Ironische Melancholie und reaktionärer
Frohmut
Eine Ausstellung mit Fotografien von Elisabeth
Niggemeyer
Foto: Elisabeth Niggemeyer
In der Galerie argus fotokunst sind zur Zeit
Aufnahmen der Fotografin Elisabeth Niggemeyer aus den Jahren 1957 bis
1964 zu sehen. Niggemeyer wurde 1930 in Bochum geboren. Nach ihrer
Ausbildung zur Fotografin in München begann sie in den
fünfziger Jahren, Städte zu dokumentieren. Stationen
waren dabei zunächst München, London und Bonn. 1957
zog sie nach Berlin, 1964 veröffentlichte sie gemeinsam mit
Gina Angreß und Wolf Jobst Siedler den Bildband Die gemordete
Stadt, eine Darstellung der damaligen Berliner Stadtentwicklung im
Umbruch.
„Dieser Band entstand aus der ironischen
Zuneigung zum Gestern. Seine Stimmungslage ist die
reaktionären Frohmuts. Der illusionäre Charakter
solcher Attitüde liegt auf der Hand. Der menschen- und
baumreiche Boulevard, der hier gegen die Schnellstraße ins
Feld geführt wird, fiel nicht der modernen
Städteplanung, sondern neuen Ordnungsformen der Gesellschaft
zum Opfer", schrieb Wolf Jobst Siedler im Vorwort. Und
„daß Mülltonnen-Idyllik und
Souterrain-Romantik nicht zureichend für Rachitis und
Schwindsucht aufkommen. Vielleicht verhält es sich so,
daß die alten Städte Europas im Begriff sind, nicht
nur ihre Originale, sondern auch ihre Originalität zu
verlieren; aber im Abschied von der Welt Zilles erfüllen sich
die Hoffnungen Zilles. Eben deshalb ist dieser Band als Übung
in ironischer Melancholie gemeint."
Genau dies drücken die Bilder Elisabeth
Niggemeyers aus. Mit dem Auge für den richtigen Ausschnitt
stellt sie das Alte neben das Neue, wobei sie nicht verhehlt, wem ihre
Sympathie gilt. Und sie zeigt die Menschen, die in der Stadt leben,
Passanten, Bauarbeiter oder spielende Kinder. Dem Betrachter geht es
wie beim Hören von Musik, die mit Erinnerungen verbunden ist,
die Fotos lösen Emotionen aus.
Elisabeth Niggemeyer arbeitete mit einer
Kleinbildkamera, was ihr den Vorwurf eintrug, sie „knipse".
Worauf sie entgegnete, sie wolle keine schönen Bilder machen,
sondern fotografiere, weil sie etwas mitteilen wolle.
Ein weiteres Merkmal der Aufnahmen von Elisabeth
Niggemeyer ist der Blick für Details wie Fenster, Laternen
oder Poller. In Die verordnete Gemütlichkeit. Der gemordeten
Stadt II. Teil werden eingeknickte Absperrbügel und
Pflanzenkästen aus Beton mit der Eigenwerbung der Hersteller
versehen, die ihre Stabilität und Schönheit preist.
Dieser Band erschien 1985 und damit zu einer Zeit, in der die
Hausbesetzerbewegung die Kahlschlagsanierung gestoppt hatte. Eine
Entwicklung, an der Elisabeth Niggemeyer und ihre Mitautoren
maßgeblichen Anteil hatten. Beide Bände sind leider
nur noch antiquarisch erhältlich. In Zeiten, in denen vor
allem Leerflächen, aber auch noch Altbauten zumeist
unansehnlichen Funktionsbauten geopfert werden, sind sie aktuell wie eh
und je. Immerhin sind die Bilder aus dem ersten Band jetzt in der
Ausstellung zu sehen.
Frank Fitzner
Die Ausstellung „Elisabeth Niggemeyer.
München – London – Bonn –Berlin.
Fotografien 1957-64" läuft noch bis zum 24. Februar in der
Galerie argus fotokunst, Marienstraße 26, Mitte.
Geöffnet Di bis Sa 14 bis 18 Uhr.