Wie ein Punksong
Reminiszenz an das Rohe, Schiefe und Unfertige des Punk

Foto: Archiv SUBstitut
Vor fast zwei Jahren war in Berlin die
großartige Ausstellung Ostpunk too much future zu sehen,
die zeigte, wie die DDR-Punkszene Ende der Siebziger, Anfang der
Achtziger entstand, wie sich Jugendliche dem „festgeschriebenen
und vorweggenommenen Lebenslauf", „der Perspektive ohne
Perspektive" verweigerten und die Konsequenzen, die dieses
„feindlich-negative" Tun für sie hatte: Repressionen aller
Art, im schlimmsten Fall Gefängnis. Und nicht zuletzt ging es den
Kuratoren Michael Boehlke und Henryk Gericke darum vorzustellen, was
die Punks von damals mittlerweile treiben. Nun, pünktlich zur
Eröffnung derselben Ausstellung in Dresden, erscheint die
überarbeitete und erweiterte Version des binnen kürzester
Zeit vergriffenen Berliner Katalogs als Buch beim Verbrecherverlag.
Das Werk, als hochkomprimiertes Derivat einer solch
umfangreichen Ausstellung, kann diese natürlich nicht getreu
abbilden. Das, was ein solches Buch kann, tut es immerhin nicht
schlecht mit besonderem Augenmerk auf die bizarren Anfänge
des DDR-Punk zwischen 1979 und 1983. Die Texte, ausnahmslos von mit der
Szene direkt oder indirekt verbundenen Autoren verfaßt, sprechen
über die Entwicklung in den einzelnen Städten (nicht nur
Berlin oder Leipzig, auch Dresden, Erfurt, Weimar usw.), die
vielfältigen Wechselwirkungen zwischen Punk und (Undergound-)
Kunst, das Verhältnis der Kirche zu den Stachelköpfen und
natürlich über Repression und Vereinnahmung durch
den allmächtigen Staat.
Dabei ist das Gesamtbild, das die Texte bieten, durchaus
disparat, aber offensichtlich auch so gewollt. Neben fein durchdachten
Elaboraten und Analysen stehen einfach so hingerotzte
Äußerungen oder mindestens merkwürdig anmutende
Gebilde, etwa, wenn ein Text plötzlich und unerwarterweise
abbricht, man glaubt, es kommt noch was, Schluß! aber damit
genau wie ein Punksong funktionierend.
Das von der Punkästhetik inspirierte Layout
läßt Textblöcke wackeln und rotieren, die Zeilen
ineinanderstürzen und verschwurbelt alles fröhlich
miteinander, überkleckst das Ganze obendrein mit merkwürdigen
grafischen Sprengseln oder hingeschmierten Streifen. Das paßt.
Auch kleine Fehler, manchmal eine Unübersichtlichkeit, ein etwas
flau wirkendes Bild stören nicht, es wirkt eher wie eine
Reminiszenz an das Rohe, Unfertige, ja auch das Schiefe und
Unvollendete des Punk.
Lediglich der Text von Bert Papenfuß zu den
Gebrüdern Lippok beides Musiker und Künstler, die
innerhalb der Berliner Punkkreise tätig waren, um sie kreisten
wirkt deplaziert. Das ist keine Punkliteratur, nicht zu dieser
Zeit entstanden, der Text ist aber auch nur schwer als wenigstens
halbdokumentarisch zu bezeichnen. Ohne den umfangreichen
Erklärungsapparat ist dieses verspielte Artefakt für den
Außenstehenden praktisch kaum zu verstehen. Was ja gar nichts
über seine künstlerische Qualität besagen will, es
paßt nur nicht ins Buch.
Eine passende Ergänzung zum Buch könnte der
ebenfalls unter dem „Too much future"-Label entstandene Film von
Boehlke und Gericke sein, der sechs Protagonisten der ersten
DDR-Punkgeneration porträtiert, sie von damals und von dem, was
sie heute machen, reden läßt. (Premiere am 22. August in der
Kulturbrauerei).
Roland Abbiate
Michael Boehlke, Henryk Gericke (Hrsg.): Too much future Punk in der DDR. Verbrecherverlag, Berlin 2007. 16,80 Euro.