Ausgabe 05 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

filiale

Der ewige mythische Kampf des Guten gegen das Böse wird derzeit in Kreuzberg ausgetragen: Auf der einen Seite steht ein internationaler Fast-Food-Konzern, auf der anderen Seite Anwohner, die auf gute Ernährung und einen malerischen, gewachsenen Kiez wert legen. Nun kann man sich durchaus wundern, mit welcher Energie sich die gegründete Bürgerinitiative in ihren Kampf gegen den Bau des Restaurants mit Drive-in stürzt; es ist auch fraglich, ob die Manager jemals verstehen werden, welchen Unterschied es macht, eine Filiale am Hermannplatz zu eröffnen, oder eben in der Wrangelstraße. Die Vorstellung, daß die Bürgerinitiative nicht nur McDonald's verhindern, sondern auch ihren Bezirk in den Ruf bringen könnte, ein gefährliches Pflaster für schlecht beleumundete Großkonzerne zu sein, ist leider zu schön, um wahr werden zu können.

diskussion

Scheibchenweise werden seit vielen Jahren die bürgerlichen Freiheitsrechte beschnitten. Ob Innenminister dieses oder jenes Parteibuch innehaben, tut der Entwicklung kaum einen Abbruch. Politikern die Schuld zuzuweisen, trifft jedoch nicht den Kern des Problems. Woran es mangelt, ist eine breite gesellschaftliche Wertschätzung der Privatsphäre, die den sicherheitspolitischen und staatsermächtigenden Bestrebungen Einhalt zu gebieten imstande wäre. Drum trägt die Initiative Freiheitsredner ihren Teil dazu bei, eine Diskussion um Freiheitsrechte und ihre Gefährdung zu beflügeln. Ehrenamtliche Engagierte bieten sich an, z.B. Schulen aufzusuchen, um zur Bedeutung überwachungsfreier Räume und zur kritischen Einschätzung der Sicherheitslage zu referieren. Anfragen können unter www.freiheitsredner.de gestellt werden.

totgeburt

Nun, da die WASG in der zur Linkspartei umbenannten PDS aufzugehen im Begriff ist, geht eine neue Partei an den Start, um das Vermächtnis der WASG zu retten: die Wahlalternative Soziales Berlin (WAS-B). Die Argumente, mit denen das unverdrossene Weitermachen begründet wird, sind so aktuell wie eh und je, hat doch die Linkspartei.PDS zur Genüge bewiesen, wie sehr sie von dem abgerückt ist, was viele ihrer Anhänger unter demokratischem Sozialismus verstanden haben. Doch bei aller Sympathie für die Renitenz zunächst der WASG und nun der Nachfolgepartei, die sich den vermeintlichen Sachzwängen nicht einfach beugen will, bleibt doch ein gewisser Zweifel, ob das neue Projekt nicht schon wieder eine Totgeburt ist. Wie will man denn jemanden ernst nehmen, der, wie die WAS-B in einer Publikation, davon spricht, daß es einen „ersten Hartz-IV-Verhungerten" gegeben habe?

theater

Man konnte das allgemeine Aufatmen förmlich hören, als verkündet wurde, man werde erneut jene Obskuranten „vom Verfassungsschutz beobachten" lassen, die die Lehre eines verstorbenen Science-Fiction-Autors zur „Religion" erhoben haben. Scientology gilt, so hört man, als „totalitär", wolle „Einfluß auf politische Entscheidungsträger nehmen" und verstärkt Mitglieder werben. Nun ist das Treiben dieser Organisation, die vorgibt, eine Kirche zu sein, unappetitlich, sofern es nicht belustigend wirkt. Sicherlich kann man Scientology nicht demokratisch nennen, doch sind es z.B. die Zeugen Jehovas? Und warum sollte der Umstand, daß jemand nach Macht und Einfluß strebt, staatsfeindlich sein? Außerdem: Ist der Verfassungsschutz überhaupt in der Lage, relevante Informationen über Scientology zu erheben? Er hat doch schon des öfteren seine durchaus beschränkten analytischen Fähigkeiten eindrucksvoll bewiesen.

schornstein

„Townhouses" sind der neue Renner in Berlin. Senatorin Junge-Reyer schwärmt an vielen Orten in der Innenstadt vom familiengerechten Wohnen. Doch halt! Nicht an allen Stellen ist diese Wohnform erwünscht. So hat der Senat offenbar nicht das Geringste unternommen, um den von der Eigentümergesellschaft DIBAG geplanten Abriß einer 1983 erbauten Wohnanlage am Lützowplatz zu verhindern ­ eine Anlage mit 83 Wohnungen, darunter 64 familiengerechte Maisonettes mit Terrassen, die von O.M. Ungers im Rahmen der IBA erbaut wurde. Der Senat habe die bauplanerische Sicherung dieses Standorts als Wohnstandort nicht aktiv betrieben und behaupte heute, dies sei nicht möglich gewesen, kritisieren Bündnis90/Die Grünen. Mit dem Abriß werden auch 16,6 Millionen Euro Steuergelder, die seinerzeit als Förderung bereitgestellt wurden, durch den Schornstein gejagt. Nicht einmal die Rückzahlung der Aufwendungsdarlehen (4,4 Millionen Euro) wollte der Senat durchsetzen ­ ohne Zweifel ein Fall für den Rechnungshof.

Termine

So viel steht jetzt schon fest: Nach dem G8-Treffen ist Wundenlecken und dergleichen mehr angesagt. Wie war's? Was haben wir gelernt? Was ist bei der Kampagne gut gelaufen? Was können wir besser machen? Antworten gibt's hoffentlich am 19. Juni um 19 Uhr im Robert-Havemann-Saal des Hauses der Demokratie. Greifswalder Straße 4, Prenzlauer Berg.

Im Rahmen der Linken Buchtage lesen am 23. Juni Volker Eick, Eric Toepfer und Jens Sambale aus ihrem Buch Kontrollierte Urbanität. Zur Neoliberalisierung städtischer Sicherheitspolitik. Mehringhof, Schule für Erwachsenenbildung, Raum B, Gneisenaustraße 2a, Kreuzberg. Beginn: 17 Uhr.

Und nochmal Literatur: Am 28. Juni stellt Mario Keßler sein Buch Ossip K. Flechtheim. Politischer Wissenschaftler und Zukunftsdenker (1909-1998) in der Hellen Panke vor. Flechtheim war Politikwissenschaftler, Rechtssoziologe, Historiker und Futurologe. Er lehrte u.a. am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin. Kopenhagener Straße 9, Prenzlauer Berg. Beginn: 18 Uhr. Eintritt: 1,50 Euro.

Elfriede Jelinek beschäftigt sich in ihrem neuesten Theatertext Über Tiere in erster Linie mit Sprache. Die Texte über Liebe als Machtverhältnis werden vom Schauspieler hauchend vorgetragen, auch mal geschrien: immer frei heraus. Eine Rezension gibt es auf Seite 11. Und Vorführungen am 7., 14., 21. und 25. Juni jeweils um 20 Uhr in den Kammerspielen, Schumannstr. 13a, Mitte.

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