Auf der Suche nach der Lieblingswahrheit
Loose Change entlarvt die 9/11 conspiracy
Neulich bekam ich im Kino noch einen zweiten Film, zum
Mitnehmen für zu Hause. Dahinter steckte jedoch kein
ausgeklügeltes Bonussystem des Lichtspielhauses im Kampf gegen
Videotheken und -download, sondern eine politische Kampagne: Loose
Change, ein US-amerikanischer Dokumentarfilm über die
Vorgänge rund um den 11. September 2001, war mir in die Hände
geraten. Eine Berliner Gruppe vervielfältigt den Film in
Heimarbeit auf DVDs und legt sie vorwiegend in Kreuzberg, Mitte und
Friedrichshain in gut hundert Cafés, Läden und Kinos mehr
oder weniger links-alternativer Prove-nienz aus.
Die Filmemacher von Loose Change, ein paar junge
Amateure aus Oneonta, New York, behaupten zunächst, keine
Antworten geben, sondern Fragen stellen zu wollen: Wer steckte hinter
den Anschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon? Wer
hatte die Möglichkeit, sie durchzuführen? Wer hat von ihnen
profitiert? Und was ist von den „offiziellen Wahrheiten" zu
halten, die von einem Großteil der Medien getragen werden?
Über eine knappe Spielfilmlänge werden
Indizien gesammelt, Mutmaßungen angestrengt und vor allem:
Zweifel gesät. Warum seien bestimmte Personen gewarnt worden, am
11. September öffentliche Flugzeugen zu besteigen? Sieht die
Einschlagsstelle am Pentagon wirklich nach einer Passagiermaschiene
aus? Konnten Brände allein die Zwillingstürme zum Einsturz
bringen? Hat es nicht zahlreiche Berichte über ungeklärte
Explosionen in den beiden Bürotürmen gegeben?
Atmosphärisch dicht verpackt ergibt sich so ein kleines Universum
mit einer konsistenten inneren Logik, die auf eines hinausläuft:
Es sei nicht so gewesen, wie man es uns weismachen möchte. Und mit
großer Wahrscheinlichkeit sei es die US-Regierung selbst, die
hinter den Anschlägen gesteckt haben dürfte.
Etwas erstaunlich mag es schon wirken, wie sich im
Rahmen von Loose Change nahezu widerspruchslos eins zum andern
fügt, wie der Film all jene Indizien zusammensucht, die auf dem
Weg zur Konstruktion einer alternativen Wahrheit nützlich sind.
Wie er vorgibt, Fragen zu stellen, jedoch überdeutlich Antworten
suggeriert.
Wer sich die Mühe macht, aus der Berieselung durch
einen Dokumentarfilm auszusteigen und sich z.B. im Internet durch die
zahlreichen Reaktionen auf Loose Change zu lesen, wird dort ein
erstaunlich konträres Bild vorfinden. An so mancher Stelle
zerpflücken die Skeptiker der 9/11-Skeptiker nämlich
haarklein die Argumentationen und Darstellungen jener Leute, die
angeblich nur Fragen stellen wollen. Da wird geradegerückt, aus
welchem Zusammenhang dieses oder jenes Zitat gerissen wurde, wie
tendenziös Bilder ausgewählt wurden, um die präferierte
Theorie zu stützen, wie hanebüchen sogar manche
Interpretation von Geschehnissen daherkommt, wenn man sie mal auf ihre
Stichhaltigkeit hin abklopft. So werden die Macher von Loose Change ein
ums andere Mal vorgeführt, Informationen nicht nur auf höchst
fragwürdige Weise ausgewählt und dargestellt zu haben, ihnen
wird sogar hier und da nachgewiesen, entlastendes Material gezielt
verschwiegen zu haben.
Beunruhigend ist also nicht nur, welchen Erfolg eine
halbwegs geschickte Zusammenstellung von Halbwahrheiten und
Verdrehungen haben kann, solange sie ein konsistent erscheinendes Bild
ergibt. Einfache Antworten bedienen diffuse Zweifel, indem alles
Ungewisse sich angesichts einer mächtigen und zielgerichtet
handelnden Hand in Luft auflösen darf. Mittlerweile beschweren
sich US-amerikanische Linke wie Alexander Cockburn bereits, ihre
Bewegung verliere sich im Schulterschluß mit populistischen
Rechten zusehends in düsteren Verschwörungstheorien
gegenüber der Regierung, statt sie von Krieg und Sicherheitswahn
abzuhalten. Was passiert aber, wenn ein Film über den großen
Teich wandert? Hier wird die Verschwörung nicht mehr länger
bei der „eigenen" Regierung gesucht, so wie es den Filmemachern
von Loose Change geht, sondern herbeihalluzinierten Kräften auf
der globalen Hitliste des Bösen. Warum wurde Loose Change, wie
zuvor Fahrenheit 9/11 von Michael Moore, denn gerade in Europa so
populär? Eben weil hier der Wille, die USA abzuqualifizieren und
sich selbst demgegenüber als das geläuterte, kritische und
ach so friedliebende „Old Europe" zu vergewissern, unheimlich
viele Freunde hat.
Um wieviel konsequenter ist da doch der Vater des
Hamburger Todespiloten Mohammed Atta. Der nämlich kam vor drei
Jahren im Gespräch mit einem Reporter des Cicero zu dem
Schluß, niemand anderes als der Mossad könne hinter dem
„Komplott" gegen seinen Sohn, er meint damit die Anschläge,
stecken: „Nur die Juden können das. Niemand anderes sonst."
So findet jeder die Wahrheit, die er sucht. Tobias Höpner
Loose Change (USA 2005),
Regie: Dylan Avery.
http://www.werboom.de/vt