Reduce to the max mit Batman&Co.
Eine Konferenz will die Grundlagen für eine Comicwissenschaft formulieren

Illustration: Jan Gillich
Für das endlose Gewirr der Straßen, für
die den Städter erdrückenden Wolkenkratzer und für das
Gefühl des Verlorensein in der Stadt New York findet der
Schriftsteller Daniel Quinn in Paul Au-sters Roman Stadt aus Glas mit
der zunehmenden Verstrickung der Geschichte keine Worte mehr. In diesem
tragischen Moment ist der Schriftsteller dem Wahnsinn nahe.
Für den Szenaristen Paul Karasik und den Zeichner
David Mazzucchelli ist dies der Moment, eine präzise beschreibende
Bildsprache zu entwickeln. In der Comicadaption des Romans erscheint
die Stadt mit ihren graphisch geordneten und dennoch
unüberschaubaren Straßenmustern, werden die Hochhäuser
mit ihren stürzenden Wänden und mit den scheinbar endlos
aneinandergereihten Fenstern dargestellt. All diese Bilder vermitteln
das Gefühl von Einsamkeit und Verlorensein. Paul Austers Daniel
Quinn verliert sich in sich selbst und verschwindet am Ende ganz. Im
Comic verschmilzt er mit den Mauersteinen der Fassade, wird von ihnen
umhüllt, löst sich auf, ein Auge schaut noch aus der
stürzenden Fassade, regentropfengleich fällt er von dort in
den Kreislauf der Stadt zurück.
Mit diesem Comic in der Hand frage ich mich, welches
andere Medium Stadt und städtische Wahrnehmung besser beschreiben
könnte als der Comic. Im Comic erzeugen Bild, Text und Sequenz ein
eigenes räumliches Zusammenspiel, hier prallen die Realitäten
von Architektur, massentauglichen Superhelden und städtischem
Leben aufeinander. Gemeinsam erzählen sie Geschichten oder
entwickeln urbane Räume des Zukünftigen. Diese Welten
verzichten auf den Anspruch der Authentizität; vielleicht
können sie deshalb die Wirklichkeit so gut beschreiben.
Nicht nur Daniel Quinn muß aufpassen, daß
die Stadt ihm den Rang als Held der Geschichte nicht abläuft. Ohne
die passende Stadtkulisse wären viele Comichelden aufgeschmissen.
Was wäre Spiderman ohne sein Marvel-New York, Superman ohne
Metropolis, Batman ohne Gotham City, Donald Duck ohne Entenhausen oder
die Manga-Comics ohne Tokio? Die Bedeutungen der Stadt sind für
die Figuren jedoch unterschiedlich. Während Superman seine Heimat
Metropolis gegen Angriffe von Bösewichtern und gegen Katastrophen
verteidigt, zeigt sich Gotham City durchsetzt von Haß und
Kriminalität, die Batman mit Gewalt bekämpft.
Aber Städte kommen nicht einfach nur in Comics vor,
es gibt viele Parallelen und Überschneidungen zwischen dem
Ausdrucksmittel Comic und dem komplexen System Stadt. Comics erforschen
die Stadt als Handlungs- und Lebensraum, sie beeinflussen in ihren
utopischen Stadtentwürfen die Architekturgeschichte und loten den
städtischen Raum in seinen ästhetischen, atmosphärischen
und szenaristischen Möglichkeiten aus.
Aufgrund der rasanten Beschleunigung von Menschen,
Bildern und Zeiten, Wahrnehmungen, Erfahrungen und Erlebnissen
kennzeichnet Georg Simmel 1900 die Stadt als Ort der Moderne. Diesem
Phänomen begegnet der Comic mit einem ganz eigenen Rhythmus.
Comics lassen sich in rasantem Tempo durchblättern, dem
Lebensrhythmus der Großstädte entsprechend. Simmel stellt
der Überfülle an Sinneseindrücken das Konzept der
Entschleunigung entgegen. Und auch dies hält der Comic mit seiner
Ausschnitthaftigkeit und Reduktion auf das Wesentliche bereit. Er lenkt
den Blick des Lesers und nimmt ihn mit auf dem Weg durch den Tumult der
Großstädte.
Doch das ist nur die halbe Geschichte der Beziehungen
zwischen Stadt und Comic. Längst hat der Comic auch seinen Weg in
die Stadt gefunden. Street-Artists bevölkern die Straßen,
Hinterhöfe und Umschlagplätze der Stadt mit Figuren und
Sounds, Bildern und Narrationen. Auf diese Weise schaffen sie eine
urbane Kommunikationsplattform, auf der der Leser die Abfolge der
Bilder, den Verlauf der Handlung selbst bestimmt. Fanti Baum
Konferenz „Comics and the City. Urban Space in Print, Picture and Sequence".
Vom 7. bis 9. Juni in den Sophiensaelen. Veranstaltet vom
Kulturwissenschaftlichen Seminar der Humboldt Universität Berlin
und vom Kulturwissenschaftlichen Forschungskolleg „Medien und
kulturelle Kommunikation" der Universität Köln.
www.comicundstadt.de