Ausgabe 03 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Schwamm drüber übers Thesen-Theater

Pollesch und die „Generation Praktikum"

Mal wieder im Theater gewesen. Volksbühne, oder genauer: Prater. Pollesch. Tod eines Praktikanten. Ist durchaus amüsant gewesen. Vor allem: durchaus.

Die Volksbühne ist schon immer meine Lieblingsbühne gewesen. Als es die Eintrittskarten zu fünf Mark gab, habe ich mir fast jede Inszenierung angesehen, und zwar so viele, daß ich mich bremsen zu müssen glaubte, um der Volksbühne ein wenig Zeit zu geben, neue Stücke zu inszenieren. Für fünf Mark guckte ich mir jeden Mist an. Leider verstieg sich die Leitung des Hauses im Verlauf der neunziger Jahre dazu, die Preise auf sieben Mark und noch weiter anzuheben. Aber für sieben Mark und mehr guckte ich mir nicht mehr jeden Mist an.

Als irgendwann dann der Hauptstadtumzug kam, änderte sich zudem das Klima. Nun konnte man nicht mehr einfach in die Volksbühne gehen und sicher sein, daß man noch eine Karte bekommen würde. Es hatte sich nämlich herumgesprochen, daß hier nicht nur gespuckt, gekotzt und geschrieen wird, sondern daß das Gespucke, Gekotze und Geschreie nicht als Krawall um des Krawalls mißverstanden werden durfte, sondern im Kontext einer bestimmten ­ diskussionswürdigen, das zumindest! ­ Vorstellung von Theater zu deuten war.

Und dann das: Globalisierung, Gentrifizierung, Marginalisierung, Prekarisierung. Und Pollesch. Pollesch sondert nicht ganz falsche, jedoch nie ganz originelle Theorien ab, die von der Repräsentation der Unterschicht in der Kunst handeln (oder so ähnlich). Pollesch: „Ein Theaterabend, der sich mit der sogenannten Unterschicht beschäftigt, und zwar als Repräsentationstheater, performt vor allem die Differenz zum Mittelstand, der im Zuschauerraum sitzt und auf der Bühne." Und hat also jetzt den Praktikanten oder gar ­ warum nicht? man traut sich ja was zu ­ die „Generation Praktikum" als solche als Thema für einen ­ kurzen und schmerzlosen ­ Theaterabend entdeckt.

Drei großartige Schauspielerinnen ­ Inga Busch, Christine Groß und Nina Großjäger ­ wuseln in Brautkleidern vor und hinter der Bühne herum, steigen auf eine Leiter und wieder herunter, wälzen sich abwechselnd auf dem Boden und quasseln unaufhörlich recht unzusammenhängendes Zeug, das wohl so eine Art Theorie der Generation Praktikum ergeben soll. Dabei werden sie von der Souffleuse begleitet, die nur manchmal einspringen muß, und von einer Dame mit einer Handkamera. Das ist eine Weile sehr lustig, denn die genannten Actricen verstehen sich wirklich gut auf ihr Handwerk. Handlung? Welche Handlung?

Hat sich also wieder gelohnt. Volksbühne bleibt Volksbühne. Gelernt, daß Thesen-Theater doch nicht ausgestorben ist. Schwamm drüber und fest vornehmen, mal wieder eine Inszenierung anzusehen, die etwas Relevantes zu sagen hat. Castorf oder so. Insofern: Keinen Schaden genommen, nicht die ganze Zeit gelangweilt. Nur der Preis, der ist ein bißchen hoch gewesen. Dafür will ich mir nicht noch mal so einen Mist ansehen.

Benno Kirsch

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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