Ausgabe 05 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Der Inbegriff von Freiheit

Mein Traumberuf als Streckenläufers

Kosmonaut werden oder zur Eisenbahn gehen ­ in der Wuhlheide lagen für mich beide Kindheitsträume nah beieinander. Nur schienen die Sterne greifbarer zu sein als die Schiene. Das Kosmonautenzentrum mit Sojuskapsel und Schwindeltraining bekam ich bei jedem meiner Besuche im Pionierpalast von innen zu sehen. Eine Fahrt in der tollen Pioniereisenbahn mit ihren orange-weißen Waggons und der blauen Diesellok blieb mir dagegen lange Jahre verwehrt.

Mein ständiges Quengeln war vergebens. Meinen Eltern fehlte einfach die Lust, ewig auf den schlichten Bahnsteigen herumzustehen, um dann eine Runde um den Pionierpark kutschiert zu werden. „Die fährt heute nicht", lautete ihre klassische Ausrede. Wenn sie aber fuhr, dann direkt an uns vorbei.

Das war immer ein tolles Erlebnis. Wenn sich die Schranken hinter dem Haltepunkt Badesee schlossen, postierten sich zusätzlich zwei Kinder in blauen Uniformen und mit roten Halstüchern am Bahnübergang. Mit rot-weißen Fahnen und viel Souveränität hielten sie mich und die anderen staunenden Münder von den Schranken fern. Sobald der Zug heran rollte, salutierten sie der jaulenden Diesellok mit dem Pioniergruß.

Ich wollte auch zur Pioniereisenbahn. Die Pioniereisenbahn war die Kaderschmiede der Deutschen Reichsbahn. An jedem Bahnhof informierten Plakate über die Karrieremöglichkeiten bei der AG Junge Eisenbahner. Man konnte Fahrdienstleiter oder Schaffner werden und ab 16 sogar Lokführer. So hohe Ziele hatte ich gar nicht. Ich wollte Streckenläufer werden, mit einer Warnweste zwischen den schmalen Schienen von Bohle zu Bohle hopsen und hin und wieder mit einer Stange gegen die Schienen hauen. Das ging schon ab acht und war für mich der Inbegriff von Freiheit.

Meine erste Runde mit der Bahn drehte ich heimlich. Ich stieg in den Herbstferien 1987 auf mein Klapprad, fuhr zum Pionierpark und kaufte mir eine Fahrkarte. Ein Traum wurde wahr, der andere zerplatzte kurz darauf. Nach der Fahrt nahm ich all meinen Mut zusammen und fragte einen jungen Eisenbahner, ob ich nicht auch mitmachen könnte, als Strekkenläufer natürlich. Der blonde Junge war etwa zwei Jahre älter als ich und trug sein dunkelblaues Käppi leicht schräg und voll lässig auf dem Kopf. Hinterm Fahrkartenschalter gackerten zwei Mädchen über ihn. „Kannste vergessen!", raunte er. „Voll die langen Wartelisten, haste eh keene Chance." Das waren harte Worte.

Ich fühlte mich gedemütigt. Schließlich kannte ich alle Lokomotivbaureihen, alle Schilder und Signale. Aus der Eisenbahnerkarriere wurde nichts mehr. Der Zug war abgefahren. Ein vielleicht dreizehnjähriger Piefke hatte ihm grünes Licht gegeben. Die Strecke lief ich trotzdem gelegentlich ab. Das ging auch ohne orange Weste.

Nach der Wende wurde aus dem Pionierpark das FEZ. Die Pioniereisenbahn überlebte als Berliner Parkeisenbahn. Aus der Arbeitsgemeinschaft wurde eine gGmbH. Das ohnehin schon große Streckennetz wurde erweitert. Seit Mitte der Neunziger kann man schon am S-Bahnhof Wuhlheide von 1435 auf 600 Millimeter Spurweite umsteigen. Sonst schien alles beim Alten geblieben zu sein. Jetzt kämpft die Schmalspurbahn in Oberschöneweide ums Überleben.

Die Schlagzeile am 21. April war ein Schock. „Brandstiftung bei der Parkeisenbahn". Wie kann jemand meinen Kindheitstraum zerstören? Ein Teil des Fuhrparks ist nach dem Brand völlig zerstört. Der Schaden wird mit etwa einer halben Million Euro bemessen. Was tun? Auf der Website der Parkeisenbahn gibt es eine umfangreiche Liste mit Spendenkonten und Vorschlägen für Materialspenden. Ich habe mich für die einfachste und effektivste Möglichkeit entschieden. Ich werde mir eine Fahrkarte für die Mondscheinfahrt der Parkeisenbahn am 9. Juni kaufen und nachts durch die Wuhlheide zuckeln. 

Jens Steiner

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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