Ausgabe 05 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Tür zu!

Regierungen beglücken das Volk nicht

Noch bevor die Amerikaner sich eine Verfassung gaben, schrieb Thomas Jefferson in die Unabhängigkeitserklärung, daß die Amerikaner es für selbstverständliche Wahrheiten halten, daß alle Menschen gleich geschaffen und mit gottgegebenen, unveräußerlichen Rechten ausgestattet sind, zu denen das Recht auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück zählen. Intendiert war die Verwirklichung der beiden Ur-Utopien der Menschheit: der ethische Traum vom gerechten Staat und der hedonistische vom Schlaraffenland. Der Erklärung lag die politische Philosophie zugrunde, zentrale Aufgabe der Regierungen sei, die Sicherheit und das Glück des Volkes zu gewährleisten. Klargestellt sei: Die Phrase „the pursuit of happiness" stammt aus der Unabhängigkeitserklärung und wurde in die Verfassung mancher US-Bundesstaaten aufgenommen, nicht aber in die Verfassung der gesamten Vereingten Staaten.

Verfassungen regeln die Rechte der Bürger gegenüber dem Staat und verpflichten den Staat zum Handeln und Unterlassen. Was soll das „Streben nach Glück" dort bewirken in Zeiten, in denen sich das Volk nicht mehr von Monarchen, Klerikern und Adel emanzipieren muß? Daß der Staat es unterläßt, die Bürger daran zu hindern, nach Glück zu streben? Soll der Staat verpflichtet werden, seine Bürger glücklich zu machen? Bitte nicht.

Denn Glück ist keine objektive Tatsache, sondern subjektives Erleben. Es ist sowohl ein Gefühl als auch ein Zustand, den man während einer kurzen Zeitdauer empfinden kann (pleasure), bspw. beim Sex oder gutem Essen, oder auch dauerhaft (happiness), wenn man mit dem Leben rundum zufrieden ist. Eingefordert wurde das „Streben nach Glück" u.a. 1967, als das oberste amerikanische Bundesgericht das Recht, nach persönlichem Glück zu streben, über das damalig geltende Recht in Virginia stellte, nur einmal heiraten zu dürfen.

Der politische Journalist David Brooks widmete seine Abhandlung On Paradise Drive der Vision von Amerikanern, die sie antreibt, sich stets zu verbessern. Mit dem Konsum vergewissern sie sich ihrer Existenz. Unannehmlichkeiten in der Gegenwart hielten sie aus, weil sie stets in der Zukunft leben. Dort wartet das Glück, das Paradies. Das Streben nach Glück steht sowohl im Zentrum des mythologischen Ideenhaushalts wie in jenem des „amerikanischen Traums". Ein Traum sei deshalb so wichtig, meint der Politologe Jeremy Rifkin, weil man sich sonst immer auf Ideen anderer bezieht.

Manche Menschen glauben ebenso wenig an die Illusion einer Menschengemeinschaft wie an das Glück als Lebensziel. Das Streben nach Glück erscheint als angenehmer Geschmack, aber nicht als etwas, was man tatsächlich verfolgen kann. Robert Louis Stevenson lobt in seinem Essay An Apology for Idlers die Faulheit und den Müßiggang. Diese müßigen Menschen werden in einem europäischen Wohlfahrtsstaat glücklicher als mit der amerikanischen Freiheit, sich selbst zu bemühen.

In Deutschland gab es im 18. Jh. kaum Betrachtungen über die amerikanische Unabhängigkeitserklärung. Staatsrechtler diskutieren darüber, ob Menschenrechte unter dem Gesichtspunkt des Rechts subjektiver oder objektiver Natur seien und ob sie den Staat in seinen souveränen Handlungen beschränken könnten. Doch zur gleichen Zeit hatten Millionen von Deutschen erheblich andere Vorstellungen von der Freiheit des Einzelnen. Insbesondere nach der fehlgeschlagenen Revolution von 1848 und der Gründung des Deutschen Reichs von 1871 gab es kaum Raum für eine wirkliche Auseinandersetzung mit den amerikanischen Idealen.

Was es in Deutschland mittlerweile gab, war eine Debatte über die unglückliche Architektur des Reichstagsgebäudes. Staatsrechtler Emanuel Schiffgens wies auf die Verletzung des vedischen Baukodex hin, die dieser Bau aufweise und die Erfolglosigkeit von Regierung und Parlament bedinge. Für Glück und Wohlstand der Bevölkerung sind nach Maharishi Sthapatya Veda Regierungs- und Parlamentsgebäude mit exaktem Osteingang ohne West- und Südeingänge erforderlich. „Wenn diese Unglück bringenden Türen nicht geschlossen werden, wird der Bundestag auch in Zukunft immer von Streit und Negativität beherrscht werden", sagt Schiffgens, „denn die Architektur des Reichstags stellt eine grobe Verletzung der Verfassung des Universums dar." Eingänge, die nach Osten weisen, brächten Glück und Wohlstand.

Also: Schluß mit der westlichen Idee des Rechts auf Streben nach Glück. Die Sache wäre einfach erledigt, würde sich der Bundestag nach Osten öffnen.

Sonja John

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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