Ausgabe 01 - 2007 berliner stadtzeitung
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Kopierrechte und linke Gegenkultur

Ein Buch bringt Ordnung in die Debatte um geistiges Eigentum

Seit dem Aufkommen von freier Software und den inzwischen legendären Musiktauschbörsen wird heftig über die Handhabung von Eigentumsrechten im digitalen Zeitalter gestritten. Von juristischen Fachdebatten über unzählige Feuilletonbeiträge bis zu esoterisch anmutenden Insider-Diskussionen und politischen Pamphleten von Computernerds reicht die Spanne.

Einig scheint man sich allein darin: Da wo getauscht und kopiert werden kann, was das Zeug hält, und freie Software kostenlos für jeden verfügbar ist, entsteht irgendwie etwas ganz Neues. Wohin die Reise führen wird, ist aber umstritten. Während die einen den vermeintlich subversiven Charakter der neuen Computertechnik als Vorboten einer nachkapitalistischen Gesellschaft feiern, beschwören andere den Untergang einer gesamten Rechtsordnung herauf und fürchten sich vor ihren desaströsen Folgen.

Dabei liegen die meisten Positionen eigentlich weniger weit auseinander, als es in den Debatten scheint, behauptet zumindest die Berliner Politikwissenschaftlerin Sabine Nuss. In ihrem kürzlich erschienenen Buch Copyright & Copyriot stellt sie die verschiedenen Standpunkte im Streit um den Zugang zu Wissen und Information im digitalen Zeitalter ausführlich dar und bringt etwas Ordnung in das begriffliche Chaos der hitzigen Debatten.

Dabei wird deutlich, daß es durchaus verschiedene Vorstellungen gibt, wie restriktiv geistiges Eigentum geschützt werden sollte. Die Frage, was Eigentum genau ist, wird aber in den meisten Fällen gar nicht erst gestellt. Stattdessen wird es als etwas „Natürliches", immer schon Dagewesenes aufgefaßt. Dem hält Nuss entgegen, daß das, was wir heute unter Eigentum verstehen, an die spezifische Gesellschaftsform des modernen Kapitalismus gebunden ist. In einem kurzen historischen Rückblick über die Eigentumsverständnisse vergangener Epochen gibt sie eine begriffliche Bestimmung modernen Eigentums. Dabei bedient sie sich theoretischer Ansätze von Karl Marx, mit denen sie sich gegen ein „herrschendes Eigentumsparadigma" wendet. Entgegen dem alltagssprachlichen Verständnis ist Eigentum ihrer Meinung nach kein Ding und auch keine Herrschaft einer Person über eine Sache. Entscheidend sei vielmehr die Möglichkeit, andere vom Zugang zu etwas ausschließen zu können. So gesehen beschreibt Eigentum ein Verhältnis zwischen Menschen bezüglich einer Sache. Ob es sich dabei um einen materiellen Gegenstand oder ein virtuelles Erzeugnis handelt, ist reichlich egal. Zumindest sagt es nichts über das gesellschaftliche Verhältnis der Menschen aus, welches Nuss' Meinung nach eigentlich im Zentrum der Debatte stehen müßte.

Vor diesem theoretischen Hintergrund betrachtet sie detailliert die Aneignungskonflikte um geistiges Eigentum. Dabei wird deutlich, daß durch die neuen Technologien das Eigentum als solches mit Sicherheit nicht verschwinden wird. Vielmehr werden sich Formen des Zugangs zu Wissen und Informationen entwickeln, die den nach wie vor geltenden kapitalistischen Verhältnissen angemessen sind. Wie das aussehen kann, zeigt ein Blick auf neue lizenzrechtliche Modelle und die Vereinnahmung vermeintlich subversiver Praxen zu kommerziellen Zwecken.

Auch wenn am Ende dieser Entwicklung ein besser geschütztes ­ statt grundsätzlich bedrohtes ­ Urheberrecht stehen wird, weist Nuss darauf hin, daß die neue Technik durchaus zu subversiven Zwekken genutzt werden kann. Die Etablierung einer kritischen Gegenöffentlichkeit oder die Tätigkeit von Hackern sind Beispiele, wie die Netztechnologie auch anders angewandt wird ­ was aber nicht heißt, daß die Technik selbst schon Gegenkultur ist. Und da diese Vorgehensweise in den wenigsten Fällen mit einer Diskussion über ihren gesellschaftlichen Zweck verbunden ist, bleibt sie lediglich ein Beispiel dafür, „daß es auch anders geht" ­ mehr aber auch nicht, so lautet das etwas ernüchternde Fazit des Buchs.

Trotz einiger Fremdwörter und seinem akademischen Jargon setzt Copyright & Copyriot kein Insiderwissen voraus. Durchaus anspruchsvoll, aber leicht zugänglich geschrieben, liegt seine Stärke darin, komplexe Debatten anschaulich und allgemeinverständlich darzustellen.

Es hat damit gute Chancen, ein kritisches Standardwerk über die Hintergründe und bisherigen Kontroversen zur Entwicklung digitalen Eigentums zu werden. Selbst der Preis von knapp 20 Euro für rund 270 Seiten ist nicht allzu abschrekkend. Und vielleicht kursiert das Buch ja demnächst auch als Raubkopie im Internet. Das schafft den Kapitalismus zwar nicht ab, bringt aber neue Leser.

Philipp Mattern

Sabine Nuss: Copyright & Copyriot. Aneignungskonflikte um geistiges Eigentum im informationellen Kapitalismus. Westfälisches Dampfboot, Münster 2006. 19,90 Euro.

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