„Kämpfe für dein Haus, kämpfe für dein Viertel"
Die Wohnraumbewegung in Barcelona
In Barceloneta, formal ein Innenstadtviertel, ist immer
noch etwas von der Vergangenheit des früheren Fischerdorfes zu
spüren.
Die Geschäftigkeit in den engen Straßen ist
weniger mondän und aufgekratzt als in den anderen
Innenstadtbezirken Barcelonas. Doch an diesem Freitagabend wird die
fast kleinstädtische Beschaulichkeit unterbrochen: Trillerpfeifen,
Topfdeckel und wütende Stimmen sind zu hören. Ein paar
hundert Menschen haben sich am zentralen Platz des Viertels versammelt.
Viele ältere Leute sind darunter. Kämpferische Parolen werden
gerufen: „Kämpfe für dein Haus, kämpfe für
dein Viertel." Oder: „Spekulation ist keine Mitbestimmung!"
Die Angst, aus ihrem Viertel, in dem viele seit
Jahrzehnten leben, vertrieben zu werden, läßt die Menschen
hier zusammenkommen und demonstrieren. Vorbei an schick umgebauten
Marktgebäuden, deutlichen Zeichen der neuen Entwicklung. Der
Demozug bewegt sich lautstark durch die Straßen, wird von Gesten
der Zustimmung begrüßt. Etwa vom Kellner eines
Straßencafés, der Töpfe und Pfannen aus der
Küche holt, um spontan mit einzustimmen. Der Zug endet am
Gebäude der Stadtverwaltung, deren Planungen Grund des Protestes
sind. Auf Schildern steht „Barceloneta ist Rebellion" mit
einem vom Blitz in zwei Hälften gespaltenen Herzen als Symbol.
Eine Anspielung auf das Symbol der Imagekampagne „Barcelona,
pulsierende Stadt". Denn für die Bewohner Barcelonetas und vieler
anderer Stadtteile bedeutet der Pulsschlag der Stadtentwicklung eine
völlige Veränderung ihrer Viertel, in denen für sie dann
oftmals kein Platz mehr ist.
„Wenn mein Mietvertrag ausläuft, weiß
ich nicht mehr, wohin", erzählt eine Frau verzweifelt,
„bezahlbarer Wohnraum ist im Innenstadtbereich von Barcelona kaum
noch zu finden." Ironischerweise wurde das Sanierungskonzept der
Stadtverwaltung für Barceloneta aufgrund von Wünschen aus der
Nachbarschaft ins Leben gerufen. Viele Senioren wollen ihren
Lebensabend in ihrer gewohnten Umgebung verbringen und forderten
deshalb die Schaffung von mehr auf sie zugeschnittenen Wohnraum im
Quartier. Zwar wurde der flächendeckende Einbau von Aufzügen
in fast allen Häusern im Stadtteil beschlossen, zur Umsetzung in
diesem eng bebauten Areal müssen jedoch vielerorts Häuser
entkernt oder ganz abgerissen werden.
„Dies ist ein typisches Beispiel, wie Forderungen
aus Nachbarschaften aufgegriffen, aber für gänzlich andere
Zwekke funktionalisiert werden", sagt Silvio*. Dem Aktivisten der
Hausbesetzerbewegung ist es wichtig, sich mit den Kämpfen von
Mietern zu solidarisieren. „Natürlich geht es nur
vordergründig darum, in Barceloneta altengerechten Wohnraum zu
schaffen. Der Umbau macht den Stadtteil attraktiv für eine
einkommensstarke Klientel, die es schick findet, in solch einem Viertel
in der Innenstadt zu wohnen." Pilar* lebt in einem besetzten Haus im
benachbarten Stadtteil und ist Aktivistin gegen Stadtumstrukturierung.
„Mit Barceloneta würde der letzte Stadtteil Barcelonas in
Küstennähe umstrukturiert", ergänzt sie. Bei der Arbeit
mit den Bewohnern der betroffenen Quartiere ist ihr wichtig, die
Strukturen, die hinter solchen Prozessen stecken, aufzudecken.
Strategien entlarven
„Wichtig ist, die Propaganda der Stadtverwaltung
zu entlarven, die soziale Gründe vorgibt, um den Menschen in den
Vierteln ihre Stadtentwicklung schmackhaft zu machen." Daß dem
nicht so ist und statt dessen oft Verdrängung der alteingesessenen
Bewohnerschaft und Zerstörung sozialer Netzwerke die Folgen sind,
dafür gibt es in der Stadt Beispiele genug. So wurden beim Umbau
Barcelonas für die Olympischen Spiele 1996 ganze Stadtteile
abgerissen. Andere, denen dieses Schicksal erspart blieb, wurden einem
drastischen Imagewandel unterzogen. So wurde das innerstädtische
Quartier „Barrio Chino" (Hurenviertel) vor den Olympischen
Spielen kurzerhand in den unverfänglichen Namen „el Raval"
umbenannt.
In den darauffolgenden Jahren gab es weitere Projekte,
die der Unkontrollierbarkeit dieses Stadtteils mit seinen engen
Straßen, der multikulturellen Bevölkerung sowie einer
blühenden Schattenwirtschaft und Prostitution den Kampf ansagten.
Frei nach Baron Haussman wurden Schneisen ins Dickicht
der Häuserblökke und Gassen geschlagen, um kontrollierbare
Plätze zu schaffen. „Mehr Licht und Raum" hieß die
Begründung aus dem Rathaus. Zusätzlich wurde durch Ansiedlung
renommierter Kultureinrichtungen das Image des Viertels als
Kulturstandort und Szeneviertel geprägt. Bezahlbaren Wohnraum gibt
es auch hier kaum noch, dafür schießen in immer mehr
Straßen Designershops und Bars wie Pilze aus dem Boden.
„Ich fühle mich in meinem Viertel wegen der Massen von
hippen Modemenschen, die seit einigen Jahren mehr und mehr durch meine
Straße ziehen, nicht mehr zuhause", erzählt eine
langjährige Bewohnerin des Viertels. Sie denkt ans Wegziehen.
Der Stadtteil Poble No, der geprägt ist von einer
Mischung aus kleineren Fabriken, Handwerksbetrieben und einfachen
Wohnhäusern, wird zur Zeit schrittweise dem Erdboden
gleichgemacht, es entstehen sterile Wohnblocks oder
Bürogebäude. Dabei bietet die Übergangszone von den
bereits neu errichteten Straßenzügen zu den noch erhaltenen
Teilen des Quartiers ein gespenstisches Bild: kahlrasierte
Flächen, auf denen kürzlich noch Häuser standen,
dazwischen noch ein paar verloren dastehende Gebäude, vor denen
die Abrißbirne schon steht.
In Silvios Viertel La Ribera schufen Anwohner „el
Foret de Vergonia", was so viel wie „Wald der Schande" bedeutet.
Dieser Nachbarschaftsgarten wurde auf einer Fläche, die nach dem
Abriß von Wohnhäusern mit insgesamt über tausend
Wohnungen entstanden war, gemeinsam mit Aktivisten aus den benachbarten
besetzten Häusern geschaffen. Hier sollte für 16 Millionen
Euro ein Park entstehen. Aus Protest gegen die Kahlschlagsanierung und
autoritäre Planung bepflanzten die Anwohner die Fläche in
Eigenregie und schufen einen sozialen Treffpunkt für das Viertel.
So existierte lange Zeit ein Mahnmal gegen die herrschende
Planungspolitik. Ein Ultimatum der Stadtverwaltung, verbunden mit einem
Kompromißvorschlag, beendete das Projekt. Aus Protest gegen den
Kompromiß, in dem nur wenig vom Konzept der Bewohner übrig
geblieben wäre, entfernten diese ihre Pflanzen, bevor die
Bauarbeiter kamen.
Teilweise werden nach Abrissen von alten Häusern
auch Sozialwohnungen errichtet, doch „die sind oft in billiger
und schlechter Qualität gebaut und nur für einige Jahre als
sozialer Wohnungsbau gebunden", bemerkt Pilar. Es sind nur halbherzige
Projekte angesichts des Mangels an bezahlbarem Wohnraum. Dies und die
allgegenwärtige Wohnraumspekulation führten dazu, daß
mittlerweile die Wohnraumbewegung zu einer wichtigen politischen
Größe geworden ist.
Kontakt suchen
Auf den Demonstrationen kommen zehntausende Menschen
zusammen. Ähnlich wie in Frankreich kann die Regierung das Problem
nicht mehr negieren und kündigt Abhilfe an. Einfache
Schuldzuweisungen an der Misere werden dabei gleich mitgeliefert:
„Zur Zeit wird eine Kriminalisierungskampagne gegenüber der
Hausbesetzerbewegung gestartet, um so die Bewegung zu spalten: Der
Wohnraumbewegung wird versprochen, mehr bezahlbaren Wohnraum zu
schaffen und der Besetzerbewegung wird die Schuld am
Wohnungsmangel zugeschoben, da angeblich durch Besetzungen Bauvorhaben
blokkiert und somit die Schaffung von Wohnraum verhindert wird",
erklärt Pilar.
In Barcelona gibt es eine sehr aktive
Hausbesetzerbewegung. In den letzten Monaten wurden verstärkt
Häuser geräumt. Die Stadtverwaltung richtete zudem ein
Büro ein, über das sich Besitzer besetzter Gebäude
Beratung für ihre Räumungsverfahren holen können. Die
besetzten Häuser bieten aber nicht nur vielen Menschen Raum zum
Wohnen, sie sind auch wichtige Orte für politische und soziale
Bewegungen. Wie das kürzlich geräumte Frauenzentrum Mambo.
„Das war ein Ort für Frauen mit verschiedenen
gesellschaftlichen Hintergründen, die sich hier treffen konnten.
Sie hatten einen Schutzraum vor dem alltäglichen Machismo und
konnten hier gemeinsam Aktionen zum Beispiel zu Gewalt gegen Frauen
planen", erzählt Andrea. Die Berlinerin lebt zur Zeit in Barcelona
und ist aktiv in der Mambo Gruppe. „Das Haus wurde illegal, also
ohne entsprechende Vorankündigung, geräumt und so was
kommt leider immer öfter vor."
Auch Silvio und Pilar stellen mehr Repression in der
Stadt fest. Lange Zeit pflegte Barcelona ein Image als Stadt der
sozialen Experimente und umwarb zum Beispiel gezielt Jugendkulturen wie
die Skater. „Aber das hat der Tourismusindustrie nicht genug Geld
in die Kassen gebracht", mutmaßt Pilar, und Silvio ergänzt:
„Jetzt setzt die Stadt mehr auf eine einkommensstärkere
Klientel, der Ordnung und Sauberkeit sehr wichtig ist."
Tourismus ist eine der Haupteinnahmequellen der Stadt.
Mit einem neuen Gesetz, dem „Civisme", was so viel wie
Stadtbürgertum bedeutet, wird versucht, ein Image einer von einem
stolzen Bürgertum sauber und ordentlich gehaltenen Kommune zu
schaffen. Erinnerungen an die Berliner „Urbaniten", die neuen
Stadtbürger, die alles richten sollten, drängen sich auf. Der
„Civisme" kriminalisiert mit seinen Verordnungen alles, was
diesem Image schaden könnte: von Straßenhandel über
Alkoholkonsum auf der Straße sowie Prostitution bis hin zum
Skaten.
Pilar ist es bei der politischen Arbeit wichtig, alle
von einer solchen Entwicklung betroffenen Gruppen mit einzubeziehen.
Sie verbrachte längere Zeit in Deutschland und war oft
enttäuscht über die separatistische Haltung der linken
Aktivistenszene. „Die Strukturen in Deutschland sind sehr gut,
aber oft habe ich den Eindruck, viele wollen letztendlich nicht
wirklich was verändern, weil sie nicht wirklich die Berührung
mit Menschen, die außerhalb ihrer definierten Szenestrukturen
sind, suchen." Die Auseinandersetzung mit Menschen innerhalb einer
Kampagne wie derjenigen in Barceloneta, die oft andere
Lebensentwürfe und inhaltliche Schwerpunkte hätten, sei
anstrengend, aber auch wichtig, wenn einem das Anliegen ernst sei,
betont sie. Auch wenn es nicht völlig gelungen sei, die Umwandlung
der Stadtteile zu verhindern, habe der Protest als Sand im Getriebe
diesen Prozeß oft lange hinauszögern und abschwächen
können.
Und so meint Silvio hoffnungsvoll: „Der gemeinsame
Kampf gegen diese Entwicklung schuf neue Freiräume: Etwa als
Anwohner vor einigen Jahren im Rahmen des Widerstandes gegen die
Umgestaltung ihres Viertels eine alte Villa besetzten." Diese Villa
steht immer noch, genutzt als selbstverwaltetes Stadtteilzentrum
für alle Bewohner der Viertels.
Michael Philips
* Name geändert



Fotos: Michael Philips