Ausgabe 10 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Mach' mal Pause

Zwei folgenreiche Gerichtsurteile zum Hausrecht von Verkehrsbetrieben

Es sind so trockene Texte, und doch so aufregend – Richterprosa, zumindest manchmal. Bereits im März haben die Richter vom Oberlandesgericht Frankfurt am Main in zwei Angelegenheiten für Recht befunden. Und was die Richter nun entschieden haben, dürfte von erheblicher Bedeutung für alle sein, die bereits einmal mit den von S-Bahn und BVG beauftragten Sicherheits- und/oder Ordnungsdiensten wegen eines Hausverbotes zu tun bekommen haben. Um es gleich zu sagen: So einfach, wie sich das die ÖPNV-Betreiber bisher manchmal vorgestellt haben, ist es eben doch nicht.

Es ging um ein sattsam bekanntes Problem: Die Verkehrsbetriebe wollen selbst darüber entscheiden, wer ihre Räumlichkeiten betritt. Sie wollen zahlende Kundschaft sehen, die sich auf dem Weg zur U-Bahn noch mit ein paar Kleinigkeiten ­ Süßes, Blumen, Zeitschriften ­ eindeckt, in jedem Fall so schnell wie möglich wieder verschwindet. Wen sie nicht wollen, sind diejenigen, die nicht mit der U-Bahn fahren, sondern sich bloß aufwärmen, dazu Taschendiebe, Drogenhändler und andere Kriminelle. Dabei stehen sie im Spannungsfeld zwischen der gesetzlich auferlegten Pflicht, jeden zu befördern, der einen gültigen Fahrschein vorweisen kann und dem ­ so ihre Auffassung ­ Recht, alle anderen zu vertreiben.

Was das Oberlandesgericht in einem der beiden ­ ähnlich gelagerten ­ Fälle (Aktenzeichen 1 Ss 219/05) nun verworfen hat, ist die Praxis der Verkehrsbetriebe, unerwünschte Personen, die sich nicht augenblicklich in die C-Ebene, also zu den Zügen, begeben, der B-Ebene zu verweisen, wegen Hausfriedensbruch anzuzeigen und strafrechtlich verfolgen zu lassen. Hausfriedensbruch ist nämlich in der B-Ebene ­ zumindest in den verhandelten Fällen ­ schlecht möglich, heißt es, weil es sich nicht um vom Paragraph 123 StGB geschütztes „befriedetes Besitztum und abgeschlossene Räume, die zum öffentlichen Verkehr bestimmt sind", handelt. D.h.: Auch wenn die B-Ebene ein abgegrenztes Gebiet ist, auch wenn man die B-Ebene mit einem Rollgitter verriegeln kann, auch wenn sie zu einem „dem öffentlichen Verkehr dienenden Raum" führt ­ heißt das noch lange nicht, daß der Betreiber schalten und walten kann, wie er will. Die Richter schreiben der beklagten Verkehrsgesellschaft (und damit allen anderen) ins Stammbuch, daß sie „ihr Hausrecht nicht uneingeschränkt ausüben" darf, sondern daß sie „bei der Erteilung von Zutrittsverboten allgemeinen Beschränkungen" unterliegt, z.B. der Beförderungspflicht. „Einem Reisewilligen, der ein Hausverbot zu beachten hat, ist es auch zu gestatten, sich angemessene Zeit vor Abfahrt der Züge bzw. U-Bahnen einzufinden, die Wartezeit an einer beliebigen, dem Publikum zugänglichen Stelle zu verbringen und dabei im Rahmen des Üblichen die Einrichtungen (Toiletten, Ladengeschäfte etc.) zu nutzen. Er ist für die Dauer einer angemessenen Wartezeit dann so zu behandeln wie jeder andere Reisende auch."

Mit anderen Worten: Wem nicht nachgewiesen werden kann, daß er mit Drogen dealt, anderer Leute Taschen leeren möchte oder andere strafbare Dinge tut, kann bleiben, wenn er einen gültigen Fahrschein hat. Darf in Zeitschriften blättern, einen Kaffee trinken oder die Fahrpläne studieren. Bevor die Ordnungskräfte jemanden hinausbefördern, müssen sie ihm erst einmal nachweisen, daß er etwas Verbotenes tut oder tun will. Auch denen, die schon mit einem Hausverbot belegt sind.

Die Entscheidung hat Konsequenzen für das Verhältnis zwischen Ordnungskräften und der von den Verkehrsgesellschaften nicht geliebten Kundschaft. Bisher wollten die Verkehrsbetriebe manchen Fahrgästen lediglich einen Spurt vom Eingang zum Zug bei sofortiger Abfahrt zugestehen. Das geht nun nicht mehr ohne weiteres. Mal sehen, wann die beiden Urteile auch in den Rechtsabteilungen der Verkehrsbetriebe ankommen.

Benno Kirsch

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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