Ausgabe 02 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Balancieren zwischen Heimatgefühl und Aufklärung

Das Museum Lichtenberg als Stolperstein in der Victoriastadt

„Raum für Freiraum" ist von der S-Bahn aus zu lesen. Es steht in großen Buchstaben an das Gebäude des Museums Lichtenberg im Stadthaus geschrieben. Unter diesem Motto gestaltet die Ortschronistin von Lichtenberg, Christine Steer, das Museum Lichtenberg im Stadthaus. Als sie vor dreißig Jahren mit ihrer Arbeit begann, gab es das Heimatmuseum nur als Provisorium in einer Baracke. Die Sammlung über den Ortsteil Lichtenberg erweiterte sie stetig, und das Museum zog von Ort zu Ort, bis Steer im vergangenen Jahr eine repräsentative Stätte fand, um die hi-
storischen Aspekte des Bezirks in einer Dauerausstellung vorzustellen. Seither ist das Museum unter dem neuen Namen Museum Lichtenberg im Stadthaus in der Türrschmidtstraße 24 am Tuchollaplatz zu finden.

Steer will keine reine Heimatgeschichte zeigen, sondern Lichtenberg als Teil einer großen Stadt verständlich machen, mit seinen verschiedenen Facetten. Natürlich zeigt sie im Museum auch Ausstellungen über die alten Mühlen oder Theodor Fontane, der viel über Lichtenberg geschrieben hat. Aber die aufklärenden und politischen Themen liegen ihr mehr am Herzen. Etwa die Zwangsarbeiter im Bezirk während des Zweiten Weltkrieges und die Verfolgung und Ermordung von jüdischen Mitbürgern und Widerstandskämpfern in der NS-Zeit. Die vom JobCenter geförderten „Stolpersteine", eine Idee, die von Anwohnern bereits aufgegriffen wurde, hat das Museum in den Bezirk hineingetragen. „Wer mit offenen Augen durch den Weitlingkiez geht, der sieht, daß 'Rechts' ein großes Problem ist," aber mit dem Image, das der Bezirk in den Medien dadurch erhalten hat, ist sie nicht einverstanden. „Gerade als Museum wissen wir um die besondere Historie Lichtenbergs auf vielfältigen Gebieten." Diese zu vermitteln und Erkenntnisse für die Gegenwart und Zukunft anzubieten, bleibe eine der wichtigsten Aufgaben im Stadthaus.

Auch kritischen Kapiteln aus der DDR-Geschichte widmet sich das Museum, das sich nun in Sichtweite des Gebäudekomplexes des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit befindet. Die Ausstellung Bergauf ­ Bergab im Berliner Osten. Fabrikstadt Lichtenberg habe den Nerv der Zeit getroffen: „Wir haben die Industrieentwicklung dieses einst größten Industriebezirkes im Berliner Osten dokumentiert und gleichzeitig den Wegfall von Tausenden von Arbeitsplätzen und den Verlust von großen Industriearealen nach der Wende. Das hat viele, die zu den Betroffenen gezählt haben, ins Museum gezogen." Heftige Debatten hatte die Thematisierung der sowjetischen Besatzung ausgelöst. Zum ersten Mal seit sechzig Jahren wagten Zeitzeugen, über ihre Erlebnisse zu berichten und damit einen Prozeß der offenen Auseinandersetzung im Bezirk einzuläuten.

Die über 700jährige wechselhafte Geschichte Lichtenbergs ausbalanciert zu vermitteln, ausgewogen zwischen Erinnerung und Objektivität, Emotionen und nicht zu leugnenden Tatbeständen, darin sieht das Stadtmuseum seine Hauptaufgabe. „Wir wollen den Bewohnern ihre Geschichte nahebringen und das Gefühl vermitteln, 'wir sind hier zu Hause', daß die Menschen, die hier wohnen, sich in diesem Museum auch wiederfinden."

So werden sich viele Lichtenberger an den DDR-Schauspieler Erwin Geschonneck erinnern, von dem im Westen wenig bekannt ist. Anläßlich seines 100. Geburtstags ist die Ausstellung Erwin Geschonneck ­ eine deutsche Biografie bis zum 16. März zu sehen. Filme werden natürlich auch gezeigt. Im Anschluß geht eine Ausstellung auf derzeitige Entwicklungen in der Victoriastadt ein, indem die Stadtentwicklungsprojekte des Urban-Programms vorgestellt werden. Im Laufe des Jahres wird weiterhin eine Ausstellung zu Familiengeschichten von Rußlanddeutschen, die seit 1989 im Bezirk ansässig sind, ganz persönliche Seiten der Lichtenberger beleuchten.

Michael Freerix/Sonja John

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