Wieviel sollte man essen?
Noch weiß niemand so genau, um was es eigentlich
geht bei dem Vorschlag, der Polizei „Online-Durchsuchungen"
privater Computer zu gestatten. Was man jetzt schon weiß, ist,
daß Innenminister Schäuble das Vorhaben für notwenig
hält und mit der ihm eigenen Sturheit und Konsequenz vorantreibt.
Und daß er weiterhin nach neuen Instrumenten zur Überwachung
und Kontrolle unschuldiger Bürger suchen wird. Erst dieser Tage
verlautete, daß Schäuble von seinen Beamten
„Leitlinien zur Inneren Sicherheit" erarbeiten lassen will. Wir
haben schon einiges hinter uns, aber da kommt noch viel mehr auf uns
zu. Natürlich im Namen der „Sicherheit". Um „das
Sicherheitsgefühl der Bevölkerung zu stärken". Und um
„potentielle Täter wirkungsvoll abzuschrecken."
Wie die Behörden letztlich auf die Inhalte
heimischer PCs zugreifen und die Daten sinnvoll und gerichtsfest
sichern wollen, ist fast schon nebensächlich. Selbst wenn das
Vorhaben nicht direkt umzusetzen wäre, wird es zumindest die
Möglichkeit geben, über einen Umweg ans Ziel zu kommen. Der
Gesetzgeber könnte z.B. die Provider verpflichten, dafür zu
sorgen, daß die Software unerkannt plaziert wird, ähnlich
wie bei der bereits jetzt schon geltenden
Telekommunikationsüberwachungsverordnung von 2005, in der die
Provider verpflichtet werden, eine „Standardschnittstelle zur
Ausleitung von E-Mails an die Strafverfolgung" bereitzuhalten.
Was technisch möglich ist, wird auch gemacht. Da
nutzt alle Grundrechtslyrik, das hilflose Beschwören der
Verfassung und Forderungen nach rechtsstaatlichem Handeln der
Behörden nichts. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht schon
öfters bewiesen, daß es gewillt ist, den Geist des
Grundgesetzes in Erinnerung zu rufen. Aber im Regelfall findet sich
immer eine Möglichkeit, ein Gesetz zu verabschieden, in dem das
von den Behörden Gewünschte drinsteht. Denn selbst wenn das
Grundgesetz dann doch einmal eine nicht hintergehbare Grenze bilden
sollte, höhlt man es eben so lange mit einzelnen Gesetzen,
Durchführungsverordnungen und Dienstvorschriften aus, bis nur noch
die Hülle übrig ist, die an Feiertagen bewundert werden darf.
Man müßte einmal alle Maßnahmen der
verschiedenfarbigen Bundes- und Landesregierungen zur
„Verbesserung der Sicherheit" auflisten es wäre eine
schier endlose Aneinanderreihung von rechtlich gefaßten
Einschnürungen der Bürgerrechte, eine ausufernde
Aufzählung von behördlichen Ermächtigungen. Das ginge
nicht erst bei den berüchtigten „Otto-Katalogen" los, die im
Grunde wenig mehr waren als die flugs in Gesetzesform gepackten
Wünsche der Sicherheitsbürokraten, die schon lange in ihren
Schreibtischschubladen geschlummert hatten, und seinerzeit
hervorgezaubert wurden wie das Kaninchen aus dem Hut. Und es würde
nicht aufhören beim Bundestrojaner und beim innenministeriellen
„Programm zu Stärkung der Inneren Sicherheit" vom letzten
November.
Wird man denn Schäubles Kreuzzug für die
„Sicherheit" aufhalten können? Wohl kaum. Die
verführerische Kraft seines Versprechens hat bislang noch jeden
Widerstand dahinschmelzen lassen wie Schnee in der Frühlingssonne.
Zumindest was die Parlamentarier, Datenschutzbeauftragten und Gerichte
angeht. Einzig die Subversion durch Verweigerung scheint im Angesicht
der Bedrohung der Freiheit durch den Verfassungsminister im Moment die
angemessene Reaktion zu sein: Briefe schreiben statt E-Mails,
persönliche Gespräche führen statt mobiler Kommunikation.
„Ich kann gar nicht so viel essen, wie ich kotzen
möchte", stöhnte Max Liebermann beim Anblick des Fackelzuges
der Nazis durch das Brandenburger Tor anläßlich der
„Machtergreifung" von 1933. Schäuble ist kein Nazi, die
Bundesrepublik ist keine Diktatur und Geschichte wiederholt sich nicht.
Aber jetzt hat der Innenminister auch noch die Abkehr von der
Unschuldsvermutung gefordert, und da fragt man sich schon, wieviel man
essen müßte, um endlich kotzen zu können.
Benno Kirsch