Überzeugen, nicht agitieren
Die Behindertenzeitung Mondkalb geht an den Start
Was für eine selten dämliche Frage, im
Interview der Jungle World: „Es könnten auch Menschen ohne
Behinderung an eurer Zeitung interessiert sein ..."
Tatsächlich? Die Antwort, der kicker habe auch keine
Fußballer als Zielgruppe, fiel dann leider der
Schlußredaktion zum Opfer. Ein Glück, daß an gleicher
Stelle noch Platz war für „Menschen mit Behinderung", statt
Behinderter, und den Hinweis, das neue Blatt werde sich
selbstverständlich auch mit Themen wie „Migration und
Antirassismus" beschäftigen. Nur daß dergleichen von Jan
Plöger, dem Interviewten, nicht gesagt worden war. „Die
Sachen hatte ich beim Autorisieren sogar rausgestrichen", sagt der
Politikstudent und Sitzredakteur der neuen Behindertengazette Mondkalb.
In der Linken habe man das oft, daß Behinderte als Stichwortgeber
gebraucht würden. Politisch korrekt sei dann immer von
„Menschen mit Behinderung" die Rede. Und zur Not würden
einem die besagten „Menschen" eben in den Mund gelegt. Denn nur
wer die richtigen Worte nennt, ist auch auf der richtigen Seite ...
Plöger, der selbst schwer gehbehindert ist, sieht
darin eine Art von Respektlosigkeit, die an und für sich der Grund
sei, weshalb sie Mondkalb gegründet hätten. Etliche Jahre
hätten er und andere aus der Redaktion sich in linken und
linksradikalen Gruppen engagiert für ein Bleiberecht aller
Flüchtlinge, für die Rechte von Schwulen und Lesben in Polen,
für Obdachlose, ja sogar gegen die Wehrpflicht. „All diese
Zirkel und Aktionen aber waren Lichtjahre von unserer eigenen
Lebenswelt entfernt. Warum kämpft eigentlich keiner für uns?"
In diesem Sinne sei Mondkalb das erste wirklich eigene
Projekt. Die Zeitung wird vorerst vierteljährlich erscheinen und
in einer Auflage von 10000 Exemplaren in Berliner Kneipen, Arztpraxen,
Bezirksämtern usw. ausliegen. Finanziert wurde die erste Ausgabe
teilweise vom Berliner Landesverband der Naturfreudejugend. Und wie in
so vielen alternativen Projekten gebe es auch bei Mondkalb am Anfang
mehr Häuptlinge als Indianer. Doch gelte in der Redaktion
mittlerweile die alte SED-Losung: „Arbeite mit, regiere mit!" Das
inhaltliche Konzept könnte einfacher nicht sein: Einklang von
Zeitungs- und Lebenswelt, wobei der Wurm dem Fisch zu schmekken hat und
nicht dem Angler. Im Anspruch orientiere man sich an den früheren
„Berliner Seiten" der FAZ, nur eben mit weniger Geld und etwas
räudiger, „und natürlich sind wir irgendwie links".
Da nun aber die Lebenswelt Behinderter eine völlig
andere sei, werde sich auch Mondkalb von anderen linken Blättern
deutlich unterscheiden. So werden auf der Titelseite unter der
Überschrift „Krüppel aus dem Sack" künftig sogar
Bordelle auf ihre Barrierefreiheit getestet. Es wird eine
„Opferecke" geben, eine Rubrik „United Autists" aber
vor allem „jede Menge Streit." Die Redaktion von Mondkalb werde
überzeugen, nicht agitieren.
Karsten Barkmann