Ausgabe 01 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

verschlossen

Siam B. erhängte sich im Dezember in der Moabiter JVA. Das durfte die Öffentlichkeit noch erfahren. Weitere Bekanntgaben von Suiziden in Berliner Gefängnissen unterband Justizsenatorin Gisela von der Aue per Diensterlaß. Ungeachtet anhaltender Kritik bekräftigte sie ihre Entscheidung im Rechtsausschuß im Januar damit, die Persönlichkeitsrechte der Selbstmörder sollten gewahrt bleiben. Hm, Tote genießen ein abgeschwächtes Persönlichkeitsrecht, dem sicherlich auch mit anonymisierter, verzögerter Herausgabe gerecht werden kann. Klar werfen allein zehn solcher Meldungen im Jahre 2006 kein gutes Licht auf die Arbeit der Senatorin. Aber wieso dann nicht die miserablen Verhältnisse ändern? Betreuungsangebote, Perspektiven vermitteln? Bleibt der erhebliche Druck, wird es auch zukünftig Suizide geben. Nur erfahren wir es nicht.

verraten

Um kleine Fische ging es nicht gerade bei der Anklage gegen 13 Manager der BerlinHyp, darunter den Ex-Fraktionsvorsitzenden der CDU, Klaus Landowsky. Das Tochterunternehmen der Berliner Bankgesellschaft hätte, so Oberstaatsanwältin Vera Junker, bei der Kreditvergabe „unvertretbare Risiken" in Kauf genommen. Sie sah den Vorwurf der schweren Untreue „in vollem Umfang" bestätigt und forderte Strafen von bis zu vier Jahren Gefängnis. Landowsky, der von den Kreditnehmern versteckt Spendengelder für seine Partei angenommen hatte, wertete den Anklagespruch wiederum als „späte Rache der Berliner Linken an der Einheit". Ob abgesehen von der Staatsanwaltschaft auch die Richter in eine solcherart skandalöse Verschwörung verstrickt sind, werden wir mit dem Schuldspruch erfahren.

verkauft

Die taz und Lenin ganz einer Meinung? Das kommt nicht täglich vor. In Staat und Revolution schrieb der Bolschewist über ein damals auch bekanntes Phänomen: „Die großen Revolutionäre wurden zu Lebzeiten ständig verfolgt. Nach ihrem Tode versucht man, sie in harmlose Götzen zu verwandeln, sie sozusagen heiligzusprechen. Man gesteht ihrem Namen einen gewissen Ruhm zu, wobei man ihre revolutionäre Lehre des Inhalts beraubt, ihr die revolutionäre Spitze abbricht, sie vulgarisiert." Dank einer taz-Werbekampagne bekommt Kreuzberg eine Rudi-Dutschke-Straße. „Diese zeigt, daß wir nicht mehr die Kämpfe von gestern kämpfen, wenn gerade da so ein Symbol entsteht", sagte Dutschke-Sohn und Möchtegern-Grünen-MdB Marek. Zweite Bestätigung der Leninschen Theorie: Ein passendes T-Shirt („schwarz mit weißem Druck, kurzer Arm, 100 Prozent Baumwolle") kostet „nur" 20 Euro, gegebenfalls plus Porto im tazshop. (Noch) in der Kochstraße.

verbaut

Nachdem im Januar Orkan „Kyrill" durchs Land gefegt war und infolgedessen zwei Stahlträger aus der Fassade des Berliner Hauptbahnhofs purzelten, kursierten verschiedene Theorien über die Ursache dieses für die Bahn AG so überaus peinlichen Vorfalls. Erst wurde behauptet, der Wind habe die freischwebenden Träger hochgehoben und sie dadurch zum Absturz gebracht, dann wieder, der Sturm habe ein bißchen zu sehr an der Glaslaube ­ die taz kürte sie zu „Mehdorns Bruchbude" ­ herumgerüttelt. Eigentlich fehlte nur noch (und irgendwie wartete man geradezu darauf), daß uns jemand erklärt, das ganze wäre in Wirklichkeit gar keine Folge des Orkans, der in Berlin ja sonst kaum Schäden hinterließ, vielmehr ein besonders infamer Angriff von islamistischen Terroristen gewesen.

termine

Immer wieder eine gute Adresse – der Stadtteilladen Zielona Gora in der Grünberger Straße 73, Friedrichshain. Am 7. Februar, 20 Uhr, wird eine Broschüre vorgestellt: Unsere Daten schützen wir selber! Über Ausforschung im Internet und Gegenstrategien diskutieren Michael Below, Sören Hilbrans und die Herausgeber der Broschüre.

Wer Theoriearbeit liebt, der wird am 12. Februar um 19.30 Uhr Lilian Mathieu aus Paris lauschen wollen, der mit Hilfe Bourdieuscher Kategorien über die globalisierungskritische Bewegung spricht. Kulturhaus Mitte, Auguststraße 21.

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Wissmannstraße – öffentliche Erinnerung auf der Probe" beschäftigen sich Yonas Endrias und die Künstlerin Jokinen mit der Frage, wie man mit der kolonialen Vergangenheit Deutschlands im öffentlichen Raum umgehen kann. 20. Februar, 19 Uhr, Werkstatt der Kulturen, Wissmannstraße 32, Neukölln.

Wenn der Eindruck entsteht, Flüchtlinge seien faul, weil sie nicht arbeiten, liegt das daran, daß sie es nicht dürfen. Über die Konstruktion rassistischer Bilder und Argumentationsstrukturen wie dieser klärt die Initiative gegen das Chipkartensystem auf. 28. Februar um 19.30 Uhr, Projektraum, Friedelstraße 54, Neukölln.

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zum Offenen Autorentreffen ins Café Village Voice, Ackerstraße 1a. Über künftige Autoren freuen wir uns, auch Neugierige sind willkommen. Das nächste Treffen findet am Sonnabend, den 10. Februar 2007, um 14 Uhr statt.

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