Ausgabe 05 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Reduce to the max ­ mit Batman&Co.

Eine Konferenz will die Grundlagen für eine Comicwissenschaft formulieren

Illustration: Jan Gillich

Für das endlose Gewirr der Straßen, für die den Städter erdrückenden Wolkenkratzer und für das Gefühl des Verlorensein in der Stadt New York findet der Schriftsteller Daniel Quinn in Paul Au-sters Roman Stadt aus Glas mit der zunehmenden Verstrickung der Geschichte keine Worte mehr. In diesem tragischen Moment ist der Schriftsteller dem Wahnsinn nahe.

Für den Szenaristen Paul Karasik und den Zeichner David Mazzucchelli ist dies der Moment, eine präzise beschreibende Bildsprache zu entwickeln. In der Comicadaption des Romans erscheint die Stadt mit ihren graphisch geordneten und dennoch unüberschaubaren Straßenmustern, werden die Hochhäuser mit ihren stürzenden Wänden und mit den scheinbar endlos aneinandergereihten Fenstern dargestellt. All diese Bilder vermitteln das Gefühl von Einsamkeit und Verlorensein. Paul Austers Daniel Quinn verliert sich in sich selbst und verschwindet am Ende ganz. Im Comic verschmilzt er mit den Mauersteinen der Fassade, wird von ihnen umhüllt, löst sich auf, ein Auge schaut noch aus der stürzenden Fassade, regentropfengleich fällt er von dort in den Kreislauf der Stadt zurück.

Mit diesem Comic in der Hand frage ich mich, welches andere Medium Stadt und städtische Wahrnehmung besser beschreiben könnte als der Comic. Im Comic erzeugen Bild, Text und Sequenz ein eigenes räumliches Zusammenspiel, hier prallen die Realitäten von Architektur, massentauglichen Superhelden und städtischem Leben aufeinander. Gemeinsam erzählen sie Geschichten oder entwickeln urbane Räume des Zukünftigen. Diese Welten verzichten auf den Anspruch der Authentizität; vielleicht können sie deshalb die Wirklichkeit so gut beschreiben.

Nicht nur Daniel Quinn muß aufpassen, daß die Stadt ihm den Rang als Held der Geschichte nicht abläuft. Ohne die passende Stadtkulisse wären viele Comichelden aufgeschmissen. Was wäre Spiderman ohne sein Marvel-New York, Superman ohne Metropolis, Batman ohne Gotham City, Donald Duck ohne Entenhausen oder die Manga-Comics ohne Tokio? Die Bedeutungen der Stadt sind für die Figuren jedoch unterschiedlich. Während Superman seine Heimat Metropolis gegen Angriffe von Bösewichtern und gegen Katastrophen verteidigt, zeigt sich Gotham City durchsetzt von Haß und Kriminalität, die Batman mit Gewalt bekämpft.

Aber Städte kommen nicht einfach nur in Comics vor, es gibt viele Parallelen und Überschneidungen zwischen dem Ausdrucksmittel Comic und dem komplexen System Stadt. Comics erforschen die Stadt als Handlungs- und Lebensraum, sie beeinflussen in ihren utopischen Stadtentwürfen die Architekturgeschichte und loten den städtischen Raum in seinen ästhetischen, atmosphärischen und szenaristischen Möglichkeiten aus.

Aufgrund der rasanten Beschleunigung von Menschen, Bildern und Zeiten, Wahrnehmungen, Erfahrungen und Erlebnissen kennzeichnet Georg Simmel 1900 die Stadt als Ort der Moderne. Diesem Phänomen begegnet der Comic mit einem ganz eigenen Rhythmus. Comics lassen sich in rasantem Tempo durchblättern, dem Lebensrhythmus der Großstädte entsprechend. Simmel stellt der Überfülle an Sinneseindrücken das Konzept der Entschleunigung entgegen. Und auch dies hält der Comic mit seiner Ausschnitthaftigkeit und Reduktion auf das Wesentliche bereit. Er lenkt den Blick des Lesers und nimmt ihn mit auf dem Weg durch den Tumult der Großstädte.

Doch das ist nur die halbe Geschichte der Beziehungen zwischen Stadt und Comic. Längst hat der Comic auch seinen Weg in die Stadt gefunden. Street-Artists bevölkern die Straßen, Hinterhöfe und Umschlagplätze der Stadt mit Figuren und Sounds, Bildern und Narrationen. Auf diese Weise schaffen sie eine urbane Kommunikationsplattform, auf der der Leser die Abfolge der Bilder, den Verlauf der Handlung selbst bestimmt. Fanti Baum

Konferenz „Comics and the City. Urban Space in Print, Picture and Sequence". Vom 7. bis 9. Juni in den Sophiensaelen. Veranstaltet vom Kulturwissenschaftlichen Seminar der Humboldt Universität Berlin und vom Kulturwissenschaftlichen Forschungskolleg „Medien und kulturelle Kommunikation" der Universität Köln.

www.comicundstadt.de

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