Ausgabe 05 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Na denn: Prost!

Endlich ist der Sommer da. Ein ganzes Jahr haben wir auf ihn gewartet. Nun können wir wieder raus aus unseren Buden und draußen trinken. Ähh feiern. Nicht, wie sonst, Straßen und Plätze schnellstmöglich durchqueren, um ans Ziel zu gelangen, sondern den öffentlichen Raum gemeinsam belegen. Vom Balkon runterkommen und sich verabreden zu diesem oder jenem Fest, dort Bands hören, Krams kaufen, gucken, wer sonst noch rumläuft, gemeinsam Bier trinken. Und für jeden Geschmack hat Berlin ein Fest zu bieten.

Der 1. Mai läutete die Saison der politischen Straßenfeste ein. Wer im Vorlauf der G8-Proteste heftige Straßenschlachten erwartete, war enttäuscht. Auch dieses Jahr wurde das Parkverbot durchgesetzt, denn es hat sich herumgesprochen: Wo keine Autos stehen, können auch keine angezündet werden. Und zu anderweitiger Randale hatte wohl keiner Lust. So verdunkelte nur der Rauch der unzähligen Grillstände die Sonne und vermittelte in Kreuzberg 36 eine Ahnung von brennender Luft. Die neuen Ich-AGs wissen, was Laune verbreitet und sich rentiert, sie verkaufen gekühltes Becks für einsfünfzig.

Auf Berlins traditionellen Dorffesten ist der Ausschank fest in professioneller Hand. Ansonsten präsentieren sich die Kieze recht unterschiedlich. Das Britzer Baumblütenfest versprüht ein ganz anderes Flair als das Fest am Helmholtzplatz. Und schon mal auf dem Turmstraßenfest gewesen? Ui, da freut sich das soziologische Auge. Ja, wir leben in dieser Stadt in Parallelgesellschaften. Die Grenzen verlaufen nicht zwischen den Herkunftsländern.

Mit Ausländern haben wir eh keine Probleme mehr. Gastfreundschaft ist schon eine einjährige deutsche Tradition. Zum DFB-Pokal-Finale wurde die Fanmeile wiederbelebt. Die Schausteller hat es gefreut. Ich bin mir gar nicht sicher, ob sie noch ein Zuhause haben. Ständig stehen sie am Brandenburger Tor parat. Wir waren ganz freundlich zu den Schwaben und Franken, die da ihre Mannschaften anfeuerten. Auch wenn wir kein Wort verstanden haben. Aber mal im Ernst: Mit dem Karneval der Kulturen haben wir wieder bewiesen, daß wir unsere Ausländer mögen, jedes Jahr Ende Mai kriegen sie ihren eigenen Umzug. Die bunten Paraden marschieren, und die Ausländer werden nicht geklatscht, sondern von den deutschen Massen bejubelt. Im Juni dürfen dann die Homos auf die Straße. Die Heten sind zum CSD auch willkommen. So sind wir in Berlin: durch und durch tolerant. Nur die Raver mögen wir nicht mehr. Ich weiß auch nicht, wieso. Zumindest gibt es diesen Juli keine Love Parade. Vielleicht wird da einfach zu viel getickt statt getrunken.

Über die Getränkeeinnahmen finanzieren sich die meisten Feste. Nur unseren alten Alliierten reicht das nicht. Sie verlangen noch Eintritt, um sich auf Riesenrad und Rummel des Deutsch-Französischen oder -Amerikanischen Volksfestes zu vergnügen. Als Freundschaftsbeweis an unsere Retter darf das mal sein. Und mit jedem Bier wird das Fest erträglicher.

Als wären wir Berliner nicht schon internationalistisch mit unseren Feiern ausgelegt, mischen noch die Ministerien mit. Sollen sie. Schließlich sind sie in die Party-Stadt gezogen, da können sie auch ihren Beitrag leisten. Z.B. mit dem „One-World-Village": „Wir wollen dort Entwicklungspolitik zum Anfassen präsentieren, verständlich und unterhaltsam", sagt Heidemarie Wieczorek-Zeul. Hm, okay. Gibt es da auch Bier? Ach ne, muß ja nicht, die Finanzierung ist ja gesichert.

Den Reibach machen klassische Bierfeste. Der durchschnittliche Berliner ist ein fröhlicher Biertrinker. Auf dem Karneval der Kulturen wird mehr Bier konsumiert als Caipi, auf dem Poesiefestival mehr als Rotwein. Das Berliner Oktoberfest am Kurt-Schumacher-Damm findet zum 57. Mal statt, trotzdem schießen weitere Oktoberfeste in Berlin wie Pilze aus dem Boden. Auf dem Internationalen Berliner Bierfestival trinken wir auf 2,2 Kilometern Sorten aus 80 Ländern. Hier können wir Live-Musik hören, uns für ausländische Besonderheiten tolerant bis offen geben ­ ohne mit ihnen reden zu müssen. Und vor allem können wir eines: in Gesellschaft Bier trinken.

Schön, daß das Fête de la Musique weiterhin ohne Eintritt oder überhöhte Schankpreise auskommt. 500 Musiker aus aller Welt, DJs und Ensembles verschiedener Stilrichtungen unterhalten ohne Gage die Berliner auf 60 Bühnen.

Sonja John


scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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