Zeitreise
Da gab es Ende der Achtziger diese Band namens Dinosaur
Jr., die mit ihrem Schrammelgitarrensound und Gesangseinlagen zwischen
Wut und Melancholie neue Wege beschritt, ziemlich stilprägend war,
aber lediglich nur drei Alben veröffentlichte. Dann kam Grunge,
und die Band, die diesen Sound vorweggenommen hatte, zerstritt sich
heillos. Nach fast zwanzig Jahren Stille meldete sich Dinosaur Jr. in
Originalbesetzung mit einem neuen Album zurück. Originalität
kann man nicht konservieren, aber Beyond (PIAS) klingt, als wäre
in der Zwischenzeit nichts passiert, was in diesem Fall aber durchaus
positiv gemeint ist, denn Dinosaur Jr. begeben sich nicht auf einen
lauen Nostalgietrip. Beyond ist erstaunlich frisch und kraftvoll. Okay,
vielleicht ist das Rumnudeln auf der Gitarre teilweise etwas langatmig
geworden, aber es gibt weit und breit keine Band, die das in Verbindung
mit nöligem Gesang so unaufgeregt inspirierend klingen
läßt.
Momentan wird Osteuropa und besonders der Balkan fast
ausschließlich unter dem Vorzeichen von Folklore und
fröhlicher Tanzmusik wahrgenommen. So ist auch Rumänien nicht
gerade für seine musikalische Avantgarde bekannt, was sich mit der
Veröffentlichung Romanian Jazz (Sonar Kollektiv) zumindest ein
wenig ändern könnte. Aus den Tiefen der musikalischen Archive
haben das Berliner DJ- und Produzententeam Jazzanova und Stephan
Steigleder eine wunderfeine CD kompiliert. Seit den frühen
sechziger Jahren veröffentlichte das rumänische Staatslabel
Electrecord unter dem Titel „Seria Jazz" eine Reihe von
Jazzalben, die im Westen fast vollständig unbekannt blieben. Was
natürlich viel mit der Zensur und strikten
Reisebeschränkungen des Ceaucescu-Regimes zu tun hatte.
Erstaunlicherweise ermöglichte die amerikanische Botschaft in der
Regierungszeit von Präsident Nixon Konzerte von Dave Brubeck,
Thelonius Monk, Duke Ellington und anderen amerikanischen Jazzlegenden
in Rumänien. Zu dieser Zeit wurden aus Bars und Restaurants
temporäre Jazzclubs, und das Label Electrecord brachte immerhin 27
Jazzplatten heraus. Welche Schätze auf diesen Alben verborgen
sind, ist auf Romanian Jazz nachzuhören. Orientiert an
amerikanischen und westeuropäischen Jazzgrößen verwoben
die rumänischen Musiker Modern Jazz mit ihrer eigenen
Musiktradition. Besonders eindrucksvoll klingt diese Symbiose bei der
Sängerin Aura Urziceanu, die mit ihrer Stimmakrobatik, lange vor
Popgrößen wie Björk die Stimme nicht nur für den
Gesangspart nutzte, sondern als eigenständiges Instrument mit
erstaunlichen Klangmöglichkeiten entdeckte.
Marcus Peter