Ausgabe 02 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Hobby, hobby, hey!

Trecker, Schlepper und Hormone

Als ich im schulpflichtigen Alter war, kam irgendwann in den frühen achtziger Jahren bei meinen Mitschülerinnen ein investigativer Trieb zum Vorschein, der auf eine einsetzende Libido hindeutete und der sie ohne weiteres als inoffizielle Mitarbeiter der FAZ oder der Stasi qualifiziert hätte. Die Pubertierenden weiblichen Geschlechts entdeckten die Institution des sogenannten „Schulfreunde-Albums". Das war ein zumeist kitschig gestaltetes Büchlein, in dem sich auf jeder Seite ein vorformulierter Fragebogen befand. Diese unter nachrichtendienstlichen Gesichtspunkten geniale Erfindung infantiler Verlagsleiter enthielt neben so gewichtigen Fragen wie „Was ist deine Lieblingsfarbe?" oder „Wer ist dein Lieblingspopstar?" auch die schwergewichtige Frage „Was ist dein Lieblingshobby?"

Die Antworten ließen einiges über die abgründige Persönlichkeit des Befragten erahnen. Hormonopfer männlichen Geschlechts gaben sich naturgemäß männlich und schrieben: „Fußball, Fahrradfahren und Schwimmen". Das sogenannte schöne Geschlecht, das nicht minder unter den hormonell bedingten Irrungen und Wirrungen litt, gab dagegen „Reiten, Lesen und Schwimmen" zu Protokoll. Damit war klar, wo der soziale Schnittpunkt lag: Dick und Doof kamen zusammen auf dem verdorrten Rasen eines sommerlichen Freibades und frönten dem gemeinsamen Hobby.

Das waren, wie gesagt, die frühen achtziger Jahre. Damals diente die Angabe des Hobbys dazu, junge Menschen des anderen Geschlechts zu treffen, um dann später an ihnen herumzufummeln, während man gemeinsam im Sonnenuntergang eine Tüte Pommes Frites genoß und romantisch auf eine chlorgetränkte Kloake in einem Betonbecken starrte. Aber die Zeiten haben sich gewandelt. Heutzutage haben Hobbys eine wesentlich andere Aufgabe. Ein Hobby dient nunmehr dazu, den Rest der Welt durch imponierende Detailkenntnisse oder zumindest sehr spezielle Fähigkeiten körperlicher Art zu beeindrucken und somit auch in der nichtentlohnten Zeit des Lebens erhebliche Gewinne einzufahren ­ Distinktionsgewinne nämlich.

Mit der Angabe „Fußball, Fahrradfahren und Schwimmen" würde man sich heutzutage überall einfach nur lächerlich machen. Man stelle sich vor, Robbie Williams, Peter Sloterdijk oder Pamela Anderson hätten im FAZ-Fragebogen geantwortet „Fußball, Fahrradfahren und Schwimmen". Alle hätten gedacht, was sind das nur für dröge Persönlichkeiten, diese sogenannten Unterhaltungsstars! Will man die Frage „Was ist dein Lieblingshobby?" überzeugend beantworten, muß man sich da heute schon etwas mehr Mühe geben. Manisch-depressive Medikamentenabhängigkeit, Fernsehhäppchen-Philosophie und operative Brustvergrößerungen sind das mindeste, will man mit seiner Freizeitgestaltung bei seinen Mitmenschen gut ankommen. „In" sind auch: Skatspielen, Kakteen-Züchtung, Traktoren, Kniekehlen-Tattoos, Schulfreunde-Album-Verbrennungen, Penisverlängerungen, Traktoren, Mitgliedschaft in einem terroristischen Bundestagsuntersuchungsausschuß, Traktoren, Einlegesohlen, Traktoren, Neurochirurgie, Kinderpornographie, Hotelinterieurs, Traktoren, und wahnhafter Traktoren-Fetischismus, über den man nachmittags im Fernsehen Auskunft gibt. Definitiv „out" sind dagegen: Weine, Whiskeys und Zigarren. Das ist Schnee von gestern und ebenso spannend wie Fußball, Reiten, Fahrradfahren, Lesen und Schwimmen. Sollten Sie, liebe Leserin und lieber Leser, tatsächlich eine solch graue Maus sein, daß Sie sich für Weine, Whiskeys und Zigarren interessieren, dann setzen Sie sich lieber gleich auf eine verdorrte Rasenfläche und tun am besten das, was auch der Rasen tut.

Allen anderen, die eine natürliche Abneigung dagegen verspüren, sich in ihrer Freizeit sinnlos gehen zu lassen, jedoch noch kein geeignetes Hobby gefunden haben, möchte ich eine herausragende Publikation empfehlen, deren gewissenhaftes Studium den Leser zu einem der begehrtesten Hobby-Persönlichkeiten Europas machen wird: Das große Buch der Traktoren aus dem GeraMond-Verlag.

In der Ankündigung dieses Meilensteins elaborierter Hobbyistik heißt es: „Von Allgaier bis Schlüter, von den Anfängen zu den heutigen Hightech-Schleppern, vom Motor bis zu den gewaltigen Rädern ­ Das große Buch der Traktoren präsentiert umfassend und gründlich die ganze Welt der Trecker und Schlepper." Wenn Sie jetzt nicht wissen, wer oder was Allgaier und Schlüter sind, so zeigt dies nur, daß Ihnen die Welt der Trecker und Schlepper offensichtlich noch verschlossen ist. Aber keine Angst, mit Obacht und Hingabe können Sie in nur wenigen Monaten eine enorme Kennerschaft entwickeln, mit der Sie es mühelos in jede nachmittägliche Talkshow schaffen. Die Menschen vor den Fernsehgeräten werden begeistert das Weinglas auf das linke Beistelltischchen und das Whiskeyglas auf das rechte Beistelltischchen stellen und die Zigarre unter den Teppich fallen lassen. Atemlos werden sie an Ihren Lippen hängen, wenn Sie die spannende Geschichte von den gewaltigen Rädern zum Besten geben. „Mein Gott, was war das gestern für eine beeindruckende Trecker-und-Schlepper-Persönlichkeit im Fernsehen", wird es am nächsten Tag vor den Fleischtheken der Republik und in der FAZ-Redaktion heißen, und Sie werden mehr Fanpost mit getragener Unterwäsche erhalten als einst Roland Kaiser. Und so würde es mich nicht wundern, liebe Leserin und lieber Leser, wenn ich demnächst in einem „Schulfreunde-Album", das ich zwecks Verbrennung einer hormongestörten Gymnasiastin entwand, als Antwort auf die Frage „Wer ist dein Lieblingspopstar?" Ihren Namen lesen würde.

Thomas Hoffmann

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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