Ausgabe 03 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Foto: Heike Overberg

Echo des Schulalltags

Eine Dokumentation des Wandels in der Kastanienallee

Aus dem grauen, tristen Gebäude der Gustave-Eiffel-Gesamtschule in der Kastanienallee 82 ist ein schmuckes Haus geworden. Größere Fenster, helle Fassade, eine freundliche Grafik ist zur Straße hin aufgespannt. Auf der Terrasse des Cafés „Die Schule" nippen Touristen und Müßiggänger an ihrem Latte. So schön kann eine Schule sein. Allerdings ist das hier keine Gesamtschule mehr. Das sieht jedes Kind. So schön ist keine Gesamtschule. Jedenfalls nicht in Berlin. Aus der Gustave-Eiffel-Oberschule wurde eins, fix, drei, abrakadabra – eine private Sprachenschule. Wo früher Schüler mißmutig durch die Flure schlurften, wo Kämpfe, manchmal mit blutigem Ausgang, zwischen schmuddeligen Wänden ausgetragen wurden, befindet sich jetzt die Lounge eines Hotels. Am Tresen im Foyer geben Angestellte den Schülern freundlich Auskunft über das Nachtleben im Szenebezirk. Nebenan hocken Schüler mit Laptops auf den Knien. Über den Hof schlappen Gäste, die Hotelzimmer in den übrigen Gebäuden bewohnen.

Es waren insgesamt fünf große Gebäude, die zu der ältesten Schule im Prenzlauer Berg gehörten. Das öffentliche Grundstück, das der Bezirk an die Sprachenschule verpachtete, spannte sich von der Rückwand des Dock 11 bis zur Hinterfront des Stadtbades Oderberger Straße und von der Kastanienallee bis zur Choriner Straße. Aber was wurde aus den Schülern der Gustave-Eiffel-Gesamtschule? Die sind umgezogen. Wurden in große Pappkisten verpackt und in eine unbedeutendere Straße gefahren, samt ihren zerfledderten Schulbüchern, Globen und ausgestopften Tieren und schmuddeligen Reagenzgläsern und Schutzbrillen, samt ihren Lehrern und Hausmeistern und Putzfrauen. Paßten nicht mehr in die Szene. Waren hier nicht mehr erwünscht. Vermutlich hätte niemand bemerkt, daß die Schule aus der hippen Meile verschwindet, denn das Bezirksamt hat zum Umzug nicht gerade die Glocke geläutet und den Hammer geschwungen. Der Handel um das letzte öffentliche Grundstück im Kiez wurde eher im Flüsterton geführt. Vermutlich hätte niemand auch nur nachgefragt, was da eigentlich vor sich geht, wäre nicht eine Gruppe Künstler vor Ort gewesen, ein bunter Störfaktor, ein Virus, der die Normalität des Wandels unterbrochen hätte.

Im April 2002 erhielt Wolfgang Krause von der Kunsthochschule Berlin-Weißensee einen Lehrauftrag zum Thema „Kunst im Stadtraum". Den Raum seiner Lehrveranstaltungen fand Krause direkt vor der Haustür, in der Gustave-Eiffel-Gesamtschule. Im Dezember 2002 sollte sie geschlossen werden. Die Jugendlichen kurz vor dem Umzug, das Echo des Schulalltags in dem leeren Gebäude, dessen ungewisse Zukunft ­ Krause sah darin ausreichend Spielraum für künstlerische Reflexionen. Doch der Umzug zog sich hin, weit über das Semester hinaus. Das Virus nistete sich ein, nährte sich von dem Prozeß. Die Symptome waren auffällig. In insgesamt vier Projekten zeigten die Kunststudenten aus Weißensee neben namhaften Künstlern wie Inge Mahn und Arnold Dreyblatt ihre Arbeiten zum „Schulschluß". Drei Jahre lang intervenierten sie unter Wolfgang Krauses Leitung in der Schule.

Jetzt haben Wolfgang Krause und Peter Müller eine Dokumentation des Prozesses herausgegeben. Schulschluß ist das attraktive Tagebuch dieser drei Jahre andauernden Symbiose zwischen Schulalltag und Kunst. Schulschluß zeigt, wie viel Geduld und Akribie notwendig sind, um Kunst im öffentlichen Raum zu praktizieren. Kunst braucht diplomatisches Geschick und eine präzise Buchführung. Schulschluß ist mehr als die Chronik künstlerischer Arbeit. Es ist auch ein Buch vom gesellschaftlichen Wandel, der sich weltweit vollzieht und den man auch in einem kleinen Berliner Kiez beobachten kann.

Arnold Dreyblatts Installation „Die verschwundene Klasse 7d/1961", eine Rekonstruktion aus Fundstücken und Phantasie, ist noch heute in einem Schaukasten im ersten Stock der Sprachenschule, Kastanienallee 82, zu besichtigen. Eine kleine Narbe, Überrest der Virusinfektion.

Kathrin Schrader

Wolfgang Krause/Peter Müller (Hg.): Schulschluß. Vice Versa Verlag, Berlin 2007. 18 Euro.

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