Nebensächlichkeiten wie ein guter Kaffee
Glücklich sein kann jeder unglücklich sein auch
Alle wollen Glück haben, aber kaum einer ist glücklich. Und jeder versteht etwas anderes darunter.
In der deutschen Sprache hat Glück verschiedene
Bedeutungen. Einerseits ein unverhofftes positives Erlebnis oder das
Ausbleiben eines negativen Ereignisses („Glück haben"),
andererseits ein Wohlgefühl („glücklich sein").
Sogenannte Glücksforscher sprechen daher lieber von subjektivem
Wohlbefinden. Aber auch das wird jeder anders definieren.
Ein Standardbeispiel für Glück ist der
Lottogewinn. Aber macht Geld wirklich glücklich? Befragungen von
Menschen nach einem einschneidenden positiven oder einem negativen
Erlebnis wie etwa einem Unfall mit anschließender
Querschnittslähmung haben ergeben, daß das
persönliche Glücksempfinden ein Jahr nach dem Ereignis bei
den meisten so war wie davor. Man kann sich eben auch als
Millionär den ganzen Tag über eine Belanglosigkeit
ärgern. Oder sich als Sozialhilfeempfänger an der
Frühlingssonne erfreuen. Beim Lottogewinn kommt dazu, daß er
eine große Erwartungshaltung erzeugt und viele aus der gewohnten
Lebensbahn wirft. Entscheidend ist also die individuelle Einstellung.
Auch das Erreichen von lang ersehnten Zielen macht nicht unbedingt
glücklich, schon gar nicht, wenn diese im Erwerb materieller
Güter liegen. Das heißt aber nicht, daß Menschen, die
sich nichts aus Geld und Konsum machen, glücklicher sind. Im
Grunde sind sowieso alle mehr oder weniger unglücklich. Zumindest
in den Industriestaaten.
Das scheinen jedenfalls diverse internationale
Vergleichsstudien zu belegen, in denen Länder wie die USA oder
Deutschland meist auf den hinteren Plätzen anzutreffen sind,
während das bürgerkriegsgeplagte Kolumbien oder das
bettelarme Bangladesh an der Spitze liegen. Letzteres belegte in einer
UN-Studie vor einigen Jahren gar den ersten Platz. Das beweist,
daß Glück eine Frage der Definition ist. Man kann eben
glücklich sein, weil man nicht krank ist, weil die Unterkunft aus
Wellblech die letzte Überschwemmung einigermaßen unbeschadet
überstanden hat und weil genug zu essen für die nächsten
Tage da ist. Während viele in den reichen Nationen sozial
verelenden und ihren Wohlstandsfrust pflegen. Eine solche Deutung kommt
jedoch in gefährliche Nähe zur These vom einfachen, aber
glücklichen Wilden. Solche vergleichenden Untersuchungen belegen
vor allem, daß Studien dieser Art an sich fragwürdig sind.
Das hätte man auch vorher wissen können.
Physiologisch wird Glücksempfinden durch die
Ausschüttung der Neurotransmitter Serotonin und Dopamin
ausgelöst. Diese erfolgt bei der Nahrungsaufnahme insbesondere von
Kohlenhydraten, weshalb Schokolade zurecht eine Glücksgefühle
erzeugende Wirkung nachgesagt wird. Aber auch Sex, intensiver Sport und
Drogen setzen Glückshormone frei. Deshalb ist jeder Mensch
potentiell süchtig. Nicht zu vernachlässigen sind
vermeintliche Nebensächlichkeiten wie ein guter Kaffee, also das
kleine Glück im Alltag, das das Lebensgefühl mehr prägen
kann als scheinbar wichtige Sachen. Bei vielen kann auch Musik tiefe
Emotionen hervorrufen.
Vielleicht ist das Streben nach Glück an sich
verfehlt. Schließlich bietet die Melancholie mindestens genauso
intensive Empfindungen. Und große künstlerische Werke werden
in der Regel von traurigen, wenn nicht verzweifelten Menschen
geschaffen.
Frank Fitzner