Ausgabe 05 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Party machen, bis die Polizei kommt

Die Hedonistische Internationale will mit Spaß zur Politik animieren

Auch linke Politik braucht eine gewisse kulturelle Attraktivität, weil sie sonst keinen anspricht. Eigentlich eine recht alte Weisheit. Aber auch die kann man so richtig auf die Spitze treiben. Das zeigt die im Frühjahr dieses Jahres gegründete Hedonistische Internationale. Von öffentlichen Spontanpartys bis zu Nacktdemonstrationen gehört so ziemlich alles zu ihrem Repertoire, was provokant oder spaßig wirkt.

„Die Hedonistische Internationale ist dabei weniger eine Organisation, als vielmehr eine Idee", meint Monty Cantsin, ein Sprecher dieser „Idee". Er verbindet mit dem Streben nach Freude und Genuß ein politisches Anliegen: „Um den Hedonismus ausleben zu können, braucht es Freiheit; es geht nicht nur um die pure Lust, sondern darum, entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen." Dazu gehört z.B. die Zurückeroberung von privaten Räumen, die den Anschein des Öffentlichen haben. Auch wenn bei ihren Aktionen keiner zu Schaden kommen soll, pflegen die Hedonisten ein durchaus offensives Vorgehen. Kürzlich gelang ihnen gar eine Besetzung des Fernsehturms am Alex. „Wir sind mit Eintrittskarten hochgefahren, haben ein Soundsystem angekettet und Party gemacht, bis die Polizei kam", so Cantsin. Einige Zeit davor suchten sie ­ mit Anzügen bekleidet ­ den Potsdamer Platz auf und machten sich für grenzenlosen Konsum stark. Mit von der Partie war auch ein gefälschter Security Guard, der die echten „Kollegen" auf Trab halten sollte.

Verwirrung über gesellschaftliche Gewohnheiten soll erzielt werden durch eine bis zur Peinlichkeit reichende Überspitzung. Die darf nicht zu knapp ausfallen und auf der anderen Seite nicht zu offensichtlich sein, weil sie dann nicht provokant genug wirkt. Wie erfolgreich das sein kann, zeigten vergangene Kampagnen „für mehr Krieg": Einige Zeitungen nahmen sie für bare Münze und empörten sich über die makabren Forderungen. Daß damit eine Akzeptanz für die Sachen geschaffen wird, die man eigentlich bekämpfen will, glaubt Cantsin nicht: „Die einen lachen, weil sie es verstehen, die anderen regen sich auf, weil sie dagegen sind ­ beides ist gut". Trotzdem gibt es Themen, von denen die Hedonisten lieber die Finger lassen. Eine angedachte Demonstration für mehr Grundrechtsabbau wurde nicht verwirklicht. Die Akzeptanz in der Bevölkerung und die realen Forderungen seien so extrem, daß es kaum mehr etwas zu übersteigern gäbe.

Zur Zeit konzentrieren sich die Hedonisten auf einen klareren Feind: den G8-Gipfel, den es in ihren Worten „wegzubassen" gilt. Mit einem „Spontan-Rave" Ende Mai vor dem Reichstag probten sie ihren großen Auftritt an der Ostsee. Grundlage für diese Aktionen bildet ein 13 Punkte umfassendes Manifest, das bereits in 10 Sprachen existiert. Auch wenn der „Internationalen" bisher fast ausschließlich Berliner angehören, gibt es ähnliche Initiativen schon in anderen europäischen Ländern. So z.B. in Frankreich, wo die von Maklern gefürchteten Aktivisten der Initiative Jeudi Noir als vermeintliche Interessenten zu Wohnungsbesichtigungen von Luxusapartments erscheinen, um die Bude dann bei einem spontanen Happening so richtig einzusauen.

Entstanden ist die Idee zur Gründung der Berliner „Internationalen" im Gefolge von Aktionen gegen Neonazis in Friedrichshain im vergangenen Herbst. Höhepunkt war eine „Kiezparade", an der die Gründungsmitglieder der Hedonistischen Internationalen maßgeblich beteiligt waren. Einige von ihnen traten damals auch als Nudistische Offensive in Erscheinung, als sie nackt eine von vermeintlichen Rechten besuchte Kneipe stürmten. „Nacktheit ist immer ein gutes Mittel, um Öffentlichkeit zu schaffen. Wir wollten es nutzen, um die Nazis aus ihrer Heimlichkeit zu holen", begründet Cantsin diese drastische Maßnahme. Solche Aktionen brachten den Hedonisten schnell den Vorwurf ein, gewisse Themen nicht mit der ihnen gebührenden Ernsthaftigkeit anzugehen. Monty Cantsin sieht das natürlich ganz anders und wittert in solchen Vorwürfen vielmehr eine linke Spaßlosigkeit: „Klar ist Politik etwas Ernstes, aber es gibt Leute, die sich zu ernst nehmen, das nimmt denen dann keiner mehr ab." Seiner Meinung nach muß Politik in erster Linie Spaß machen; denn dann, so seine Theorie, fällt für viele Menschen auch die Barriere, selber aktiv zu werden: „Mit unseren Aktionen können Leute erreicht werden, die man sonst nicht begeistern könnte, weil sie von etablierter Politik und langweiligen Alternativen die Schnauze voll haben".

Philipp Mattern

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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