„Das ist doch eine Frau, oder?" An skeptische
Fragen von Menschen mit verwirrten Blicken und gerunzelter Stirn hat
sich die Fotografin Mareike Günsche längst gewöhnt.
Solche Reaktionen auf ihre Bilder sind ihr nicht lästig, sie sind
beabsichtigt. Die von ihr abgelichteten Charaktere nennen sich Johnny,
Ocean, Leon, Brian, Alex und Steve. Sie bezeichnen sich selbst als
„Dragkings" und spielen bewußt mit gängigen Klischees
und Geschlechterrollen. Machohaft posieren sie auf Günsches Fotos,
mal elegant in Anzug und Krawatte, mal leger in T-Shirt, Jeans und
Basecap, am besten noch mit Bierpulle in der Hand und gummiertem
Frottee-Armband ums Handgelenk.
Über zwei Jahre fuhr Günsche durch Deutschland
und machte sich auf die Suche nach jenen Menschen, die zwar als Frauen
zur Welt kamen, aber einen großen Teil ihres Lebens in
Männergestalt verbringen. „Dragkings sind meist biologische
Frauen, die Männlichkeit im wahrsten Sinne des Wortes
verkörpern", sagt die Fotografin.
Mit ihrem Langzeit-Fotoprojekt über Dragkings begab
sich die Fotografin in eine bislang wenig ausgeleuchtete
gesellschaftliche Grauzone. Während Dragqueens, Männer in
Frauengestalt, längst zum Mainstream geworden seien, führten
Dragkings noch immer ein Schattendasein. „Über diese
Menschen ist nicht viel bekannt", sagt Günsche.
Leicht fällt die Definition dieses Phänomens
auch ihr nicht. „Dragkings sehen ihre Geschlechteridentität
jenseits der männlichen oder weiblichen Rolle", so Günsche.
Diese Grauzone würden sie als Freiraum betrachten und spielerisch
damit umgehen. „Sie ordnen sich nicht einfach rosa oder hellblau
zu, sondern zelebrieren ihre eigene Lebenshaltung." Durch ihre
Selbstinszenierung würden sie die Grundbausteine unserer Kultur in
Frage stellen, ist die Fotografin überzeugt.
Bei ihren Recherchen stieß Günsche auf
mehrere Kategorien von Dragkings. Einige Kings würden
Männlichkeit eher im Rahmen von Playback-, Tanz- und Gesangsshows
auf der Bühne inszenieren. Andere würden durch ihre Kleidung
und ihr Auftreten im alltäglichen Leben als Mann in Erscheinung
treten, sich selbst aber nicht als Mann definieren. „Es gibt
Frau-zu-Mann-Transsexuelle, die sich selbst ebenfalls als Dragkings
bezeichnen", fügt sie hinzu.
Günsches erste Dragking-Porträts lösten
einen regelrechten Dominoeffekt aus. Innerhalb der King-Szene sei sie
oft weiterempfohlen worden. „Dem Akt des Fotografierens gingen
meist intensive Gespräche voraus, in denen ich die Menschen
kennenlernen wollte", beschreibt sie ihre Vorgehensweise.
Persönliche Nähe, Offenheit und Vertrauen sei ihr besonders
wichtig gewesen, da sie die Fotografierten nicht als Kunstfiguren oder
Exoten darstellen wollte, sondern als Menschen, denen man täglich
begegnet.
Knapp dreißig Kings hat Günsche bisher
porträtiert. Die King-Szene in Deutschland sei aber wesentlich
größer. Genaue Zahlen könne sie jedoch nicht nennen, da
die Szene zu vielfältig sei, um sie überschauen zu
können. „Manche leben jeden Tag als Mann, andere
schlüpfen nur einmal im Jahr für eine Bühnenshow in die
Männerrolle." Als Dragking-Hochburgen konnte sie während
ihrer Recherchen die Städte Berlin und Köln ausmachen.
Grelle Fotos von Dragkings während ihrer
Bühnenshows sind nichts Neues, doch die Porträts von
Günsche funktionieren anders. Das Wesen der von ihr
Porträtierten ist nicht so offensichtlich, die Uneindeutigkeit des
Dargestellten erzeugt Spannung. Auf den farbigen Mittelformatbildern
sieht man die Kings in ihrem privaten Umfeld. Die Bilder wirken zuerst
ruhig und vertraut. Um so größer ist der Moment der
Irritation, wenn der Betrachter bemerkt, daß die Menschen auf den
Bildern nicht so recht in das eigene Weltbild passen. „Die
femininen Züge der so extrem männlich wirkenden Charaktere
provozieren dazu, das eigene Verständnis von Geschlechterrollen zu
hinterfragen und aufzubrechen", sagt die Fotografin.
Günsche fühlt sich der dokumentarischen
Fotografie verpflichtet. Ihre Bilder sollen dabei subjektiv sein und
Geschichten erzählen. Von der tagesaktuellen Pressefotografie hat
sich die 27jährige bereits vor vier Jahren verabschiedet. Seither
widmet sie sich verschiedenen Langzeitprojekten, meist mit sozialem
Hintergrund. „Im Gegensatz zur oft skrupellosen Pressefotografie
leben meine Bilder vom behutsamen Umgang mit den porträtierten
Menschen." Günsches Dragkings-Ausstellung wurde zuletzt am
Kurt-Schwitters-Forum in Hannover gezeigt. Die Berliner Galerie Fenster
61 stellt nun eine Auswahl ihrer Bilder aus.
Jens Steiner
Mareike Günsche: „Dragkings". Noch bis zum 12. Februar in der Galerie Fenster 61, Torstraße 61, Mitte.