Ausgabe 04 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Zeitreise

Da gab es Ende der Achtziger diese Band namens Dinosaur Jr., die mit ihrem Schrammelgitarrensound und Gesangseinlagen zwischen Wut und Melancholie neue Wege beschritt, ziemlich stilprägend war, aber lediglich nur drei Alben veröffentlichte. Dann kam Grunge, und die Band, die diesen Sound vorweggenommen hatte, zerstritt sich heillos. Nach fast zwanzig Jahren Stille meldete sich Dinosaur Jr. in Originalbesetzung mit einem neuen Album zurück. Originalität kann man nicht konservieren, aber Beyond (PIAS) klingt, als wäre in der Zwischenzeit nichts passiert, was in diesem Fall aber durchaus positiv gemeint ist, denn Dinosaur Jr. begeben sich nicht auf einen lauen Nostalgietrip. Beyond ist erstaunlich frisch und kraftvoll. Okay, vielleicht ist das Rumnudeln auf der Gitarre teilweise etwas langatmig geworden, aber es gibt weit und breit keine Band, die das in Verbindung mit nöligem Gesang so unaufgeregt inspirierend klingen läßt.

Momentan wird Osteuropa und besonders der Balkan fast ausschließlich unter dem Vorzeichen von Folklore und fröhlicher Tanzmusik wahrgenommen. So ist auch Rumänien nicht gerade für seine musikalische Avantgarde bekannt, was sich mit der Veröffentlichung Romanian Jazz (Sonar Kollektiv) zumindest ein wenig ändern könnte. Aus den Tiefen der musikalischen Archive haben das Berliner DJ- und Produzententeam Jazzanova und Stephan Steigleder eine wunderfeine CD kompiliert. Seit den frühen sechziger Jahren veröffentlichte das rumänische Staatslabel Electrecord unter dem Titel „Seria Jazz" eine Reihe von Jazzalben, die im Westen fast vollständig unbekannt blieben. Was natürlich viel mit der Zensur und strikten Reisebeschränkungen des Ceaucescu-Regimes zu tun hatte. Erstaunlicherweise ermöglichte die amerikanische Botschaft in der Regierungszeit von Präsident Nixon Konzerte von Dave Brubeck, Thelonius Monk, Duke Ellington und anderen amerikanischen Jazzlegenden in Rumänien. Zu dieser Zeit wurden aus Bars und Restaurants temporäre Jazzclubs, und das Label Electrecord brachte immerhin 27 Jazzplatten heraus. Welche Schätze auf diesen Alben verborgen sind, ist auf Romanian Jazz nachzuhören. Orientiert an amerikanischen und westeuropäischen Jazzgrößen verwoben die rumänischen Musiker Modern Jazz mit ihrer eigenen Musiktradition. Besonders eindrucksvoll klingt diese Symbiose bei der Sängerin Aura Urziceanu, die mit ihrer Stimmakrobatik, lange vor Popgrößen wie Björk die Stimme nicht nur für den Gesangspart nutzte, sondern als eigenständiges Instrument mit erstaunlichen Klangmöglichkeiten entdeckte. 

Marcus Peter

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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