Ausgabe 10 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Wenn Neoliberale den Sozialismus wollen

Wohin führt das rege Werben für ein Grundeinkommen?

Die sogenannten Wirtschaftsweisen haben gerade mal wieder – wie jedes halbe Jahr – verkündet, auf die Erwerbslosen müsse mehr Druck ausgeübt werden, damit diese sich stärker um gerade noch zumutbare Arbeit bemühten. Denn Billiglohnjobs würden genug angeboten, aber den ALG II-Empfängern gehe es noch zu gut. Um weitere 30 Prozent wollen die Wirtschaftswissenschaftler den ALG II-Satz abgesenkt sehen und würden denjenigen, die einen Minijob annehmen, im Gegenzug einen etwas größeren Zuverdienst aus dieser Arbeit zugestehen.

Unerwartet kamen dagegen die deutlichen Worte ausgerechnet eines Managers, der Stellung bezog gegen den Zwang für Hartz IV-Betroffene, sich für Sozialleistungen am Rande des Existenzminimums mühsam rechtfertigen zu müssen und gegebenenfalls auch noch drangsalieren zu lassen. „Hartz IV ist offener Strafvollzug. Es ist die Beraubung von Freiheitsrechten. Hartz IV quält die Menschen, zerstört ihre Kreativität. Es ist ein Skandal, daß eine rot-grüne Regierung dieses destruktive Element in die Gesellschaft gebracht hat."

Götz Werner, Chef einer großen Drogeriekette, sprach's und warb in mehreren Magazinen dafür, das ALG II und alle anderen staatlichen Transferzahlungen durch ein bedingungsloses Grundeinkommen zu ersetzen. Dies sollten alle Menschen erhalten, ob arm oder reich, und es müsse niemand mehr dafür durchleuchtet und unter Druck gesetzt werden, was eine große Entlastung für die Gesellschaft darstellen würde.

Nun ist das Grundeinkommen keine gänzlich neue Idee. Es war schon unter den Begriffen Existenzgeld oder Bürgergeld im Gespräch, und es existiert eine Vielzahl unterschiedlicher Modelle. Nicht immer soll es bedingungslos sein, und zuweilen geht es in den Debatten eher darum, niedrige Einkommen durch einen Kombilohn oder eine „negative Einkommensteuer" auszugleichen ­ Erwerbslose würden diese Leistung dann ausdrücklich nicht erhalten.

Letztlich müssen sich die unterschiedlichen Modelle daran messen lassen, wie hoch sie das Grundeinkommen jeweils ansetzen: Das „liberale Bürgergeld" der FDP bewegt sich auf ALG II-Niveau, würde also nur ein Wegfallen der Bedürftigkeitsprüfung bedeuten. Auch den Zwang, eine angebotene Arbeit anzunehmen, wollen die Liberalen beibehalten. Der thüringische Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) geht kaum weiter, denn in seinem „solidarischen Bürgergeld" von 800 Euro sind bereits eine private Krankenversicherung von 200 Euro und die Miete enthalten.

Andere Forderungen setzen 1000, 1200 oder gar 1500 Euro pro Monat an. Entgegen den knapper bemessenen Modellen steht hier die Befreiung vom Zwang der Arbeit im Mittelpunkt: Erwerbslose dürften nicht mit Armut für den allgemeinen Produktivitätsfortschritt und den daraus resultierenden sinkenden Bedarf an Arbeitskräften bestraft werden. Erst die Freiheit, nach eigener Wahl einer Beschäftigung nachzugehen, setze Kreativität und damit Innovation frei, die neue wirtschaftliche Impulse setzen könne ­ im Gegensatz zu einer knappen Grundsicherung, die zur Aufnahme schlecht bezahlter Tätigkeiten dränge.

Götz Werners Initiative „Unternimm die Zukunft" wirbt zwar für ein Grundeinkommen von 1500 Euro, doch sobald es an Möglichkeiten der Umsetzung geht, kursieren deutlich niedrigere Zahlen. Von einer schrittweisen Einführung, die durchaus bei 30 Euro(!) beginnen könne, ist dann die Rede und davon, daß eine Auszahlung von 800 Euro an alle Bundesbürger ohne Steuererhöhungen aus der Abschaffung aller bisherigen Transferleistungen finanziert werden könne.

Mal abgesehen davon, daß Werner zunächst nur den deutschen Staatsbürgern das Grundeinkommen auszahlen will ­ alle anderen dürften sich mit der Spargelernte begnügen ­, birgt eine schrittweise Einführung die Gefahr, daß das Grundeinkommen bei einem relativ niedrigen Satz stehenbleiben könnte: Man kann sich gerade keine Erhöhung leisten ­ die leeren Kassen und die Wirtschaftskrise, Sie wissen schon. Zudem, und das ist für Werner ein zentrales Argument, würde ein gesellschaftlicher Sockelbetrag vermutlich zu sinkenden Löhnen, vor allem bei weniger qualifizierten Tätigkeiten, führen. Gerade an den unteren Einkommensklassen könnte ein erhoffter Umverteilungseffekt also vorbeigehen.

Götz Werner behauptet zwar, Neoliberalismus und Sozialismus miteinander zu versöhnen, im Grunde jedoch ist er ein großer Fan der Marktwirtschaft. Das bedingungslose Grundeinkommen hat für ihn u.a. den Sinn, den Konsum und damit die Wirtschaftskreisläufe aufrechtzuerhalten. Ein sinkendes Lohnniveau würde zu besseren Exportbedingungen der deutschen Wirtschaft führen. Er vertraut allerdings darauf, daß die Unternehmer die zurückgehenden Produktionskosten voll und ganz in Form sinkender Preise weiterreichten, wodurch das abgesenkte Lohnniveau auf Verbraucherseite wieder aufgefangen würde. Denn so sei das Gesetz des Marktes.

Fern von einer Thematisierung des wachsenden Reichtums der Oberschicht, wendet sich Werner auch gegen jede Kritik hoher Einkommen und Profite: Denn diese würden immerzu in den gesellschaftlichen Kreislauf zurückfließen, die Wirtschaft ankurbeln und somit allen zugute kommen. Übersieht der eifrige Geschäftsmann dabei die zwischen Arm und Reich dramatisch auseinanderklaffenden Möglichkeiten gesellschaftlicher Einflußnahme? Wer kann es sich schon leisten, wie Werner aus eigener Tasche eine Kampagne über großformatige Anzeigen loszutreten? Oder gefällt er sich nur in der Rolle des engagierten Gutmenschen und wünscht sich, alle Profiteure der Marktwirtschaft würden sich derart hervortun?

Was bleibt, ist das Erstaunen darüber, in welchem Maße ein Kritiker der gesellschaftlichen Verhältnisse auf den Erfolg der Marktkräfte vertraut. Und die Hoffung, daß – mit oder ohne Umverteilung – dem nagenden Druck der JobCenter gegenüber den erwerbslosen Menschen so bald wie möglich ein Ende bereitet werden möge. Alles weitere – die genauere Ausrichtung und Finanzierung eines bedingungslosen Grundeinkommens – bedarf dringend der weiteren Auseinandersetzung. Und man sollte sich dabei nicht allzusehr von den eigenwilligen wirtschaftstheoretischen Ansichten eines Drogeriekettenchefs (ver-)leiten lassen.

Tobias Höpner

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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