Ausgabe 03 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Die Erforschung sexueller Zwischenstufen

Magnus Hirschfeld, ein Mitbegründer der Sexualwissenschaft

Magnus Hirschfeld ist ein Pionier der Sexualwissenschaft. 1868 in Kolberg geboren, studiert er zuerst Philologie, dann Medizin. Bereits 1897 gründet er das „Wissenschaftlich-humanitäre Komitee", das sich gegen die Kriminalisierung Homosexueller wendet und verfaßt eine erste Petition an den Reichstag mit dem Ziel, den Paragraph 175 des Strafgesetzbuchs abzuschaffen. Die endgültige Streichung dieser Bestimmung, die homosexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellte, erfolgt erst 1994, also fast 100 Jahre später.

Mit der Erforschung „sexueller Zwischenstufen", wie Hirschfeld Homosexuelle, Hermaphroditen und Transvestiten bezeichnet, beginnt er schon im 19. Jahrhundert. Auch befürwortet er als erster operative Geschlechtsumwandlungen, mit denen um 1910 begonnen wird und die Ende der zwanziger Jahre bereits routinemäßig durchgeführt werden. Mit dem Ende des Kaiserreichs erhofft er sich eine Liberalisierung der Gesellschaft und insbesondere des Sexualstrafrechts. Sein 1919 gegründetes Institut für Sexualwissenschaft in Tiergarten ist weltweit die erste Einrichtung ihrer Art, ein Ort der Behandlung, Beratung, Aufklärung und Forschung. Es ist Treffpunkt von strafrechtlich Bedrohten wie von Intellektuellen und Linken.

Seine Beschäftigung mit Eugenik muß im Lichte des sozialdarwinistisch geprägten Zeitgeistes gesehen werden. Aber als Homosexueller, Sozialist und Jude ist er nationalsozialistischer Sympathien gänzlich unverdächtig. 1920 wird er nach einem Vortrag von rechtsextremistischen Schlägern schwer verletzt. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wird sein Institut geplündert und geschlossen. Die umfangreiche Bibliothek wird zum Teil bei der Bücherverbrennung vernichtet, zum Teil verkauft. Erst kürzlich ist es der in Berlin ansässigen Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft gelungen, Teile dieser Bibliothek in Kanada zu erwerben.

Hirschfeld lebt seit 1932 im Exil. Am 14. Mai 1935 stirbt er an seinem 67. Geburtstag in Nizza. Als umfassend gebildeter und umtriebiger Freigeist ist er insbesondere als Ikone der Schwulenbewegung bis heute unvergessen. Darüber hinaus hat er sich aber auch für Frauenrechte oder die Legalisierung der Abtreibung engagiert.

Seit 1982 kümmert sich die Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft um die Erinnerung an seine Person und die kritische Aufarbeitung seines Werkes. Im Mai 2008 plant sie zum 75. Jahrestag der Bücherverbrennung eine Ausstellung in Berlin im medizinhistorischen Institut der Charité; bereits jetzt kann man unter www.hirschfeld.in-berlin.de eine Online-Ausstellung besuchen.

Frank Fitzner

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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