Ausgabe 02 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Vom zunehmenden Ausstoß an Klimaschutz-Floskeln

„Alle reden vom Klima – wir nicht" ist nicht gerade das, was der Berliner Landespolitik oder dem lokal vorherrschenden Stromversorger Vattenfall vorgeworfen werden könnte. Geredet wird ja allerhand, angeheizt von jedem trockenen Sommer und milden Winter, Orkan um Orkan, Studie um Studie. Sogar Frau Bundeskanzlerin spuckt große Töne, den Klimaschutz zum Leitthema zu machen – zumindest solange es die heimische Wirtschaft nicht betrifft.

Berlin hingegen ist in der komfortablen Lage, durch den Niedergang der lokalen Industrie, die Sanierung heruntergekommener Häuser und das Ersetzen veralteter Kraftwerkstechnik im Vergleich zu den 1990er-Werten über ein CO2-Minderungspolster zu verfügen, angesichts dessen der Senat gar von einer „Vorreiterrolle" spricht. Waren ­ errechnet nach dem Verursacherprinzip ­ 1990 die Berliner noch für einen jährlichen CO2-Ausstoß von etwa 30 Millionen Tonnen verantwortlich, so ging dieser bis 2002 auf etwa 25 Millionen Tonnen zurück. Das aktuelle Landesenergieprogramm von 2006 hält an dem früheren Ziel fest, diese Zahlen bis 2010 auf 22 Millionen Tonnen zu drücken, was insgesamt einem Rückgang um 25 Prozent entspräche.

Dieses Ziel sehen Umweltschützer nun ernsthaft in Gefahr, da Vattenfall angekündigt hat, in Berlin ein neues Steinkohlekraftwerk zu errichten. Mit 800 Megawatt Leistung würde es alle bisherigen Berliner Kraftwerke übertreffen. Während sich einige Lichtenberger Sorgen machen, die neue Anlage könnte, sofern sie am wahrscheinlichen Standort Rummelsburg ans Netz gehe, durch ausgestoßene Wasserdampfwolken den Himmel verdunkeln, rechnen andere schon mal die erwarteten CO2-Werte zusammen. Michael Schäfer, für die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, geht von fünf Millionen Tonnen aus, mit denen das Klima zusätzlich angeheizt würde. Selbst wenn man das bisherige Kraftwerk Klingenberg mit seinen 190 Megawatt Leistung im Gegenzug abschaltete, was bisher völlig offen ist, käme also ein satter CO2-Zuwachs zustande.

Das Berliner Vorhaben reiht sich ein in eine wahre Renaissance der Kohle: Allein Vattenfall will in den nächsten Jahren sechs Millarden Euro in neue Stein- und Braunkohlekraftwerke, darunter in Hamburg, Bremen und der Lausitz, stecken. Stefan Richter, Landesgeschäftsführer der Grünen Liga Berlin, kritisiert, daß die Kohle, obwohl ihre Verfeuerung doppelt so viele Treibhausgase bewirke wie die von Erdgas, durch die derzeitige Vergabepraxis für CO2-Zertifikate bevorzugt werde. Die Kohleverstromung werde somit auf Jahrzehnte festgeschrieben. Folgen seien nicht nur anhaltend hohe CO2-Werte, sondern auch ein fehlender Anreiz zum wirkungsvollen Ausbau erneuerbarer Energien.

Es darf bezweifelt werden, daß vom Berliner Senat entscheidende Anstöße ausgehen werden, den CO2-Ausstoß in die Knie zu zwingen. Das Landesenergieprogramm laviert bei der Frage nach dem richtigen Energieträger herum zwischen den Maßstäben der Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und der CO2-Verringerung. Ein Versagen der Baugenehmigung durch den Berliner Senat ist also nicht zu erwarten. Dem stehen z.B. beim schwer zu bezwingenden CO2-Faktor Verkehr erneut Linienkürzungen und Fahrpreiserhöhungen der BVG entgegen.

Ach ja: Die deutsche Bundesregierung ernannte im Dezember den schwedischen Vattenfall-Präsidenten Lars G. Josefsson zu ihrem Berater in Klimaschutzfragen. Wir können uns also auf anhaltend heiteres Klima-Gerede einstellen. Die Grüne Liga empfiehlt derweil, Vattenfall den Rücken zu kehren und sich Stromversorgern zuzuwenden, die konsequent in erneuerbare Energien investieren.

Tobias Höpner

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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