Ausgabe 04 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Von Sieg zu Sieg

Zygmunt Bauman hat eine Erklärung für den Fitneß-Wahn

Was könnte erwachsene Menschen dazu bringen, sich freiwillig in einer Turnhalle zu versammeln und zu stampfender Musik und den gellenden Rufen einer durchtrainierten Mittfünfzigerin reichlich komische rhythmische Bewegungen zu machen? Zu schwitzen, müffelnde Umkleidekabinen und modrige Gemeinschaftsduschen benutzen? Fitneß heißt die Lösung, und kaum jemand würde je in Frage stellen, daß ein bißchen sportliche Betätigung zum Wohle des Menschen sei.

Daß es sich bei dieser Art von Anstrengung um mehr handelt, kann man bei dem polnisch-englischen Soziologen Zygmunt Bauman nachlesen. Bauman ist zu Beginn der neunziger Jahre mit einer beunruhigenden Interpretation des Holocaust aus dem Geist der Moderne einem breiteren Publikum bekanntgeworden. Für ihn war der Massen-mord lediglich eine von mehreren Entwikklungswegen, die die Aufklärung neh-men konnte. Seine Interpretation der Moderne hilft zu verstehen, warum Menschen unserer Zeit nach einem Zustand gieren, der mit dem Begriff Fitneß regelrecht verschleiert wird.

Der Schlüssel zum Verständnis des modernen Menschen liegt nach Bauman in der Aufklärung, die gleichsam die Götter stürzte und die Herrschaft der Vernunft installierte. Der Mensch bediente sich nun also seines Verstandes und erkannte, daß er der Natur nicht hilflos ausgeliefert war, sondern selbst die Möglichkeit hatte, sie zu gestalten und zu formen. Die Welt erschien nun nicht mehr als Bedrohung, sondern als Verheißung, als Garten, der nur darauf wartete, gehegt und gestaltet zu werden. Weiße Flecken auf der Landkarte wurden getilgt, und es schien so, als gebe es keine Grenzen mehr. Die Botschaft der Aufklärung, oder das, was davon ankam, war eindeutig: Nichts ist unmöglich, man muß es nur wollen.

Im Angesicht dieser Verheißung mußte der Umstand, daß der Mensch sterblich ist, daß sämtliche Anstrengungen, den Tod zu überwinden, noch stets zum Scheitern verurteilt sind, ein Unbehagen auslösen. Der Tod, so ahnt der moderne Mensch, ist eine Grenze, die er nicht ­ noch nicht, wie er klammheimlich hofft ­ überwinden kann. Das geflügelte Wort vom Tod als größtem Skandal des Lebens tauchte schon im 18. Jahrhundert zum ersten Mal auf. „Der Tod war das letzte, aber anscheinend unverrückbare Relikt des Schicksals in einer Welt, die immer mehr von der Vernunft geplant und kontrolliert wurde", erklärt Bauman.

Wie mit dieser Erfahrung, der Demütigung, an eine Grenze zu stoßen, umgehen? Der Mensch wählt die Lösung, die auch an anderer Stelle funktioniert: Das Problem wird einfach nicht mehr thematisiert. Das bedeutet in der Praxis, daß der Tod aus dem täglichen Leben verbannt wird: Gestorben wird nun nicht mehr im Kreise der Familie, sondern im Altenheim oder Krankenhaus, und dort in speziellen Sterbezimmern; Hinrichtungen finden nicht mehr zur Mittagszeit auf dem Marktplatz statt, sondern, wenn überhaupt, nächtens hinter Gefängnismauern. Dazu erfindet man Rituale und Konventionen und versucht des weiteren, den Tod semantisch zu verstecken: beispielsweise dadurch, daß man jedem Todesfall eine Ursache zuordnet. Denn daß jemand „einfach so" stirbt, würde ja ein Eingeständnis bedeuten, nichts dagegen tun zu können. Womit sich der moderne Mensch nimmer abfinden kann. Bauman: „Der Tod als solcher ist unvermeidlich, aber jeder konkrete Todesfall ist kontingent. Der Tod mag allmächtig und unbesiegbar sein, die einzelnen Todesfälle sind es nicht."

Weil sich die Erfahrung des Todes und seiner Unbesiegbarkeit aber nur verdrängen läßt, man sich nie vollständig von ihr befreien kann, sickert sie in das Unterbewußtsein des Menschen ein ­ und erhält eine größere Bedeutung denn je. Denn auf diese Weise gestattet man dem Tod, das gesamte Leben zu beherrschen, man befindet sich nun im permanenten Abwehrkampf, der bloß nicht so genannt wird. Durch diese Verarbeitungsleistung haben die Ärzte die Stellung errungen, die sie heute innehaben. Sie sind die „Halbgötter in Weiß", die Frontschweine im Krieg gegen die Sterblichkeit. Und sie sind durchaus erfolgreich, erringen immer wieder Siege, Schlacht um Schlacht: Sie weisen jedem Tod eine Krankheit oder ähnliches, jedenfalls eine konkrete Ursache zu, gegen die man vorgehen kann. Sodann kann die Forschung neue Medikamente entwickeln oder der Einzelne durch entsprechendes Verhalten vorbeugen.

Gesundheit wird nun zur Sache des Einzelnen. Jeder kann etwas tun, um dem Tod ein Schnippchen zu schlagen. Hör auf zu saufen! Nimm ab! Senk deinen Cholesterinspiegel! Achte auf deine Zuckerwerte! Treibe Sport (zweimal pro Woche)! Ernähre dich gesund (fünfmal Obst am Tag schützt vor Krebs)! Weil der Mensch nicht einsehen will, daß er nicht allmächtig ist, pathologisiert er den Alltag, medikalisiert sein Leben und rationalisiert damit seine Todesangst. Daß es sinnvoll sein kann, sich gesund zu ernähren ­ wer wollte das bestreiten? Aber, Hand aufs Herz, wer fragt sich umgekehrt nicht, was „nicht in Ordnung" ist, wenn er von jemandem hört, der rauchend hundert Jahre alt geworden ist?

In der Postmoderne verschärft sich das Problem. Jetzt geht es nicht mehr darum, die Gesundheit zu erhalten, sondern nun ist Fitneß das Ideal. Gesundheit ist die Abwesenheit von Krankheiten, Fitneß ist aktives Wohlbefinden. Auch die Abwesenheit von Fitneß ist nunmehr dem eigenen Versagen geschuldet. Da man heutzutage keine Ausreden mehr hat, etwa schwere körperliche
Arbeit, gegen deren Zumutungen man
sich zusammenschließen und rebellieren konnte, kämpft heute jeder ganz allein ­ gegen sich selbst. Die Verantwortung für sein Glück kann man nicht mehr delegieren. Und ewig nagt der Zweifel, ob man das Ziel je erreichen kann.

Durch den permanenten Zweifel entsteht Druck, der sich zu Zeiten entladen muß. Körperpaniken und sporadische Attacken gegen ungesundes Essen oder schädliches Verhalten stürmen durch den Blätterwald. Stets glaubt man dann, man habe wieder einen Sieg errungen, doch eigentlich ist der Kampf ja schon verloren, man will es nur nicht zugeben. Also rennt man wieder in Turnhallen und Fitneß-Studios, unterzieht sich selbstquälerischen Übungen und macht merkwürdige Bewegungen. Schließlich könnte der Tod jeden Moment anklopfen. Aber das sollte man nicht so laut sagen. Man ist doch wegen der Fitneß hier ...

Benno Kirsch

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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