filiale
Der ewige mythische Kampf des Guten gegen das Böse
wird derzeit in Kreuzberg ausgetragen: Auf der einen Seite steht ein
internationaler Fast-Food-Konzern, auf der anderen Seite Anwohner, die
auf gute Ernährung und einen malerischen, gewachsenen Kiez wert
legen. Nun kann man sich durchaus wundern, mit welcher Energie sich die
gegründete Bürgerinitiative in ihren Kampf gegen den Bau des
Restaurants mit Drive-in stürzt; es ist auch fraglich, ob die
Manager jemals verstehen werden, welchen Unterschied es macht, eine
Filiale am Hermannplatz zu eröffnen, oder eben in der
Wrangelstraße. Die Vorstellung, daß die
Bürgerinitiative nicht nur McDonald's verhindern, sondern auch
ihren Bezirk in den Ruf bringen könnte, ein gefährliches
Pflaster für schlecht beleumundete Großkonzerne zu sein, ist
leider zu schön, um wahr werden zu können.
diskussion
Scheibchenweise werden seit vielen Jahren die
bürgerlichen Freiheitsrechte beschnitten. Ob Innenminister dieses
oder jenes Parteibuch innehaben, tut der Entwicklung kaum einen
Abbruch. Politikern die Schuld zuzuweisen, trifft jedoch nicht den Kern
des Problems. Woran es mangelt, ist eine breite gesellschaftliche
Wertschätzung der Privatsphäre, die den
sicherheitspolitischen und staatsermächtigenden Bestrebungen
Einhalt zu gebieten imstande wäre. Drum trägt die Initiative
Freiheitsredner ihren Teil dazu bei, eine Diskussion um Freiheitsrechte
und ihre Gefährdung zu beflügeln. Ehrenamtliche Engagierte
bieten sich an, z.B. Schulen aufzusuchen, um zur Bedeutung
überwachungsfreier Räume und zur kritischen Einschätzung
der Sicherheitslage zu referieren. Anfragen können unter
www.freiheitsredner.de gestellt werden.
totgeburt
Nun, da die WASG in der zur Linkspartei umbenannten PDS
aufzugehen im Begriff ist, geht eine neue Partei an den Start, um das
Vermächtnis der WASG zu retten: die Wahlalternative Soziales
Berlin (WAS-B). Die Argumente, mit denen das unverdrossene Weitermachen
begründet wird, sind so aktuell wie eh und je, hat doch die
Linkspartei.PDS zur Genüge bewiesen, wie sehr sie von dem
abgerückt ist, was viele ihrer Anhänger unter demokratischem
Sozialismus verstanden haben. Doch bei aller Sympathie für die
Renitenz zunächst der WASG und nun der Nachfolgepartei, die sich
den vermeintlichen Sachzwängen nicht einfach beugen will, bleibt
doch ein gewisser Zweifel, ob das neue Projekt nicht schon wieder eine
Totgeburt ist. Wie will man denn jemanden ernst nehmen, der, wie die
WAS-B in einer Publikation, davon spricht, daß es einen
„ersten Hartz-IV-Verhungerten" gegeben habe?
theater
Man konnte das allgemeine Aufatmen förmlich
hören, als verkündet wurde, man werde erneut jene Obskuranten
„vom Verfassungsschutz beobachten" lassen, die die Lehre eines
verstorbenen Science-Fiction-Autors zur „Religion" erhoben haben.
Scientology gilt, so hört man, als „totalitär", wolle
„Einfluß auf politische Entscheidungsträger nehmen"
und verstärkt Mitglieder werben. Nun ist das Treiben dieser
Organisation, die vorgibt, eine Kirche zu sein, unappetitlich, sofern
es nicht belustigend wirkt. Sicherlich kann man Scientology nicht
demokratisch nennen, doch sind es z.B. die Zeugen Jehovas? Und warum
sollte der Umstand, daß jemand nach Macht und Einfluß
strebt, staatsfeindlich sein? Außerdem: Ist der Verfassungsschutz
überhaupt in der Lage, relevante Informationen über
Scientology zu erheben? Er hat doch schon des öfteren seine
durchaus beschränkten analytischen Fähigkeiten eindrucksvoll
bewiesen.
schornstein
„Townhouses" sind der neue Renner in Berlin.
Senatorin Junge-Reyer schwärmt an vielen Orten in der Innenstadt
vom familiengerechten Wohnen. Doch halt! Nicht an allen Stellen ist
diese Wohnform erwünscht. So hat der Senat offenbar nicht das
Geringste unternommen, um den von der Eigentümergesellschaft DIBAG
geplanten Abriß einer 1983 erbauten Wohnanlage am
Lützowplatz zu verhindern eine Anlage mit 83 Wohnungen,
darunter 64 familiengerechte Maisonettes mit Terrassen, die von O.M.
Ungers im Rahmen der IBA erbaut wurde. Der Senat habe die
bauplanerische Sicherung dieses Standorts als Wohnstandort nicht aktiv
betrieben und behaupte heute, dies sei nicht möglich gewesen,
kritisieren Bündnis90/Die Grünen. Mit dem Abriß werden
auch 16,6 Millionen Euro Steuergelder, die seinerzeit als
Förderung bereitgestellt wurden, durch den Schornstein gejagt.
Nicht einmal die Rückzahlung der Aufwendungsdarlehen (4,4
Millionen Euro) wollte der Senat durchsetzen ohne Zweifel ein
Fall für den Rechnungshof.
Termine
So viel steht jetzt schon fest: Nach dem G8-Treffen ist
Wundenlecken und dergleichen mehr angesagt. Wie war's? Was haben wir
gelernt? Was ist bei der Kampagne gut gelaufen? Was können wir
besser machen? Antworten gibt's hoffentlich am 19. Juni um 19 Uhr im
Robert-Havemann-Saal des Hauses der Demokratie. Greifswalder
Straße 4, Prenzlauer Berg.
Im Rahmen der Linken Buchtage lesen am 23. Juni Volker
Eick, Eric Toepfer und Jens Sambale aus ihrem Buch Kontrollierte
Urbanität. Zur Neoliberalisierung städtischer
Sicherheitspolitik. Mehringhof, Schule für Erwachsenenbildung,
Raum B, Gneisenaustraße 2a, Kreuzberg. Beginn: 17 Uhr.
Und nochmal Literatur: Am 28. Juni stellt Mario
Keßler sein Buch Ossip K. Flechtheim. Politischer Wissenschaftler
und Zukunftsdenker (1909-1998) in der Hellen Panke vor. Flechtheim war
Politikwissenschaftler, Rechtssoziologe, Historiker und Futurologe. Er
lehrte u.a. am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin. Kopenhagener
Straße 9, Prenzlauer Berg. Beginn: 18 Uhr. Eintritt: 1,50 Euro.
Elfriede Jelinek beschäftigt sich in ihrem neuesten
Theatertext Über Tiere in erster Linie mit Sprache. Die Texte
über Liebe als Machtverhältnis werden vom Schauspieler
hauchend vorgetragen, auch mal geschrien: immer frei heraus. Eine
Rezension gibt es auf Seite 11. Und Vorführungen am 7., 14., 21.
und 25. Juni jeweils um 20 Uhr in den Kammerspielen, Schumannstr. 13a,
Mitte.