Ausgabe 01 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Unterschicht ist überall – Untergang ist immer

Ein Roman über die polnische „Wirklichkeit"

In Deutschland haben Journalisten und Politiker gerade die „Unterschicht" als dankbares Thema für ihren öffentlichen Salbader, ihre Selbstgespräche gefunden, manchmal möchte man meinen: erfunden. In Polen ist das offensichtlich anders: Da gibt es – so der Klappentext des Romans Das Sägewerk von Daniel Odija – gar eine vom 32jährigen „Wortführer" Odija angeführte „neue Schriftstellergeneration", deren Werke das Leben dieser „Menschen am Rand der Gesellschaft" thematisiert.

Das Sägewerk erzählt in einer lakonischen und archaisierenden Sprache von einem nicht näher bezeichneten polnischen Dorf in den Jahren nach dem Zusammenbruch des realexistierenden Sozialismus und seinen gottverlassenen Bewohnern, allesamt Gescheiterte, Säufer, Verrückte, Schläger, wenigstens Verlorene. Im Zentrum des Ganzen steht die Geschichte von Aufstieg und Fall des Bösewichts in Potenz, des Sägewerkbesitzers Jozef Mysliwski. Jozef beigesellt (oder besser beigestellt) sind seine Frau Maria und Sohn Krzysztof: Jozef, Maria, Krzysztof ­ Grundkomponenten für eine Umkehrung der biblischen Heilsgeschichte.

Jozef baut im Dorf ­ das sind nicht mehr als ein paar ärmliche Bauerngehöfte, dazu eine heruntergekommene ehemalige Kolchosesiedlung ­ ein Sägewerk auf, wird zum ersten Arbeitgeber in der von Arbeitslosigkeit und Armut beherrschten Gegend und benimmt sich als von allen verhaßter Turbokapitalist, jawoll, wie die Axt im Walde, macht uneheliche Kinder und fährt in Nobelkarosse durch den Ort. Schließlich scheitert aber auch er; zum Bösewichtel geschrumpft, fackelt er das eigene Sägewerk ab. Die anderen gottlosen Wichtel machen derweil das, was sie, vom Schicksal getrieben, machen müssen: saufen oder die Frau verhauen. Krzysztof, der verstörte Messias, erschlägt einen alten Mann.

Äußerst kurios, daß ein Sägewerk-Rezensent bemerkt haben wollte, Odija liebe seine Protagonisten. Da schreibt er etwa über eine seiner Figuren, es wäre eigentlich „nicht wert", von ihr zu berichten, an anderer Stelle sagt er: „Es lohnt nicht, seine Worte zu zitieren." oder „Solche wie sie wachsen wie Unkraut auf Scheiße." Usw. Er liebt die Menschen nicht, die er beschreibt; sie sind ihm bloß Statisten bei der Aufführung seines großen Untergangstheaters, seiner Menschheitsdämmerung. Er liebt wohl eher das Pathos, den Klang seiner Worte, wenn er von der Natur oder von schier übermächtigen Naturerscheinungen (ja, die sind groß, die Menschen hingegen so klein!) schreibt. Das nennen die Kritiker dann „magischen" oder „metaphysischen Realismus", geschult am Stil des einschlägig bekannten und berüchtigten Andrzej Stasiuk, Odijas Mentor und Verleger. Die düstere Welt, die Odija entwirft, ist kein Abbild der Wirklichkeit, sondern die Wiedergabe dessen, was in ihm düstert.

Roland Abbiate

Daniel Odija: Das Sägewerk. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2006. 17,90 Euro.

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