Ausgabe 01 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Berlin 1907

1. bis 28. Februar


Foto: Archiv Hennig.

Die Berliner sind schnell bescheiden geworden; wenn ihnen sonst die langen Zehnpfennigstrecken noch nicht lang genug waren, so sind sie heute froh, wenn sie nur überhaupt ein kleines Stückchen Weges fahren können.ie Berliner Handelskammer hat beim Polizeipräsidium beantragt, daß am Sonntag, den 3. Februar, Güter und Waren angerollt und abgeladen werden dürfen. Das Königliche Polizeipräsidium entspricht diesem Antrag und erteilt folgenden Bescheid: „Auf Grund des § 3 der Polizei-Verordnung über die äußere Heilighaltung der Sonn- und Feiertage vom 27. März 1903 erteile ich hiermit die Genehmigung, daß am Sonntag, 3. d. M., Güter und Waren im Handelsgewerbe angerollt und auf der Straße abgeladen werden dürfen. gez. v. Borries."

Im Zeichen der durch den kolossalen Schneefall ausgelösten Verkehrsstörungen führt die Frage, wann ein Straßenbahnwagen gefüllt ist, öfters zu unliebsamen Erörterungen zwischen Publikum und Schaffner. Die Berliner sind unter dem Einfluß des großen Schneefalles schnell bescheiden geworden; wenn ihnen sonst die langen Zehnpfennigstrekken der Elektrischen noch nicht lang genug waren, so sind sie heute froh, wenn sie nur überhaupt ein kleines Stückchen Weges fahren können. Verkündet am Halleschen Tor der Führer eines Wagens, an dessen Schild als Endziel „Landsberger Allee Ringbahnhof" prangt, daß es nur bis zum Alexanderplatz gehe, so schallt ihm die Antwort entgegen: „Na, das ist ja auch ein ganzes Ende", und im Nu ist jede Lücke, die aussteigende Fahrgäste offen gelassen haben, von neuem wieder geschlossen. Allein die eben noch so gemütlichen Leute bekommen einen roten Kopf und werden wütend, wenn sie erleben müssen, daß ein Schaffner sich weigert, sie in seinem noch viel Platz bietenden Wagen mitzunehmen, während andere mit Menschen vollgepfropft vorüberkommen.

Wer hat nun recht? Der, der eine Überfüllung wie auf der Stadtbahn zuläßt, oder der, der nur der vorgeschriebenen Zahl von Passagieren Zutritt gewährt? Wenn darüber ein Streit entstehen kann, so ist kein anderer Grund dafür zu finden als mangelhafte Instruktion der Schaffner. Der Polizeipräsident hat den Verkehrsbedürfnissen Rechnung getragen, indem er ein Überschreiten der vorgeschriebenen Ziffern in außergewöhnlichen Fällen zuließ. Daß aber der letzte Schneefall ein außergewöhnlicher ist, wird niemand bezweifeln. Es wäre Sache der Straßenbahn-Verwaltung, den Schaffnern hierüber eine einheitliche Instruktion zu geben und so jenen Auseinandersetzungen vorzubeugen, die den Verkehr nur noch mehr aufhalten.

Die Affäre des Hauptmanns von Cöpenick führt noch zu einem interessanten Rechtsstreit zwischen dem Cöpenicker Magistrat und dem Polizeiinspektor Jäkkel. Jäckel, der während der Anwesenheit des falschen Hauptmannes baden ging, ist zwangsweise pensioniert worden. Er hatte nach der Cöpenicker Affäre auf einen ihm gegebenen Wink ein Pensionsgesuch eingereicht, es dann aber wieder zurückgezogen. Die Stadtverordneten-Versammlung nimmt aber auf diese Änderung seiner Absichten keine Rücksicht, sondern entspricht kurzerhand seinem zuerst eingereichten Gesuch. Jäckel will sich aber damit nicht zufrieden geben, sondern weigert sich beharrlich, der Aufforderung, seine Dienstwohnung zu räumen, nachzukommen. Der Cöpenicker Magistrat will ihn aber nicht länger in der Wohnung belassen und eventuell Zwangsmaßregeln in Anwendung bringen. Der eigenartige Fall wird binnen kurzem den Bezirksausschuß beschäftigen.

Im Norden und Nordosten der Stadt werden in letzter Zeit Gasautomaten geplündert. Nun wird eine Diebesbande festgenommen, die sich auf dieses Delikt spezialisiert hat. Die drei jungen Burschen kundschafteten zunächst die Gelegenheiten aus und kamen dann zu günstiger Zeit wieder. Während nun zwei die Wirtsleute beschäftigten, erbrach der dritte unbemerkt den Automaten und holte die Zehnpfennigstücke heraus. Nun versuchten sie ihr Manöver in einer Schankwirtschaft in der Elbinger Straße 97, wo die Wirtsfrau allein zugange war. Der dritte arbeitete jedoch in dem Nebenraum am Automaten so geräuschvoll, daß die Wirtin aufmerksam wurde. Alle drei ließen jetzt Bier und Schnaps stehen und wollten sich „drücken". Die Frau sorgte aber für ihre Festnahme. Die Verhafteten werden als die mehrfach bestraften „Arbeiter" Golikowski und Max und Moritz Läuter erkannt und dem Untersuchungsrichter vorgeführt.

Falko Hennig

Nächste Veranstaltung mit Falko Hennig am Aschermittwoch, 21. Februar, 20.30 Uhr im Kaffee Burger, Torstraße 60: Radio Hochsee Themenabend „Die Zukunft der Arbeit – Das Grundeinkommen" mit Prof. Peter Grottian, weiteres unter www.Falko-Hennig.de.

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