Ausgabe 10 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Räuberpistole, die letzte (im Jahre 2006)

ditte&menschenkindMAuf einer Anhöhe zwischen Philadelphia und Storkow, nicht in Kasachstan, aber auf dem Weg dahin, tendenziell, also östlich der deutschen Hauptstadt, steht in der Hütte auf Hühnerbeinen, die Ditte als Weihnachtshexe über die Feiertage gemietet hat, ein Stuhl am Fenster, welches über und über mit dem üblichen Weihnachtsklimbim behängt ist, wie es sich für eine preiswerte Ferienwohnung gehört. Eigentlich kann Ditte so gar nichts sehen, wie sie da sitzt, nicht wirklich, aber sie weiß Menschenkind, Herrchen Horst, den Heizer, und Hund Fiskus, den Baxter, dort draußen, wo der Schnee rieselt.

Es weihnachtet sehr auch in einem Hundeherzen. Keine Krippe ohne Ochs und Esel, die Geburtsgaranten für den Heiland. Schon im Alten Testament wurden Ochs und Esel dem Messias beigesellt ­ beigestellt in seinem Lauf. À propos Lauf: Baxter Fiskus und Heizer Horst sind Ditte und Menschenkind gleichsam zugelaufen an einem trüben Novembertag. Sie standen plötzlich auf der Matte. Bloß so. Ditte hatte gerade Salatraukenblätter mariniert, als es klingelte. Fiskus sprang an Ditte hoch, wedelte mit dem kupierten Schwanz und ließ dieses gewisse Fiepen ertönen, was Ditte sofort weich werden läßt, unter allen Umständen. Menschenkind blieb in seinem Schaukelstuhl sitzen, wo er unablässig nachdachte, schon seit Stunden, als er unentschlossen aufblickte und wieder seine Lider auf die ihm eigene Schildkrötenart senkte. Seitdem sind die Vier eine Art unverbrüchliche Solidargemeinschaft geworden, keine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des Gesetzgebers.

Fiskus, der aus einem Schweizer Züchterstall entwichen ist, hat schließlich Ditte und Menschenkind wieder zusammengebracht. Als ihm Ditte auf Knien die Pfoten säuberte, sah sie ihn an, wie er es wünschte, nämlich verliebt. Deshalb nennt Menschenkind den neuen vierbeinigen Freund den „Menschenflüsterer".

Wie auch immer, Ditte sitzt in der Hühnerbeinhütte und wartet auf die drei, die dort draußen irgendwo herumtollen, Schneehühner aufbringen und Reisig für den Kaminofen sammeln wollten. WER SEINEN HUND FREI HERUMLAUFEN LÄSST, WIRD ERSCHOSSEN, DER HUND. In Großbuchstaben steht es geschrieben, von der Gemeinde unterzeichnet und im Schaukasten derselben ausgehängt. Ditte hat Angst, Fiskus könne etwas zustoßen, und Heizer Heinz eben auch, je nachdem, wie die Gemeinde ihr eigenes Orakel auslegt. Dreimal hat es schon geschossen. Und alle drei sind noch nicht da.

Die pommerschen Grünkohlwochen sind längst vorbei, auch die Entenjäger sind bereits abgefahren. Was bedeutet bloß diese Ballerei? Hat Fiskus ... Oder Heizer Horst?

Plötzlich steht Menschenkind in der Tür. Die Augen weit aufgerissen, hebt er seine Hände. Dreht die Handflächen nach oben, als wolle er ihre Reinheit demonstrieren, und jammert und jammert. „Sie haben sie erschossen!"

„Was, um Himmelswillen ... wer?" Menschenkind macht einen Ausfallschritt auf Ditte zu, läßt sich auf ein Knie fallen und gräbt seinen Kopf in Dittes Schoß. Seine Schultern zucken im Takt mit den Worten, die er herausschreit: „Diese Dorftrottel haben sie abgeknallt, einfach so." In den Tränen erstirbt seine Stimme.

„Das ist nicht wahr, nein, bitte, sag, es ist nicht wahr; Menschenkind, komm zu Dir. Du hast Fieber!"

Horst, der Heizer, Fiskus, der Baxter. Nein, es darf nicht wahr sein. Ditte schluchzt nun noch mehr als Menschenkind. Die beiden sind bereits in einem Meer der Tränen untergegangen, als Herr und Hund im Zimmer stehen, Fiskus unversehrt an der Leine, Heizer Horst mit einem Reisigbündel auf der Schulter. „So", sagt Horst, „jetzt könn' wa' den Ofen zum Bullern bringen!" So hört sich das also an, wenn einer aus dem Jenseits zu uns spricht, denkt Ditte, noch immer schluchzend, als Menschenkind lachend aufspringt, Ditte schüttelnd: „Waren doch bloß verfrühte Silvesterböller, Ditte, du Gute! Wollte doch bloß das blöde Schild ..."

Bevor Heizer Horst Hand anlegt, prasseln die Trocken-Leckerlis in Fiskus' Napf. Aber dann ist es schön warm in der Hütte auf Hühnerbeinen und in den Herzen. Leise rieselt der Schnee. Bully Buhlan singt im Radio. Dann Achim Mentzel. Dann Karel Gott.

Brigitte Struzyk/Dieter Kerschek

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