Ausgabe 10 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Halb Halle, halb Handy

Die O2-Arena an der Spree verheißt Erleuchtung

Endlich hat Berlin eine Zukunft, eine Richtung. Geldwäsche und Korruption sollen nicht länger die wichtigsten Wirtschaftszweige der Stadt bleiben, denn die wahre Berufung Berlins war schon immer die Unterhaltung.

Gute Unterhaltung wird heute natürlich nicht mehr von Hand gemacht, sondern industriell hergestellt. Zum Beispiel im neuen Unterhaltungsindustriegebiet „Mediaspree". Dort werden Klingeltöne für Mobiltelefone komponiert, Modetrends ersonnen, Werbestrategien entworfen und auf viele andere Arten aus Scheiße Geld gemacht. Das Handy ist der Dreh- und Angelpunkt dieser modernen Unterhaltungsindustrie. Es ist Medium, Abspielgerät, Informationsquelle und Mittel zur Selbstdarstellung in einem. Wer über die Mobiltelefone herrscht, der herrscht über die Konsumenten.

Das Mobilfunkunternehmen O2 unternimmt jetzt weitere Schritte, um sich endgültig vom Dienstleistungsunternehmen zur Sekte zu entwickeln. Es finanziert per Werbevertrag im Quartier Mediaspree einen Tempel für kultische Zeremonien gigantischen Ausmaßes: die O2-Arena. Bis zu 17000 Sinnsuchende sollen darin Platz finden können, um von Hohepriestern wie Robbie Williams und Madonna in die Glaubenswelt des Entertainments eingeführt zu werden. Wer singende und tanzende Götzen nicht so gerne mag, der wird bei den sportlichen Events seine Freude haben. Der Hauptinvestor der Arena, Phil Anschutz, besitzt nicht nur viele Milliarden Dollar und prima Kontakte zu allen Stars, ihm gehört auch die Eishockeymannschaft der Berliner Eisbären. Die sollen in Zukunft ­ neben Boxkämpfen und Basketball ­ zahlende Gästen in die Arena locken.

Klar, man kann in einer ordentlichen Sekte Leute, die sich auf völlig verschiedenen Stufen der Erkenntnis befinden, nicht gleich behandeln. Wer die Reinheit seiner Seele durch Abschluß eines Vertrages mit O2 unter Beweis gestellt hat, der darf auf Vorzugsbehandlung hoffen: Er wird auf seinem Handy stets die neuesten Glaubenssätze vorfinden, er wird stets aufgefordert werden, sich diesen oder jenen Vorteil bei Konzerten, Gewinnspielen und ähnlichem zu sichern. Die Besitzer von O2-Handys benutzen dann bei Veranstaltungen selbstverständlich einen Spezialeingang und vergnügen sich in der O2-Lounge, zu der Ungläubige keinen Zutritt haben.

Aber keine Angst, auch den Gefangenen im Tal der Finsternis, all den armen Seelen, die bei der falschen Firma einen Vertrag, oder schlimmer noch, gar kein Handy haben, wird der Weg zum Heil gewiesen werden: Um mit den Ungläubigen kommunizieren zu können, wird die gesamte Vorderseite des Tempels aus einem gigantischen Bildschirm bestehen. Auf 1800 Quadratmetern Fläche wird O2 (und wer es sich sonst noch leisten kann) seine Heilsbotschaften verkünden. Egal, ob man über die Oberbaumbrücke geht oder eine Spreerundfahrt unternimmt, die flackernden Botschaften der Sekte werden weithin sichtbar sein.

Berlin geht neuen Zeiten entgegen, direkt an der Spree beginnt die Zukunft. Die O2-Arena ist genau das, was diese Stadt gebraucht hat.

Wer es nicht glaubt, wird selig.

Moritz Feichtinger

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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