Ausgabe 03 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Alles wird Knut

Nämlich Ditte. Und Menschenkind? In weiter Ferne so nah, in naher Nähe so fern? Warten an der Ehrenmal-Haltestelle. Es ist dunkel. Nur der Mond scheint über der Schönholzer Heide. Jetzt, da das Käuzchen schreit, schüttelt sich Ditte und schreit zum Himmel. Das Käuzchen schweigt. Haareraufen, Hände zum Nachthimmel erheben, mit dem Absatz in die sandige Erde stampfen, daß es nur so staubt, das hat die Einsame schon alles hinter sich, ganz zu schweigen von den zahllosen Versuchen, Menschenkind auf dem Handy zu erwischen. Immer wieder landet sie bei dem Spruch, der von ihren Bemühungen, sich das geheimnisvolle Mobiltelefon verfügbar zu machen, geblieben ist. Man hört statt eines manierlichen BITTE SPRECHEN SIE NACH DEM SIGNAL: ALSO DAS SCHEISSDING (Dittes Stimme) DAS HAST ABER DU GESAGT (Menschenkinds Triumphgeheul); was sich nicht wieder entfernen ließ, auch nach dem In-die-Ecke-Donnern ertönt nach wie vor der Spruch ALSO DAS SCHEISSDING DAS HAST ABER DU GESAGT. Und wenn man versucht, jemanden zu erreichen, und sich selbst ALSO DAS SCHEISSDING sagen hört, dann ist es schon zum Verzweifeln. Als wäre ihr Stoßgebet erhört worden, rast ein heller Schein über die Heide. So sieht das also aus, wenn uns eine Sternschnuppe heimsucht, denkt Ditte bei sich, als Bremsen quietschen, sich ein fröhlich erhitztes Gesicht in dem beleuchteten Ausschnitt zeigt, den die Scheinwerfer eben scheinwerfen, und fragt: „Ist das der Weg zum sowjetischen Ehrenmal?" Ditte schüttelt den Kopf, aber nicht, weil der Weg falsch wäre, „Nein, sie sind kurz davor", aber die Stimme! Ihr kommt die Stimme so bekannt vor. Sie schüttelt sich ganz und gar. Auch das noch. Ein Verrückter mit Menschenkinds Stimme. „Was wollen Sie dort?" erwidert sie entgeistert. „Meinen restaurierten OLDTIMER im richtigen Ambiente fotografieren. Der Nachthimmel soll ihn vor den monumentalen Monumenten so richtig zur Geltung bringen. Darf ich Sie ein Stück mitnehmen?" Das geschieht Menschenkind recht, wenn er sie wieder einmal so schmoren läßt. Geht sie mit einem jungschen Verrückten durch. „Warum nicht?" sagt sie wie im Hollywoodschinken. „Was ist das für ein Wagen?" Mit dieser Frage hat sie eine Schleuse geöffnet. Es sprudelt nur so über die jungenhaften Lippen mit dieser vertrauten Sonanz: „Sie steigen in einen OPEL Kadett Strich ZEH; Baujahr 1973. Ich war noch im Teich, da haben die bereits Automatik eingebaut. Das ist wie mit der Planetenlaufuhr im mathematisch-physikalischen Salon in Dresden. Da hat 1563 so ein Handwerker bereits das Differentialgetriebe erfunden, ganz einfach, weil er es brauchte für die Übersetzungen, und dann hat es die Menschheit für dreihundertsiebzig Jahre einfach vergessen, bis sie es wieder brauchte..." Zum Glück kein Traktor, denkt Ditte und schiebt sich ins Auto.

Als es ihr behaglich wird, sie sich ganz dem Abenteuer überlassen will, ertönt es hinterhältig: „In der Schönholzer Heide, da gab's 'ne Keilerei; und Menschenkind nicht feige, war mittenmang dabei!" Gelächter links, Gelächter hinten, und fast will es ihr scheinen, es käme aus ein und derselben Kehle. Verdammte Fallensteller. Sie kann nicht anders, sie muß mitlachen. Um ihren Hals schließen sich von hinten zwei warme Hände. „Ditte, du Gute, hast du vergessen, was ich dir geflüstert habe? Mein verlorener Sohn kommt, der sich in die alten Bundesländer verdrückt hat, um ein solides Handwerk zu lernen. Und das ausgerechnet in Becks Rheinland-Pfalz, auf der Sonnenseite unserer neoteutonischen Heimat. Der Klimawechsel als Verharmlosung der Katastrophe, verstehste?"

Der Wagen bremst vor den Portalfackeln des sowjetischen Ehrenmals. „Ich bin der Rolli, ich bin der Tritratrolli", bricht es aus dem jungen Mann neben ihr, der ihr die Handwerker-Hand entgegenstreckt, hervor. „Aber in Wahrheit möchte ich ein Eisbär sein. Und mein wirklicher Name ist Knut."

Ditte fühlt sich leicht überrollt, aber gut. Irgendwann wird alles Knut.

Brigitte Struzyk/Dieter Kerschek

www.knut.de

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