Ausgabe 05 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Sägen bis zum Umfallen

Berliner Grün zwischen Denkmalschutz und radikaler Pflege

Zu viel des Lobes kann bekanntlich auch nach hinten losgehen: Berlin ist so grün! Berlin hat so viele Straßenbäume und Parks! Sicher, wer andere deutsche Großstädte kennt, nickt da sofort. Doch in den letzten Jahren hat ein Wandel eingesetzt: Der Wert eines einzelnen Baumes sinkt, gerade weil es scheinbar noch genug andere Bäume gibt.

Der Umschwung setzte in den 90er Jahren ein, als die Umgestaltung des Lustgartens vor dem Alten Museum beschlossen wurde. Ohne zu zögern wurde ein Großteil der 50-jährigen Linden zur Fällung freigegeben. Der einzige Grund: Sie standen einige Meter zu weit im Blickfeld auf das Museum, denn die historischen Planungen Lennés bzw. Schinkels waren zum Leitbild der Umgestaltung auserkoren worden. Man schob zwar noch nach, daß die Linden, weil sie krank seien, sowieso über kurz oder lang hätten gefällt werden müssen. Da Bäume in der Stadt selten hundertprozentig gesund sind, ist das ein sehr willfähriges Argument. Wahrscheinlich könnte man so gleich den gesamten deutschen Wald roden. Als Ausgleich wurden noch Ersatzpflanzungen am Rande des Lustgartens vorgenommen, doch der Startschuß zum Kettensägeneinsatz war gegeben.

Der Denkmalschutz bestimmte bald auch am Rosa-Luxemburg-Platz in Mitte und am Lauenburger Platz in Steglitz, daß die Baumfäller anrücken konnten. Auch hier störten die vorhandenen Bäume bei der Wiederherstellung der historischen Platzanlagen. Die Anwohner protestierten zwar, Berlins oberster Gartendenkmalpfleger, Klaus von Krosigk, blieb dennoch stur: „Die Plätze werden nach dem Umbau Kostbarkeiten für den Kiez und identitätsstiftend für die Nachbarschaft sein." Ungebremst ging es weiter. Die Bäume in der Carl-Legien-Siedlung in Prenzlauer Berg ­ weg damit! Freie Sicht auf das Baudenkmal von Bruno Taut! Bäume im Rudolf-Wilde-Park in Schöneberg ­ weg damit! Sie störten das Spiegelbild des U-Bahnhofs im Wasser! Bäume im östlichen Teil des Großen Tiergartens in Mitte ­ weg damit! Es lebe die Fassung des 19. Jahrhunderts von Lenné! Auf die massiven Proteste der Naturschützer gegen den geplanten Kahlschlag im Tiergarten hat der Bezirk Mitte dann aber doch noch reagiert. Statt 115 Bäume sind es jetzt nur 63 Bäume, allesamt krank natürlich.

Lenné und der Denkmalschutz haben sich zu einer schweren Hypothek für die Berliner Bäume und Grünanlagen entwickelt und quasi zu einer Denkblockade geführt. Marianne Weno von der Stiftung Naturschutz Berlin bringt die Situation im Tiergarten auf den Punkt: „In der Zeit von Peter Joseph Lenné, der 1838 den Tiergarten neu gestaltete, gab es noch keinen Artenschutz. In den Städten war Natur nicht gefragt. Parks mußten dekorativ und aufgeräumt sein. Wo man damals auf breiten Alleen flanierte, laufen heute Jogger auf verschlungenen Trampelpfaden. Der Tiergarten ist zur grünen Lunge geworden, zu einer Oase inmitten des Autoverkehrs, in der pflastermüde und von Abgasen eingenebelte Berliner und Touristen aufatmen können."

Wenn es denn historische Größen sein müssen, auf die man sich heute in Berlin unablässig beruft, dann sollte man ihnen vielleicht versuchsweise auch mal gerecht werden ­ und eigene Einfallslosigkeit nicht mit deren historischen Planungen bemänteln. So hätte ein heutiger Grünplaner von der Geistesgröße Lennés vermutlich eine wesentlich zeitgemäßere Auffassung von den Funktionen städtischen Grüns als alle seine derzeitigen Wiedergänger zusammen ­ und wäre in der Lage, jahrzehntelang gewachsenen Bäume ganz souverän in seine Umplanungen zu integrieren. Und vielleicht wäre ein altneuer Lenné heute sogar so dermaßen modern, ja nachgerade visionär, daß er nicht die Neu- und Umgestaltungen als seine vornehmste Aufgabe betrachtete, sondern alle Kräfte zu bündeln versuchte, das Vorhandene zu pflegen und zu sichern. Dieses dann aber selbstverständlich auf allerhöchstem Niveau.

Davon sind die nicht so prominenten Grünanlagen Berlins nämlich inzwischen weit entfernt. Grünpflege wird dort vorrangig vom Rotstift diktiert. Karen Thormeyer von der Grünen Liga Berlin stellt fest: „Zwei Tendenzen bestimmen die Pflege inzwischen: Weniger Geld und weniger Zeit und ein vorauseilender Gehorsam der Ämter im Hinblick auf die Verkehrssicherungspflicht." So gibt es nur noch zwei Pflegedurchgänge im Jahr, die dementsprechend radikal ausfallen. Die Grünflächenämter versuchen, die Grünanlagen trotz der knappen Mittel zu „qualifizieren". So werden schattige, verwunschene Sitzecken ringsum freigeschnitten, es werden Sichtbeziehungen geschaffen, das Unterholz wird ausgemerzt. Der allgegenwärtige Rückschnitt der Sträucher fast auf Bodenniveau ist eine Folge davon. Ist ein Baum auch nur ein Zentimeter hohl in der Mitte, wird er lieber gleich gefällt. „Das hängt aber auch mit der Klagefreudigkeit der Bürger zusammen", stellt Thormeyer klar. Wenn bei herabfallenden Ästen sofort Schadenersatz droht, will deswegen niemand in Haftung genommen werden. Die groteske Folge dieser ganzen „Pflege": Die Grünanlagen wirken leergeräumt und so steril wie ein Kiesbeet im Vorgarten. Aber zumindest wächst da kein Halm mehr unkontrolliert. 

Sabine Schuster

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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