Ausgabe 05 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Nebensächlichkeiten wie ein guter Kaffee

Glücklich sein kann jeder ­ unglücklich sein auch

Alle wollen Glück haben, aber kaum einer ist glücklich. Und jeder versteht etwas anderes darunter.

In der deutschen Sprache hat Glück verschiedene Bedeutungen. Einerseits ein unverhofftes positives Erlebnis oder das Ausbleiben eines negativen Ereignisses („Glück haben"), andererseits ein Wohlgefühl („glücklich sein"). Sogenannte Glücksforscher sprechen daher lieber von subjektivem Wohlbefinden. Aber auch das wird jeder anders definieren.

Ein Standardbeispiel für Glück ist der Lottogewinn. Aber macht Geld wirklich glücklich? Befragungen von Menschen nach einem einschneidenden positiven oder einem negativen Erlebnis ­ wie etwa einem Unfall mit anschließender Querschnittslähmung ­ haben ergeben, daß das persönliche Glücksempfinden ein Jahr nach dem Ereignis bei den meisten so war wie davor. Man kann sich eben auch als Millionär den ganzen Tag über eine Belanglosigkeit ärgern. Oder sich als Sozialhilfeempfänger an der Frühlingssonne erfreuen. Beim Lottogewinn kommt dazu, daß er eine große Erwartungshaltung erzeugt und viele aus der gewohnten Lebensbahn wirft. Entscheidend ist also die individuelle Einstellung. Auch das Erreichen von lang ersehnten Zielen macht nicht unbedingt glücklich, schon gar nicht, wenn diese im Erwerb materieller Güter liegen. Das heißt aber nicht, daß Menschen, die sich nichts aus Geld und Konsum machen, glücklicher sind. Im Grunde sind sowieso alle mehr oder weniger unglücklich. Zumindest in den Industriestaaten.

Das scheinen jedenfalls diverse internationale Vergleichsstudien zu belegen, in denen Länder wie die USA oder Deutschland meist auf den hinteren Plätzen anzutreffen sind, während das bürgerkriegsgeplagte Kolumbien oder das bettelarme Bangladesh an der Spitze liegen. Letzteres belegte in einer UN-Studie vor einigen Jahren gar den ersten Platz. Das beweist, daß Glück eine Frage der Definition ist. Man kann eben glücklich sein, weil man nicht krank ist, weil die Unterkunft aus Wellblech die letzte Überschwemmung einigermaßen unbeschadet überstanden hat und weil genug zu essen für die nächsten Tage da ist. Während viele in den reichen Nationen sozial verelenden und ihren Wohlstandsfrust pflegen. Eine solche Deutung kommt jedoch in gefährliche Nähe zur These vom einfachen, aber glücklichen Wilden. Solche vergleichenden Untersuchungen belegen vor allem, daß Studien dieser Art an sich fragwürdig sind. Das hätte man auch vorher wissen können.

Physiologisch wird Glücksempfinden durch die Ausschüttung der Neurotransmitter Serotonin und Dopamin ausgelöst. Diese erfolgt bei der Nahrungsaufnahme insbesondere von Kohlenhydraten, weshalb Schokolade zurecht eine Glücksgefühle erzeugende Wirkung nachgesagt wird. Aber auch Sex, intensiver Sport und Drogen setzen Glückshormone frei. Deshalb ist jeder Mensch potentiell süchtig. Nicht zu vernachlässigen sind vermeintliche Nebensächlichkeiten wie ein guter Kaffee, also das kleine Glück im Alltag, das das Lebensgefühl mehr prägen kann als scheinbar wichtige Sachen. Bei vielen kann auch Musik tiefe Emotionen hervorrufen.

Vielleicht ist das Streben nach Glück an sich verfehlt. Schließlich bietet die Melancholie mindestens genauso intensive Empfindungen. Und große künstlerische Werke werden in der Regel von traurigen, wenn nicht verzweifelten Menschen geschaffen. 

Frank Fitzner

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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