Ausgabe 09 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Das Recht auf schlechte Kunst

Wenn sich Kunst, Wissenschaft und Meinung auf der einen und islamische Empörungsrituale auf der anderen Seite treffen, können auch die harmlosesten Äußerungen schnell zu einem Flächenbrand werden. Eine dänische Lokalzeitung veröffentlicht Mohammed-Karikaturen – in Malaysia ruft man zum Boykott auf. An einer deutschen Universität zitiert der Papst die Äußerungen eines byzantinischen Kaisers über Mohammed – in Pakistan brennen christliche Kirchen. In Frankreich polemisiert ein Intellektueller gegen den Islam – jetzt erhält er Morddrohungen und muß sich verstecken.

Man kann insofern verstehen, daß Idomeneo an der Deutschen Oper nach einem Anruf des Innensenators abgesetzt wurde. Die Behörde hatte auf ein „unkalkulierbares Sicherheitsrisiko" erkannt. Doch war die Deutsche Oper von Vernichtung bedroht? Wohl kaum. Denn bis zu der Entscheidung, Idomeneo abzusetzen, hatte sich noch niemand beschwert. Animiert von den Bedenken des Innensenators wählte die Intendantin dennoch den Weg der Zensur, um die möglicherweise verletzten Gefühle von Menschen, die nie von dem Stück Notiz genommen hätten, zu schonen und dadurch Schaden von ihrem Haus fernzuhalten.

Nun ist es erwiesenermaßen riskant, Mohammeds Anhänger zu reizen. Die Redakteure der Jyllands Posten können ein Lied davon singen, Theo van Gogh nicht mehr. Diese Fälle sind durch alle Medien gegangen und wurden zurecht angeprangert. Doch der Ungeist der Zensur waltet nun nicht mehr nur in Bereichen, in denen man islamistischen Terror und den Protest beleidigter Moslems fürchtet, sondern er breitet sich aus, sickert auch in andere Bereiche. Die Schwelle für Zensur scheint zu sinken.

Jüngstes Beispiel ist der Versuch eines Beamten der Berliner Polizei, die Demontage einer Installation der Foto-Shop-Galerie in Mitte zu erwirken, die den Papst scharf attackiert. Fürchtete er, daß sich bald der christliche Mob durch die Straßen Berlins wälzen würde und dann die öffentliche Sicherheit gefährdet wäre? Wohl kaum. Viel eher scheint es so zu sein, daß der Beamte die Gunst der Stunde nutzte und eine mögliche Gefährdung zum Vorwand nahm, eine ihm nicht genehme Ausstellung zu unterbinden. Denn davon, daß es gegrummelt hätte, kann nicht die Rede sein; lediglich ein Muttchen, wird berichtet, habe sich aufgeregt.

Die Freiheit der Deutschen Oper ist durch kleine Beamte, die sich bemüßigt fühlen, sich als Zensor aufzuspielen, nicht gefährdet, und Hans Neuenfels wird weiter inszenieren, wie es ihm beliebt. Doch was ist mit den Künstlern, die nicht durch eine breite Öffentlichkeit vor derartigen Bestrebungen geschützt werden? Mit den Künstlern, bei denen ein behördliches Schreiben bereits ausreicht, um Verunsicherung auszulösen? Die fortan immer, bei jedem neuen Kunstwerk, an ein möglicherweise existenzbedrohendes Gerichtsverfahren denken, das unbedingt vermieden werden muß? Da hilft der beruhigende Hinweis, es werde schon nicht so weit kommen ­ und tatsächlich wurde die Polizei, dem Vernehmen nach, vom Innensenator zurückgepfiffen ­ wenig. Bereits der Versuch entfaltet ja die gewünschte Wirkung.

Daß man Kunst kritisieren darf und muß, steht außer Frage. So darf man Neuenfels' Einfall, nach dem letzten Ton von Mozarts Oper den Kreterkönig Idomeneo hervortreten und Poseidons statt seines Sohnes Kopf, den Poseidon gefordert hatte, und dazu noch die Köpfe dreier Religionsstifter, präsentieren zu lassen, geschmacklos finden. (Dieser Regieeinfall ist im übrigen durchaus nachvollziehbar, im Gesamtzusammenhang sinnvoll.) Und man darf die Installation in der Foto-Shop-Galerie für deplaziert halten, weil die Künstler einem Skelett ein Bischofsgewand und einen Dynamitgürtel und dergleichen mehr umgehängt haben. (Dieses Arrangement ist im übrigen nicht nachvollziehbar, die mutmaßliche Botschaft bestenfalls altbacken.)

Doch auf keinen Fall darf man versuchen, einer Auseinandersetzung aus dem Weg zu gehen, indem man die Kunstwerke mit administrativen Maßnahmen dem Licht der Öffentlichkeit zu entziehen versucht. Man muß darüber streiten können, auch und gerade wenn die geäußerte Meinung nicht gefällt, abstößt oder verletzt. Es gibt ein Recht auf schlechte Kunst, auf abwegige Ansichten und unerwünschte Forschungsergebnisse. Deshalb sollte man sich gegen die gegenwärtig zu spürende Atmosphäre der Zensur zur Wehr setzen, in der man zwar die Großen verteidigt, aber die Kleinen in der Auseinandersetzung allein läßt.

Benno Kirsch

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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