Ausgabe 01 - 2007 berliner stadtzeitung
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Killer-Peter macht Schluß mit Mondscheinkäufen

Warum das Kulturkaufhaus nachts wieder schlafen kann

Der Geschäftsmann Dussmann wollte „nie für einen anderen Armleuchter" arbeiten (Titel seiner noch nicht veröffentlichten Biographie) und gründete lieber eigene Firmen im Dienstleistungsbereich (Cafeterien, Putzfirmen). Weil er aber seine Freiheit, Menschen zu beschäftigen, durch nervende Arbeitsschutzregulierungen wie das Ladenschlußgesetz beeinträchtigt sah, ergriff er die Möglichkeit, in dem fast leerstehenden Bürogebäude in der Friedrichstraße eine Buchhandlung zu eröffnen. Von dort aus konnte er gegen solche „sinnlosen" Gesetze öffentlichkeitswirksam ins Feld ziehen. Und die regierenden Politiker der Stadt beugten sich, erließen Sonder- und Ausnahmegenehmigungen.

Doch der Gesetzgeber wollte ihm vorschreiben, wann seine Beschäftigten nach Hause gehen durften, zum Schlafen, zum Kinderbetreuen oder einfach, um sich einem eigenen kulturellen Leben außerhalb seines „Kulturkaufhauses" hinzugeben. Endlich war es im Herbst 2006 so weit ­ mit einer „Ladenschlußkiller"-Fete feierte Peter Dussmann Mitte November sich selbst, nachdem der SPD-PDS-Senat auf sein Drängen hin die Lokkerung der Öffnungszeiten um einige Wochen vorgezogen hatte. Damit, so Dussmann, habe der Senat „wieder einmal Engagement für die Berliner Wirtschaft gezeigt. In München hätte man nie so flexibel reagiert."

Es sollte ein tolles Weihnachten für die Firmenbesitzer des Handels werden, wenn auch nicht überall in der Republik. Berlin war endlich eine Weltstadt, denn nur in echten Weltstädten kann man beinahe rund um die Uhr shoppen.

„Einkaufen wie in England!" schrie die Dussmann-Funkwerbung. In der Londoner Oxford Street, wie überall im Lande, machen viele Läden schon um 19 Uhr dicht. In den gewöhnlichen Wohngegenden noch früher. Riesige Supermärkte am Stadtrand haben allerdings fast rund um die Uhr offen ­ ein Umstand, der dazu geführt hat, daß die Einkaufsstraßen vieler Kleinstädte, aber auch Stadtteile Londons ohne größere Lebensmittelgeschäfte, vor sich hinsterben.

Europas größtes „Kulturkaufhaus", Waterstone's am Londoner Piccadilly Circus, vor kurzem neueröffnet, schließt um 22 Uhr. In New York kann man zwar die Dinge des täglichen Bedarfs oder vielleicht einen iPod nachts um drei bekommen, aber höherwertige Papeteriewaren? Berlin ­ dank Dussmann die weltstädtischste Weltstadt von allen! In der schönen neuen deutschen Einkaufswelt konnte man nun ein Reclamheft um kurz vor zwei Uhr bekommen oder Freitagnacht in die neuesten CDs am Stehpult reinhören.

Aber der Spaß war nicht von Dauer. Es hat sich nicht gerechnet. Die Firmenchefs stellten fest, daß öfters nach 19 Uhr mehr Mitarbeiter als Kunden in den Läden waren. Manche haben von Anfang an gar nicht mitgemacht. Weil sie groß genug waren, wie H&M, konnten sie es sich leisten, ihnen wurde auch als Mieter in Einkaufscentern nicht wegen „Vertragsbruchs" gegenüber vorgeschriebe-nen Öffnungszeiten gekündigt. Andere Firmen wollten mit ihren Vermietern verhandeln, wenn in den Centern alle Läden zur selben Zeit aufhaben sollten, selbst wenn sie leer waren. Sogar der Ladenschlußkiller persönlich mußte zugeben, daß nach Mitternacht wenig Geld mit Büchern und Musikalien zu verdienen war, und schränkte seine Öffnungszeiten wieder ein.

Und die Mitarbeiter? Viele schienen nicht so glücklich zu sein, noch später in der Nacht als bisher arbeiten zu müssen, trotz der Zuschläge, die bei einigen Unternehmen, die tarifgebunden sind, bezahlt werden. Noch ­ denn nun sei es „normal", bis 22 Uhr zu arbeiten. Und warum sollte dies zusätzlich belohnt werden? So die Handelschefs, die daraufhin die relevanten Tarifverträge kündigten. Daraufhin verzeichnete die Gewerkschaft ungeahnte, in die Tausende gehende Beitrittszahlen.

80 Prozent der Beschäftigten im Einzelhandel sind Frauen, viele mit Kindern. „Frühdienst" zu haben, heißt oft, um 18 Uhr Feierabend zu haben ­ und dann sind die Kleinen schon im Bett, wenn Mutti (oder Vati) zum Abendessen Zeit hat. Wer im Handel arbeitet, kennt kaum noch Wochenenden mit zwei freien Tagen. Trotzdem soll man weiterhin lächeln, wenn man am Freitag ab eins immer wieder „ein schönes Wochenende" gewünscht bekommt ­ wo die Schicht gerade erst angefangen hat. Das Gehalt ist gering, Arbeitsplätze werden abgebaut, und Feierabend ist erst nach 22 Uhr.

Der tapfere Geschäftsmann hat aber seinen Kampf noch nicht aufgegeben. Im Ladenschlußkiller Teil 2 geht es um die restlichen 42 Sonntage, die in Berlin noch weitgehend arbeitsfrei bleiben sollen. Denn erst wenn man auch täglich weit vor Sonnenaufgang eine Terminator-DVD oder einen Bosch-Bildband kaufen kann, wird Peter Dussmann gut schlafen können – anders als seine untergebenen „Armleuchter". Hasta la Vista, Ladenschluß – time to die.

Andreas M. Frischmuth

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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