Ausgabe 02 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Skide godt, Yvonne

Ein Akademie-Gespräch über die Digitalisierung des Radios

Geschichte verläuft nicht in Geraden, die mit dem Lineal gezogen werden, wie statistische Scheitel in Pisastudien, sondern, was so Geschichte heißt, springt. Davon konnten sich die Besucher der Veranstaltung „Das Radio und die Kultur" am 19. Februar in der Akademie der Künste am Pariser Platz überzeugen, Thema dieses neunten Akademie-Gesprächs: die Digitalisierung des Rundfunks, die geplante Abschaltung von analogem UKW.

Die Veranstaltung wurde live unter http://blog.idemokratie.de/adk/ geblogged ­ und dabei, das ist ein springender Punkt, gibt es weder im Foyer noch im Café der Akademie der Künste, einen sehr sportlichen Pflastersteinwurf vom Brandenburger Telekom-Tor entfernt, also hier, wo deutsche Geschichte so symbolisch weht wie sonst nur Orkane, hier, in der Akademie der Künste weht kein WLAN, hier gibt's kein drahtloses Internet. Keinen Hotspot. Und noch kein freifunk.net. Also noch kein OLSR.

OLSR? Das ist ein Routingprotokoll, und wird, weil schwer zu merken, und zu Ehren der legendären dänischen Panzerknacker als Olsen Protokoll bezeichnet. Doch statt, wie Yvonne, sich um freie Radioarbeit zu kümmern, ergab sich am 19. Februar eine kleine Olsenbande dem Akademiegespräch zu Radio und Kultur; hier der Bericht von Benny, Egon, Kjeld und Yvonne ­ die, wie immer, recht behält.

Benny sagt: Hier sitzen sie nun, die Macher und Repräsentanten von Radio und Kultur, und reden über beides in althergebrachten Begriffen. Das klassische Radio steht durch die digitale Medienkonvergenz ebenso im Schach wie das, was gemeinhin als Hochkultur bezeichnet wird. Da ist dann auf einmal mit Digitalisierung die Totgeburt DAB gemeint, und von einer „Holschuld" der Hörer (sic!) in Bezug auf Hochkultur geht die Rede, unter der wiederum nur eine sogenannte Ernste Musik verstanden wird. Freilich, der Anspruch, hochwertiges Programm zu produzieren, statt eingängige Sendeformate aus den Marketingabteilungen umzusetzen, ehrt die Herren auf dem Podium, aber wo sind sie hier, die Errungenschaften aus dem Netz, die gemeinhin mit dem Schlagwort Web2.0 zusammengefaßt werden? Die ein jugendliches Publikum weg von den Inhalten der integrativen Massenmedien hin zu den diversifizierten und personalisierten Inhalten sozialer Netzwerke ins Internet wandern lassen? Wo ist die Debatte um neue und freie Lizenzierungsformen, die auf die Schaffung eines Pools von freien Inhalten abzielen, auf public property, auf Gemeineigentum? Wo endet die Expropriation? Und wo beginnt die Appropriation? Wem gehört die digitale Welt? ­ Fragen, die an diesem Abend nicht gestellt wurden.

Kjeld sagt: Man kann angeblich schon das Internet im Auto empfangen und Podcasts herunterladen und so. Auf der Autobahn! In Top-Qualität! Unglaublich! Aber wahr? Man schwimmt hier auf den Wellen der Zeit, den Kulturwellen, mit den besten Hits des 17., 18. und 19. Jahrhunderts, häppchenweise serviert ­ das gefällt nicht jedem. Aber man muß doch „modern" bleiben, den Menschen geben, was sie wollen ­ auch wenn am Ende weniger zuhören als vorher ­ das Publikum muß erzogen werden! Mit dem Netz ist das eine Sache für sich. Bald wird alles anders, aber ob das die Senderverantwortlichen rechtzeitig mitbekommen oder, wie ich, hinterherrennen müssen, das bleibt das Geheimnis des Abends. „Alles ist zu teuer", „es liegt nicht an uns", „reden wir nicht darüber" ­ das sind die Stichwörter. Lieber teilen sie ganz offen mit, daß die spätabendlichen Nischensendungen, die eigentlich für Zuhörer, die gerne zuhören, gemacht werden, nur „das kulturelle Alibi des öffentlich-rechtlichen Rundfunks" bilden. Wenn man sie einfach wegschaffen könnte! Aber vielleicht machen solche Blitzlichter das aus, was man in der Zukunft genau anbieten könnte? Nur wo wird das Geld herkommen? Hmm, Abo-Radio vielleicht ­ „Der schöne Morgen auf Radio Eins": 15 Cent; „Deutschlandradio Lange Nacht": 895 Euro. Ob das gutgehen könnte? Und die Technik? Die hab nicht mal ich in meiner Tasche dabei. Die muß zuerst gebastelt werden. Ich merke, auch die Herren auf dem Podium sind nervös, was die eigene Zukunft angeht. Wir schwitzen doch gemeinsam.

Egon sagt: Es fällt die Selbstverständlichkeit auf, mit dem „das Radio" von seinen Produktionsbedingungen getrennt wird, von seiner politischen Ökonomie. Es wird an diesem Abend also nicht über die McKinseys, Bergers und Boston Consulting Groups geredet, die in den letzten Jahren so ziemlich jede öffentlich-rechtliche Anstalt auf Zack gebracht haben ­ sondern die Männer, die diesen Abend in der AdK bestreiten, ergehen sich in den Weiten eines Kulturbegriffs, dem so ziemlich jede Reflexion, wenngleich auf rhetorisch höchstem Niveau, verschwimmen muß. Da ist sie also wieder, „die" Kultur, die zwar nicht „Leit-Kultur" heißt, aber ideologisch genauso funktioniert, als durch und durch monolithischer Block einer tatsächlich hochdiversifizierten bundesrepublikanischen Klassengesellschaft.

Yvonne sagt: Also Benny, also Kjeld, also Egon, das hätte ich von euch jetzt nicht gedacht. Hier so rumzuschwadronieren. Was macht ihr denn in der Akademie? Ab 1. April wollt ihr jeden Sonntag senden, „erst ab 18!" und habt nicht mal PHP5 am Start, und das Wiki von der Radiokampagne ist auch schon seit Wochen mit Schluckauf bedient. Wie wär's denn mal mit Google-Cache? Ja, ja, ihr macht auf gebildet, und Piradio macht Lötworkshops für Minisender; das freifunk.net wird immer dichter, auch in Brandenburg, habe ich erfahren, seit Ende Januar sendet in Berlin radioinkorrekt.org und ihr wißt noch nicht, wo ihr streamen wollt. Also Jungs, mal ehrlich, mental, da seid ihr ja schon alle wieder in Heiligendamm. Dabei ist es doch so einfach: Sei deine eigene Senderin! In UKW und in Stereo. Also ich sage nur: Mini-FM ­ wo die Frequenz liegt, bestimmst du selbst, und der Rest steht ausnahmsweise auf radiokampagne.de.

Heiko Thierl/Matthew Heaney/Johannes Wilms

www.olsrexperiment.de

www.radioinkorrekt.org

www.radiokampagne.de

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