Ausgabe 04 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Wieviel sollte man essen?

Noch weiß niemand so genau, um was es eigentlich geht bei dem Vorschlag, der Polizei „Online-Durchsuchungen" privater Computer zu gestatten. Was man jetzt schon weiß, ist, daß Innenminister Schäuble das Vorhaben für notwenig hält und mit der ihm eigenen Sturheit und Konsequenz vorantreibt. Und daß er weiterhin nach neuen Instrumenten zur Überwachung und Kontrolle unschuldiger Bürger suchen wird. Erst dieser Tage verlautete, daß Schäuble von seinen Beamten „Leitlinien zur Inneren Sicherheit" erarbeiten lassen will. Wir haben schon einiges hinter uns, aber da kommt noch viel mehr auf uns zu. Natürlich im Namen der „Sicherheit". Um „das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung zu stärken". Und um „potentielle Täter wirkungsvoll abzuschrecken."

Wie die Behörden letztlich auf die Inhalte heimischer PCs zugreifen und die Daten sinnvoll und gerichtsfest sichern wollen, ist fast schon nebensächlich. Selbst wenn das Vorhaben nicht direkt umzusetzen wäre, wird es zumindest die Möglichkeit geben, über einen Umweg ans Ziel zu kommen. Der Gesetzgeber könnte z.B. die Provider verpflichten, dafür zu sorgen, daß die Software unerkannt plaziert wird, ähnlich wie bei der bereits jetzt schon geltenden Telekommunikationsüberwachungsverordnung von 2005, in der die Provider verpflichtet werden, eine „Standardschnittstelle zur Ausleitung von E-Mails an die Strafverfolgung" bereitzuhalten.

Was technisch möglich ist, wird auch gemacht. Da nutzt alle Grundrechtslyrik, das hilflose Beschwören der Verfassung und Forderungen nach rechtsstaatlichem Handeln der Behörden nichts. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht schon öfters bewiesen, daß es gewillt ist, den Geist des Grundgesetzes in Erinnerung zu rufen. Aber im Regelfall findet sich immer eine Möglichkeit, ein Gesetz zu verabschieden, in dem das von den Behörden Gewünschte drinsteht. Denn selbst wenn das Grundgesetz dann doch einmal eine nicht hintergehbare Grenze bilden sollte, höhlt man es eben so lange mit einzelnen Gesetzen, Durchführungsverordnungen und Dienstvorschriften aus, bis nur noch die Hülle übrig ist, die an Feiertagen bewundert werden darf.

Man müßte einmal alle Maßnahmen der verschiedenfarbigen Bundes- und Landesregierungen zur „Verbesserung der Sicherheit" auflisten ­ es wäre eine schier endlose Aneinanderreihung von rechtlich gefaßten Einschnürungen der Bürgerrechte, eine ausufernde Aufzählung von behördlichen Ermächtigungen. Das ginge nicht erst bei den berüchtigten „Otto-Katalogen" los, die im Grunde wenig mehr waren als die flugs in Gesetzesform gepackten Wünsche der Sicherheitsbürokraten, die schon lange in ihren Schreibtischschubladen geschlummert hatten, und seinerzeit hervorgezaubert wurden wie das Kaninchen aus dem Hut. Und es würde nicht aufhören beim Bundestrojaner und beim innenministeriellen „Programm zu Stärkung der Inneren Sicherheit" vom letzten November.

Wird man denn Schäubles Kreuzzug für die „Sicherheit" aufhalten können? Wohl kaum. Die verführerische Kraft seines Versprechens hat bislang noch jeden Widerstand dahinschmelzen lassen wie Schnee in der Frühlingssonne. Zumindest was die Parlamentarier, Datenschutzbeauftragten und Gerichte angeht. Einzig die Subversion durch Verweigerung scheint im Angesicht der Bedrohung der Freiheit durch den Verfassungsminister im Moment die angemessene Reaktion zu sein: Briefe schreiben statt E-Mails, persönliche Gespräche führen statt mobiler Kommunikation.

„Ich kann gar nicht so viel essen, wie ich kotzen möchte", stöhnte Max Liebermann beim Anblick des Fackelzuges der Nazis durch das Brandenburger Tor anläßlich der „Machtergreifung" von 1933. Schäuble ist kein Nazi, die Bundesrepublik ist keine Diktatur und Geschichte wiederholt sich nicht. Aber jetzt hat der Innenminister auch noch die Abkehr von der Unschuldsvermutung gefordert, und da fragt man sich schon, wieviel man essen müßte, um endlich kotzen zu können.

Benno Kirsch

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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