Party machen, bis die Polizei kommt
Die Hedonistische Internationale will mit Spaß zur Politik animieren
Auch linke Politik braucht eine gewisse kulturelle
Attraktivität, weil sie sonst keinen anspricht. Eigentlich eine
recht alte Weisheit. Aber auch die kann man so richtig auf die Spitze
treiben. Das zeigt die im Frühjahr dieses Jahres gegründete
Hedonistische Internationale. Von öffentlichen Spontanpartys bis
zu Nacktdemonstrationen gehört so ziemlich alles zu ihrem
Repertoire, was provokant oder spaßig wirkt.
„Die Hedonistische Internationale ist dabei
weniger eine Organisation, als vielmehr eine Idee", meint Monty
Cantsin, ein Sprecher dieser „Idee". Er verbindet mit dem Streben
nach Freude und Genuß ein politisches Anliegen: „Um den
Hedonismus ausleben zu können, braucht es Freiheit; es geht nicht
nur um die pure Lust, sondern darum, entsprechende Rahmenbedingungen zu
schaffen." Dazu gehört z.B. die Zurückeroberung von privaten
Räumen, die den Anschein des Öffentlichen haben. Auch wenn
bei ihren Aktionen keiner zu Schaden kommen soll, pflegen die
Hedonisten ein durchaus offensives Vorgehen. Kürzlich gelang ihnen
gar eine Besetzung des Fernsehturms am Alex. „Wir sind mit
Eintrittskarten hochgefahren, haben ein Soundsystem angekettet und
Party gemacht, bis die Polizei kam", so Cantsin. Einige Zeit davor
suchten sie mit Anzügen bekleidet den Potsdamer Platz
auf und machten sich für grenzenlosen Konsum stark. Mit von der
Partie war auch ein gefälschter Security Guard, der die echten
„Kollegen" auf Trab halten sollte.
Verwirrung über gesellschaftliche Gewohnheiten soll
erzielt werden durch eine bis zur Peinlichkeit reichende
Überspitzung. Die darf nicht zu knapp ausfallen und auf der
anderen Seite nicht zu offensichtlich sein, weil sie dann nicht
provokant genug wirkt. Wie erfolgreich das sein kann, zeigten
vergangene Kampagnen „für mehr Krieg": Einige Zeitungen
nahmen sie für bare Münze und empörten sich über
die makabren Forderungen. Daß damit eine Akzeptanz für die
Sachen geschaffen wird, die man eigentlich bekämpfen will, glaubt
Cantsin nicht: „Die einen lachen, weil sie es verstehen, die
anderen regen sich auf, weil sie dagegen sind beides ist gut".
Trotzdem gibt es Themen, von denen die Hedonisten lieber die Finger
lassen. Eine angedachte Demonstration für mehr Grundrechtsabbau
wurde nicht verwirklicht. Die Akzeptanz in der Bevölkerung und die
realen Forderungen seien so extrem, daß es kaum mehr etwas zu
übersteigern gäbe.
Zur Zeit konzentrieren sich die Hedonisten auf einen
klareren Feind: den G8-Gipfel, den es in ihren Worten
„wegzubassen" gilt. Mit einem „Spontan-Rave" Ende Mai vor
dem Reichstag probten sie ihren großen Auftritt an der Ostsee.
Grundlage für diese Aktionen bildet ein 13 Punkte umfassendes
Manifest, das bereits in 10 Sprachen existiert. Auch wenn der
„Internationalen" bisher fast ausschließlich Berliner
angehören, gibt es ähnliche Initiativen schon in anderen
europäischen Ländern. So z.B. in Frankreich, wo die von
Maklern gefürchteten Aktivisten der Initiative Jeudi Noir als
vermeintliche Interessenten zu Wohnungsbesichtigungen von
Luxusapartments erscheinen, um die Bude dann bei einem spontanen
Happening so richtig einzusauen.
Entstanden ist die Idee zur Gründung der Berliner
„Internationalen" im Gefolge von Aktionen gegen Neonazis in
Friedrichshain im vergangenen Herbst. Höhepunkt war eine
„Kiezparade", an der die Gründungsmitglieder der
Hedonistischen Internationalen maßgeblich beteiligt waren. Einige
von ihnen traten damals auch als Nudistische Offensive in Erscheinung,
als sie nackt eine von vermeintlichen Rechten besuchte Kneipe
stürmten. „Nacktheit ist immer ein gutes Mittel, um
Öffentlichkeit zu schaffen. Wir wollten es nutzen, um die Nazis
aus ihrer Heimlichkeit zu holen", begründet Cantsin diese
drastische Maßnahme. Solche Aktionen brachten den Hedonisten
schnell den Vorwurf ein, gewisse Themen nicht mit der ihnen
gebührenden Ernsthaftigkeit anzugehen. Monty Cantsin sieht das
natürlich ganz anders und wittert in solchen Vorwürfen
vielmehr eine linke Spaßlosigkeit: „Klar ist Politik etwas
Ernstes, aber es gibt Leute, die sich zu ernst nehmen, das nimmt denen
dann keiner mehr ab." Seiner Meinung nach muß Politik in erster
Linie Spaß machen; denn dann, so seine Theorie, fällt
für viele Menschen auch die Barriere, selber aktiv zu werden:
„Mit unseren Aktionen können Leute erreicht werden, die man
sonst nicht begeistern könnte, weil sie von etablierter Politik
und langweiligen Alternativen die Schnauze voll haben".
Philipp Mattern