Ausgabe 03 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

„In erster Linie Abstraktion"

Während Graffiti in seinen konventionellen Spielarten nach wie vor die Gemüter erhitzt, bemerkt das Graffitimuseum seit mehreren Jahren, daß sein Material verschwindet. Tilgungen, versuchte Entfernungen und Überstreichungen sah die Institution bis vor zwei Jahren zwar als willkürliche, jedoch natürliche Entwicklung, die den Gesamttext Graffiti ungemein dynamisiert, nicht aber als Teil einer rivalisierenden Kampagne kritischer Autoren. Bei der Präsentation der Abteilung „Spuren und Zensuren" im Sommer 2005 trafen Museumsmitarbeiter auf Aktivisten einer Bewegung, deren Interventionen möglicherweise als Graffiti zu bezeichnen sind. Ihre Werke muten sublim und gleichzeitig brutal an. Sie unterziehen das Phänomen Graffiti einer existentiellen Fragestellung, indem sie die aktuelle Beziehung zwischen Inhalt und Form zuspitzen. Nachdem Farbflecken und Spuren von überstrichenem Graffiti zumindest seit Matt McCormicks Film The Subconscious Art of Graffiti Removal in den Kontext der avantgardistischen Kunst gestellt wurden, arbeiten aktuell diverse Künstler mit Techniken des sogenannten Buffings1. Gleichzeitig

experimentieren Konzerne mit Strategien des Guerillamarketing, wenn sie zum Beispiel mit Hilfe von Schablonen ihre Logos auf dreckige Oberflächen sandstrahlen lassen. Das folgende Interview läßt drei Aktivisten zu Wort kommen.

Wie dürfen wir euch nennen?

1: Na, sag doch einfach 1, 2, 3.

2: Nee, lieber Atzepeter, Kalle Peng und Daniel Düsentrieb. (Gelächter)

3: Mal im Ernst: Es geht uns ja gerade darum, dieses schizophrene Namensding zu thematisieren. Nummern wären natürlich auch falsch, aber egal, laß endlich anfangen.

Vielleicht bleiben wir doch noch kurz bei den Namen. Ihr verfolgt ja wirklich einen radikalen Ansatz. Es gäbe ja auch andere Möglichkeiten, Pseudonyme oder Wörter, also den sich stetig wandelnden Text in der Stadt, zu dekonstruieren ...

2: (unterbricht): ... also wenn du jetzt Street Art meinst, niedliche Figuren und pseudointeressante Liebesgeschichten und so, dann hast du es echt nicht kapiert!

3: Paß auf, die Haltung, die Graffiti in Inhalt und Ausgestaltung bis vor zehn Jahren vermittelte, ist heute einfach zu lesbar geworden. Street Art macht das allzu deutlich. Man will nicht mehr anecken und für alle schnell verständlich sein. Die Einheit, das Elitäre, das Kryptische ... ist alles vor die Hunde gegangen. Uns geht es nicht um die einzelnen Namen, auch nicht um einen Text oder so etwas. Klar sind Namen ein elementarer Bestandteil von Graffiti, aber gleichzeitig sind sie auch die größte Schwachstelle.

Ich dachte, bei Graffiti geht es um Namen?

2: Und ich denke, ihr wollt ein Graffitimuseum sein? (Gelächter) Style, Individualität, Präsenz und natürlich Fame, darum geht es doch.

Wovon man bei euren Sachen auf den ersten Blick ja nicht gerade reden kann. Wenn ihr Graffiti so sehr verbunden seid, warum entfernt ihr euch dann so stark davon?

1: Wir und entfernen? Quatsch, wir wollen verbinden!

2: ... wir hatten natürlich auch mal alle Namen, die sind unvergessen! Schwamm drüber.

3: Bloß, wir sind die einzigen, die die Zeichen der Zeit erkannt haben. Es geht um Reduktion. Weniger ist mehr! Wir wollen Spuren hinterlassen statt Namen.

2: Die Bewegung muß reformiert werden. Und das geht nur mit strengen Maßnahmen. Worte verraten!

Moment, das war jetzt zu schnell. Macht ihr dann nicht das gleiche wie der Antiheld Cap, der damals in New York nicht durch Qualität auffiel, sondern durch massives Überschreiben und Entwerten von Writing?

3: Cap hat die Regeln verletzt, wir zerbrechen sie. Und wir wissen doch alle, wohin diese Fame-Schiene führt. Egal ob Buntproduktionen an der Line2 oder Kamikaze-Bombings3: Die Egomanie der Writer hat sie

dahin gebracht, die Höher-Schneller-Weiter-Gesellschaft so weit nachzuahmen, daß man sie nicht mehr von ihr unterscheiden kann.

1: Heutzutage ist es doch so: Die Abgrenzung, zum Beispiel zur Werbung, ist schon so verschwommen, daß Produkte mit den geilsten drippenden Tags vermarktet werden, und Sprüher sich mit ihren Namen selbst wie Produkte anpreisen. Da fragt man sich doch, ob Graffiti nicht komplett in die Horizontale gerutscht ist.

Ihr meint, daß Werbefachleute und Textildesigner die Graffitiästhetik als Jugendkultur banalisieren? Das ist ja nun nichts Neues. Geht es euch um verratene Ideale?

3: Kill your idols! Solange die Writer sich nicht bewußt sind, welche Ideale sie vertreten, solange ist Graffiti ausnutzbar! Die Writer haben mit ihrer Buchstabengläubigkeit ja einen guten Teil dazu beigetragen. Das beharrliche Festhalten am individuellen Rumgeblöke muß ein Ende haben. Diese Kultur ist inzwischen so instrumentalisierbar geworden, daß mir das Kotzen kommt. Wenn man inzwischen mit der Playstation bomben gehen kann und Musikvideos von schlechten Styles nur so überquellen, muß jemand die Notbremse ziehen!

2: Graffiti führt doch nur noch ein Schattendasein seiner selbst. Wir bringen das auf den Punkt.

Aber was ihr macht, ist doch, gelinde gesagt, nichts anderes als zu crossen4, oder? Ist das nicht irgendwie feige?

2: Feige? Weißt du, wie oft wir schon botten5 mußten? Nochmal: Es geht bei unseren Aktionen nicht um uns, es geht um die Bewegung.

1: Absolutes Graff6, Mann! Minimalismus! Das ist das neue Ding. Und außerdem werden wir auch oft gecrosst.

3: Ihr könnt uns glauben: Uns tut das mehr weh als den anderen. Aber wir machen ja auch nicht wirklich etwas kaputt. Wir veredeln, wenn du so willst. Wir überführen die Eindeutigkeit in Uneindeutigkeit. Was dabei herauskommt, sind Spuren des Nichtkonformen. Keine gestotterten Formulierungen, sondern klare Formen. Jedes unserer Pieces verweist auf eine Störung. Das, was da war, ist nicht ausgelöscht, es ist halt nur noch Gestalt. Eine rein formale Verletzung der Ordnung, die auf eine Kraft verweist, die stärker ist als ein einzelner Name oder Style. Durch unsere Eingriffe machen wir sie wieder zum Geheimnis.

Der Philosoph Jean Baudrillard schreibt die Sprengkraft im Graffiti den scheinbar leeren Signifikanten zu, mit denen die Stadt symbolisch umbenannt wird. Sucht ihr in Graffiti ein revolutionäres Potential?

1: Als Graffiti lebte, brachte es die Ordnung durcheinander. Die Provokation kannst du heute abschreiben.

2: Genau. Das Ganze ist ja auch schon mehr als dreißig Jahre alt. Was wir zur Zeit erleben, ist so etwas wie eine Midlife Crisis. Guck dir doch die ganzen Kunden an, die jetzt alle einen auf Künstler machen und die Kultur zu Grabe tragen. Wir sind keine Trauerklöße.

Was setzt ihr dagegen? Wie arbeitet ihr?

1: In erster Linie Abstraktion. Das ist das A und O.

2: Und trotzdem massives Bombing, nur halt ohne Larifari.

Was war eure krasseste Aktion?

2: Fahrt doch mal ein bißchen U-Bahn. U6, die Bahnhöfe, das war schon geil.

Wie sieht die Zukunft aus? Was würdet ihr gerne noch reißen?

1: Kurz vor Friedrichstraße, du weißt schon, da sparen wir noch ...

3: Im Friedrichshain gibt es gerade coole Spots.

Die letzte Frage ist obligatorisch. Habt ihr noch eine Message an Berlin?

1: Take it easy!

Vielen Dank für das Gespräch.

1buffing: entfernen, reinigen

2line: Bahntrasse

3bombing: schnelles, auf Qualität angelegtes Sprü-

hen

4crossen: Überschreiben oder Entfernen von Graf-

fiti

5botten: umgangsprachlich für weglaufen

6graff: Kurzform von Graffiti

Interview: Nalk Ivique und Jo Irrläufer

(Graffitimuseum)

Das Graffitimuseum sammelt und entwickelt Lesarten von Graffiti. Bei der Ausstellung Backjumps – The Live Issue 2 (2005) kam es zum ersten Kontakt mit den Interviewten. Wir danken ihnen für den Einblick in ihr Fotoarchiv, dem alle Abbildungen entnommen sind.

www.graffitimuseum.de

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