Ausgabe 03 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Geht doch nach Paris, wenn’s euch hier nicht paßt!

Weltstadt müßte man sein: New York, London, Paris – das in den Neunzigern endlos wiedergekäute Mantra, wie Berlin zu werden habe, kann man schon im Schlaf herbeten. Doch selbst der Montmartre-Vergleich für Prenzlauer Berg war irgendwann auch für den letzten Feuilletonisten schon zu abgegriffen. Nun aber kommt unverhofft der Paris-Wahn noch einmal mit dem Holzhammer um die Ecke: An der Ecke Kollwitz-/Belforter Straße soll die Luxuswohnanlage „Palais Kolle Belle" gebaut werden. „Pariser Flair mitten in Berlin" verspricht der Kaufprospekt. In vier Häusern am Blockrand und zwei im Innenhof sollen insgesamt 74 exklusive Eigentumswohnungen entstehen. Das Angebot fängt bei 300000 Euro für eine 100-Quadratmeter-Wohnung an und hört bei 867300 Euro für eine 250 Quadratmeter große Dachgeschoßwohnung im Gartenhaus auf. Fast alle Wohnungen haben zwei Balkone und zwei Bäder, manche sogar drei.

Nachdem der blaue Flachbau eines Rechenzentrums abgerissen worden war, wurde die Brache zu einem inoffiziellen Hundeauslaufplatz, auf dem immer wieder Wanderzirkusse gastierten. Auch eine vertriebene Wagenburg machte hier kurzzeitig Station. Typisch Prenzlauer Berg eben. Aber damit ist nun endgültig Schluß. Jetzt entsteht hier laut Eigenwerbung „eine der besten Adressen Berlins".

Die Fassaden sollen mit allerlei Gesimsen, Erkern, Loggien, Balkonen und Giebelchen an Pariser Bürgerhäuser erinnern. Eine Reminiszenz an die vorletzte Jahrhundertwende, die Belle(!) Époque, dient als Projektionsfolie für den Lebensentwurf des 21. Jahrhunderts. Es wunderte nicht, wenn auch Dienstbotenaufgänge geplant wären. Entworfen hat das alles der Schweizer Architekt Marc Kocher, der schon die Backfabrik ganz allerliebst saniert und kürzlich auch noch einen babyblauen Showroom in Form einer florentinischen Renaissance-Kirche davorgestellt hat. Kocher spricht Berlin das höchste Lob aus, das es gibt: so wie Paris zu sein. „Die unzähligen Straßencafés, die vielen Ateliers der jungen Modernen und Kreativen, das enge Miteinander von Provokation und Tradition in dieser Stadt erinnern an das Savoir-vivre von Paris wie nirgendwo sonst", meint Kocher.

Im „Kollwitzplatz-Kiez" ist zumindest die Provokation alltäglich geworden. Braungebrannte Yuppies brausen die Kollwitzstraße mit ihren Cabrios, Roadstern oder Großstadt-Geländepanzern entlang, parken an der Ecke Sredzkistraße quer auf den Fußgängerüberwegen, lassen sich des winters in Straßencafés von Heizpilzen bestrahlen, bestellen einen Latte macchiato nach dem anderen, starren eifrig in ihre Laptops und lesen demonstrativ Le Monde. Der Stadtteil ist zu einem Viertel geworden, in dem die Schnösels und Tussis richtig schön ihre provokative Egozentrik ausleben. Abends geht man dann wie die Touristen, die auf der Suche nach Künstlerkneipen in ballermannartigen Stampen gelandet sind, zu Alkoholischem über, und das kann auch mal etwas lauter werden. „Pariser Flair mit Berliner Laisser-faire", schwärmt der „Kolle Belle"-Prospekt. Wer sich davon gestört fühlt, weil er etwa über dem Ballermann wohnt und am nächsten Morgen zur Arbeit muß, hat einfach das Savoir-vivre nicht verstanden.

Von jemandem, der sich so frankophil gibt, sollte man nebenbei auch erwarten können, daß er „Bohème" richtig schreiben kann. Doch steht in großen Lettern auf dem Bauzaun: „Ob Bohême, Bourgeoise oder De Luxe: Hauptsache, Sie fühlen sich wohl". Man muß nicht marxistisch geschult sein, um das als Kampfansage zu verstehen. In etwa: Ob Prekariat, Hartz IV oder arme Sau: Hauptsache, ihr verschwindet. Fühlt euch woanders wohl.

Das Projekt trifft den Ton der Zeit: Inzwischen ist in Berlin die Lobby für Gut- und Spitzenverdiener groß, entsprechend werden die Übrigen als Sozialneider und Miesmacher diffamiert. Die Gutbetuchten nutzen die Gunst der Stunde und setzen auf Argumente wie kaufkräftig und in geordneten Verhältnissen lebend vor allem auch dann, wenn sie ihre Vorstellungen jenseits der eigenen vier Wände durchsetzen wollen ­ derzeit wieder am Helmholtzplatz zu verfolgen, von dem die Alkoholiker endgültig verschwinden sollen, weil sie ihr Leben noch nicht der neuen, aufgehübschten Szenerie angepaßt haben. Wer viel Geld für sein Eigentum ausgegeben hat, möchte zwangsläufig seine Investition in einem aufstrebenden Stadtteil abgesichert wissen. Noch sei dahingestellt, ob die künftigen Eigentümer im „Palais Kolle Belle" sich mit einem abgeschotteten Inselleben der Seligen bescheiden werden.

Das alles preist sich unter dem Namen der sozial engagierten Künstlerin Käthe Kollwitz und ihres Mannes, des Armenarztes Karl Kollwitz an. Käthe Kollwitz hat sich sicher schon so manches Mal in ihrem Grab umgedreht. Wie oft soll sie noch rotieren? Friede ihrer Asche.

Ragna Lindström

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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