leitlinien zur Sanierung festgeschriebenen Ziels eines „Erhalts der Sozialstruktur" hat die Stadterneuerung einen drastischen Wandel der Bevölkerung ausgelöst. Die statistischen Daten sprechen eine deutliche Sprache: Die Haushaltsstrukturen haben sich deutlich verschoben ­ etwa 60 Prozent aller Haushalte in den Sanierungsgebieten sind inzwischen Singles. Dieser Wert liegt über dem Berliner Durchschnitt und bedeutet einen Anstieg um etwa 15 Prozentpunkte seit Anfang der 90er Jahre. Die Altersstruktur im Bezirk hat sich von einer relativ heterogenen Zusammensetzung zu einer Monostruktur der 25- bis 45jährigen verändert. Vor allem die Zahl der Alten und der Kinder ist drastisch zurückgegangen. Der vielzitierte Baby-Boom von Prenzlauer Berg ist letztlich die Folge dieser Entwicklungen. Die Anzahl der geborenen Kinder pro Frau im gebärfähigen Alter ist sogar unter dem Berliner Durchschnitt. Hinsichtlich der Bildungsstandards sprechen Soziologen von einem bildungsstrukturellen Statussprung in den Gebieten: Sowohl die Anzahl der Personen mit höheren Schulabschlüssen als auch mit Hochschulabschlüssen hat sich in den vergangen 15 Jahren mehr als verdoppelt. Und auch hinsichtlich der Einkommen ist ein Anstieg von deutlich unterdurchschnittlichen Werten auf ein Niveau leicht über dem Ostberliner Durchschnitt festzustellen.

All diese Veränderungen ­ so belegen es verschiedenen Studien ­ sind nicht auf biografische Entwicklungen zurückzuführen, sondern Folge von sozial selektiven Wanderungsbewegungen. Unabhängig von der in Innenstädten typischen Fluktuation sind vor allem die Modernisierungsarbeiten als wahre Mobilitätsschleudern zu bezeichnen ­ die Umzugsdynamik in Modernisierungshäusern ist viermal so hoch wie im Gebietsdurchschnitt.

Die Modernisierungsverfahren in den Ostberliner Sanierungsgebieten lassen sich grob in drei Phasen einteilen: eine Förderphase bis etwa 1995, die von geförderten Sanierungsarbeiten vor allem im Programm „Soziale Stadterneuerung" geprägt waren. Damals kehrten etwa 60 Prozent aller Bewohner nach der Modernisierung in ihre Wohnungen zurück. Dieser Altmieteranteil verringerte sich in einer zweiten, von Steuerabschreibungsbedingungen und Mietobergrenzen geprägten Phase bis zum Jahr 2000 auf etwa 40 Prozent. In der aktuellen, von Umwandlungen in Eigentumswohnungen bestimmten Phase ist dieser Anteil auf 25 Prozent gesunken ­ aus der Perspektive der sozialen Sanierungsziele eine Bankrotterklärung.

Sanierungsbeauftragte, die Senatsverwaltung, aber auch Wissenschaftler haben in Diskussionen um die Stadterneuerungspolitik vor allem in Prenzlauer Berg eine Verdrängung und Gentrifizierung lange bestritten. Auch wenn die Zeichen der Aufwertung eindeutig schienen ­ so wurde den Kritikern entgegengehalten ­, gäbe es doch keine für solche Prozesse typischen Verdrängungseffekte. Und diese sind auf der individuellen Ebene tatsächlich nur schwer zu ermitteln, weil sie eigentlich eine Befragung der Fortgezogenen voraussetzt. Peter Marcuse, ein Stadtforscher aus New York, hat dagegen den Begriff der indirekten Verdrängung geprägt und damit auf Veränderungsprozesse hingewiesen, bei denen nach einem Auszug eines sozial schwächeren Haushalts Modernisierungsarbeiten und Preissteigerungen realisiert werden, die den Einzug eines sozial vergleichbaren Haushalts dauerhaft verhindern. Und genau diesen Prozeß haben die Sanierungsgebiete in Mitte und Prenzlauer Berg in den letzten Jahren durchlaufen.

„Die Notwendigkeit für einen regulierenden Eingriff in das Sanierungsgeschehen war noch nie so groß wie heute"

Die Gründe dafür liegen neben der Ökonomie der Sanierung vor allem in dem schrittweisen Rückzug sanierungsrechtlicher Instrumente aus den Modernisierungsverfahren. Statt auf Fördermittel und Mietobergrenzen müssen die Sanierungsverwaltungsstellen bei Modernisierungsanträgen heute vor allem auf die Einsicht der Investoren hoffen und versuchen, mit diesen städtebauliche Verträge abzuschließen. Ohne finanzielle Anreize und ohne rechtliche Sanktionen jedoch sind die Erfolgsaussichten dieser Steuerungsversuche überschaubar. Besonders problematisch ist dies für die noch etwa 25 bis 30 Prozent unsanierter Wohnungen in den Gebieten. Hier konzentrieren sich all jene, die vor den bisherigen Sanierungsarbeiten und den steigenden Mieten Zuflucht in den schlecht ausgestatteten, aber noch preiswerten Wohnungen gesucht haben. Im Verlauf des Sanierungsprozesses ist die Einkommensdifferenz zwischen den Bewohnern der sanierten und unsanierten Bestände deutlich angestiegen und beträgt aktuell etwa 820 Euro. Dieses Geld fehlt den Haushalten in den unsanierten Restbeständen für die Finanzierung einer modernisierten Wohnung. Ihnen gegenüber stehen nun ausgerechnet solche Eigentümerstrategien, die auf eine umfassende Sanierung und die schnelle Umwandlung der Miet- in Eigentumswohnungen setzen. Für Bedarfsgemeinschaften des ALG II, die sich an den festgelegten Grenzen der Angemessenheit orientieren müssen, sind sanierte Wohnungen in den Sanierungsbieten schon jetzt meist zu teuer. Die Notwendigkeit für einen regulierenden Eingriff in das Sanierungsgeschehen war noch nie so groß wie heute ­ zugleich waren die Instrumente der Sanierungsträger und Verwaltungen noch nie so stumpf. Die Stadterneuerung hinterläßt uns mit den bereits beschlossenen Aufhebungen der Sanierungsgebiete jede Menge sozialen und wohnungspolitischen Sprengstoff. Als „Behutsame Stadterneuerung" mit den Idealen der baulich schrittweisen, sozial erhaltenden und planerisch auf Beteiligung setzenden Sanierung angetreten, bleibt nun der klassische Konflikt um die steigenden Kosten von aufwendig sanierten Wohnungen. Ganz wie es die Handbücher der kapitalistischen Wohnungspolitik beschreiben ­ die Armen wohnen in den schlechten Wohnungen, und nur wer es sich leisten kann, findet Zugang zu den besseren Wohnungen.

Doch in diesem Versagen der Sanierungspolitik liegt auch eine Chance. Statt der moderierten und konsensorientierten Verfahren zum Abschluß von Modernisierungsvereinbarungen müssen und können sich die Bewohner nun wieder stärker auf die traditionellen Strategien des Mieterkampfes einlassen. Hausversammlungen, mietrechtliche Beratungen und verweigerte Zustimmung zu den Modernisierungsankündigungen können den Prozeß der Verdrängung aufhalten. Mit den Anlaufstellen der Mieterorganisationen und auch den Büros der Betroffenenvertretungen gibt es in fast allen Gebieten Unterstützung für solche Auseinandersetzungen. Der Kampf gegen die Verdrängung wird ohne jeden Zweifel in eine nächste Runde gehen.

Andrej Holm

 
 
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