Ausgabe 01 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Reclaim the game

Fußballfans gründen Rechtshilfefonds

Seitdem das große Spektakel Fußballweltmeisterschaft samt seiner allseits beschworenen unglaublichen Stimmung vorüber ist, liest man wieder vermehrt von den häßlichen Seiten des Fußballs. Da erschießt ein Polizist einen der berüchtigten Anhänger des Pariser Vereins Saint-Germain, weil dieser mit seinen Gefährten einen Fan der israelischen Mannschaft Hapoel Tel Aviv unter lautstarken Drohungen und antisemitischen Parolen in die Ecke drängte. In der Berliner Kreisliga verläßt die Mannschaft des jüdischen Vereins TuS Makkabi in der Partie beim VSG Altglienicke nach andauernden antisemitischen Beleidigungen frühzeitig das Feld. Das Pokalspiel von Hertha BSC bei den Stuttgarter Kickers wird abgebrochen, nachdem ungehaltene Stuttgarter Fans Gegenstände auf das Spielfeld warfen und einen der Linienrichter verletzten.

Besonders die unteren deutschen Ligen sind wegen rassistischer Vorfälle und gewalttätiger Auseinandersetzungen zunehmend ins Blickfeld der Öffentlichkeit geraten. Der Deutsche Fußballbund hat deshalb eine „Task-Force" ins Leben gerufen, die sich den rassistischen und gewalttätigen Auswüchsen widmen soll. Zu rechnen ist mit dem Üblichen: mit verstärkter Polizeipräsenz in den und um die Stadien herum sowie mit der Verhängung von Stadionverboten seitens der Vereine. Nachdem die Fußballfans dem Standort Deutschland neues Leben eingehaucht haben, erneuern sie nun ihr altes Image als gewalttätiger, rassistischer Pöbel, der zur allgemeinen Sicherheit und, um das Ansehen Deutschlands nicht weiter zu beschädigen, am besten weggesperrt gehört.

Ansammlungen von mehreren tausend Menschen stellen zweifellos immer eine Gefahr für die öffentliche Ordnung dar, besonders wenn ein großer Teil von ihnen angetrunken ist oder Gegenstände mit sich führt, die sich zum Werfen oder zum Schlagen nutzen lassen. Um derartige Auswüchse zu unterbinden, führt die Polizei schon seit 1994 eine Hooligankartei mit dem Titel „Gewalttäter Sport". Wer in diese Datenbank gerät, muß mit Stadionverboten rechnen oder damit, daß er auf dem Weg in den Urlaub an der österreichischen Grenze nicht durchgelassen wird, weil etwa die deutsche Nationalmannschaft ein paar Tage später in der Slowakei spielt. In diese Kartei kommt man sehr schnell, umso schwerer kommt man wieder heraus. Man braucht als Gästefan nur in einen Polizeikessel zu geraten, wie sie im Umfeld von Fußballspielen alltäglich sind. Die Polizei kontrolliert die Personalien, häufig leitet sie ein Ermittlungsverfahren ein, das zwar in den meisten Fällen wieder eingestellt wird, was aber nicht zwangsläufig zu einer Rücknahme eines Stadionverbots führt, weil dafür die Vereine als Veranstalter zuständig sind.

Der verstärkte Druck seitens der Polizei und der Ordnungsdienste der Veranstalter, der zur Weltmeisterschaft mit seinen personengebundenen Eintrittskarten einen vorläufigen Höhepunkt fand, sowie eine immer neue Blüten treibende Kommerzialisierung des Fußballs führten in den letzten Jahren dazu, daß es in den Bundesligastadien wieder ruhiger wurde. Heute tummeln sich in den Stadien immer mehr Zuschauer, die sich das Spiel ähnlich anschauen wie ein Theaterstück. Die emotionalen Fußballfans werden verdrängt. Hooligans und andere Radaubrüder betätigten sich zuletzt eher bei Oberliga- oder Regionalligaspielen. Einmal eingeführte Repressionsinstrumente werden äußerst selten wieder zurückgenommen, auch nicht, wenn die Umstände, die zu ihrer Einführung führten, inzwischen überholt sind. Der Druck von Polizei und Vereinen richtet sich deshalb längst relativ wahllos gegen alle Fans.

Um diesem Druck nicht mehr wehrlos ausgeliefert zu sein, haben jetzt ein paar Fans mit Unterstützung zahlreicher Fanclubs sowie der beiden großen überregionalen Fanorganisationen, dem Bündnis aktiver Fußballfans (BAFF) und Pro Fans, einen „Fanrechtefonds" eingerichtet. Dieser hat die Aufgabe, „die Rechte von Zuschauern ­ insbesondere des Teiles der Zuschauer, der aktiv zur Wahrung und Entwicklung einer Fankultur beiträgt ­ gegenüber den Veranstaltern, deren Ordnungskräften sowie gegenüber der öffentlichen Gewalt zu wahren, durchzusetzen und zu stärken". Treuhänderisch verwaltet wird der Fonds von einem Kassenrat, der aus fünf Fans unterschiedlicher Vereine besteht. Die Unterstützung von Hooligans und rassistischen Fans ist in der Satzung ausdrücklich ausgeschlossen und trägt damit dem Selbstverständnis des BAFF Rechnung, das sich 1993 als Bündnis antifaschistischer Fußballfans gründete.

Glaubt man den Initiatoren des Fanrechtefonds', dann ist die vor und während der Weltmeisterschaft verschärfte Gangart der Polizei im Liga-Alltag beibehalten worden. Sie wird sogar noch auf die unteren Ligen ausgedehnt. Der Fanrechtefonds ist eine selbstorganisierte Reaktion auf diese Entwicklung, dürfte aber bestenfalls ein Anfang sein, die Grundrechte der Fans zu sichern, indem er zumindest das Geld bereitstellt, das Vorgehen gegen die Fußballanhänger juristisch überprüfen zu lassen. An ihrem schlechten Ruf, der einer überzogenen Polizeipraxis erst den Weg ebnete, ändert er indes nichts.

Dirk Rudolph

Kontakt: www.fanrechte.de

Die Kontoverbindung des Spendenkontos lautet: Kontoinhaber: Rechtsanwalt Dirk Seitz, Kontonummer: 4956785, Bankleitzahl: 20070024
(Deutsche Bank Hamburg)

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