Ausgabe 01 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Immer dasselbe Ergebnis: Die Lage ist schlecht

Es hätte eine gute Nachricht sein können, die das heute journal des ZDF vor kurzem vermeldete. Dem Bericht zufolge ging die Zahl der Straftaten in Berlin von 2002 bis 2005 um 12,8 Prozent zurück. Desgleichen die Zahl der jugendlichen „Intensivtäter", die von 3000 auf 500 gesunken sei. Doch da diese Nachrichten allein offenbar zuviel der frohen Botschaft gewesen wären, wurden sie mit der suggestiven Anmoderation sogleich entkräftet: „Ist Deutschland wirklich so sicher, wie kürzlich im Kriminalitätsbericht verkündet?" Wer so fragt, will natürlich eine ganz bestimmte Antwort hören: „Nein, sagen Polizei und Staatsanwälte. In Berlin könne von einem Rückgang der Kriminalität keine Rede sein." 

Denn, so die interessante Erläuterung, der Rückgang der registrierten Straftaten sei nur dadurch zu erklären, daß auch die Zahl der Polizisten im selben Zeitraum um 6,6 Prozent gesunken sei. Zusätzlich seien im Jahr 2006 viele Polizisten zur Sicherung der Fußball-WM abkommandiert worden, hätten danach ihren Urlaub abgefeiert ? und die Staatsanwälte gleichsam arbeitslos gemacht. Auch der Rückgang der Zahl der jugendlichen Intensivtäter von 3000 im Jahr 2005 auf 500 beruhe lediglich auf einer „Frontbegradigung": Man habe einfach die Kriterien geändert, nach denen man Jugendliche als Intensivtäter bezeichne; von zwei bis drei Gewalttaten auf nunmehr zehn pro Jugendlichem.

Hat Berlin zu wenig Polizei? Mit Sicherheit nicht. Im Jahre 2004 kamen auf einen Polizeibeamten 188 Einwohner, in Hamburg 212. Und vielleicht wird ja umgekehrt ein Schuh daraus: Wenn man sich das Zahlenmaterial ansieht, könnte eine logische Schlußfolgerung sein, daß die beste Strategie, die Kriminalitätsziffern zu senken, darin besteht, die Zahl der Polizeibeamten zu senken. Die Existenz des „Lüchow-Dannenberg-Syndroms" sollte zu denken geben: Die Anzeigebereitschaft der Bevölkerung ? und damit der Verlust der Fähigkeit, Konflikte ohne autoritative Einmischung auszutragen ? steigt mit der Verfügbarkeit der Polizei. Ob das wünschenswert ist?

Die kritische Lektüre der Zahlen ist eigentlich vorbildlich. Denn damit befleißigt man sich einer Methode, die immer angebracht sein sollte, wenn von Statistik die Rede ist. Komisch ist nur, daß diese Methode höchst selektiv angewendet wird: Immer dann, wenn die Zahlen der polizeilichen Kriminalstatistik einen Anstieg der Kriminalität verkünden, werden sie akzeptiert als getreuliches Abbild der Wirklichkeit. Wenn die Zahlen der registrierten Straftaten hingegen zurückgehen, dann werden plötzlich die kritischen Geister wach und verweisen im Zweifel auf ein aufzuhellendes Dunkelfeld. Und so kommt erstaunlicherweise immer dasselbe Ergebnis heraus: Die Lage ist schlecht.

Niemand wird bestreiten, daß jugendliche „Intensivtäter" in Berlin Probleme bereiten ? zuvörderst ihren Opfern. Doch wie sich jetzt wieder das heute journal an der Dramatisierung des Kriminalitätsgeschehens beteiligt, ist fahrlässig und unmoralisch. Fahrlässig, weil es Angst erzeugt, die in der Regel in die freiheitsbeschränkende Forderung nach mehr Polizei, weiteren Gesetzen und härteren Strafen mündet. Unmoralisch, weil es sich zu Bütteln von eloquenten Lobbyisten macht, zu denen auch „Experten" wie Christian Pfeiffer gehören, die ihre ganz eigenen Ziele verfolgen. Sie alle sind Profiteure von Untergangsszenarien, die mit schöner Regelmäßigkeit hinausposaunt werden. Jüngst vom heute journal, morgen von einer anderen Sendung, übermorgen von einer Tageszeitung. Auf diese Weise sorgt man dafür, daß die Probleme, die man zu lösen vorgibt, bestehen bleiben. 

Benno Kirsch

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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