Ausgabe 09 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Der Idylle ein Ende setzen

Moabiter wollen wieder im Freibad Poststadion baden und sammeln Unterschriften

Auf der Internetseite von lostplaces.de wird das Moabiter Sommerbad Poststadion als einer der „verlorenen oder vergessenen Plätze" Deutschlands vorgestellt. Als „sehr idyllisch" wird es bewertet. Eine melancholisch stimmende Idylle wohlgemerkt, gerade jetzt im Herbst: Zwischen Fliesen und Pflastersteinen wuchern kleine Birken mit bunt gefärbten Blättern, die Tribüne und der ulkige Sprungturm bröckeln vor sich hin, im Schwimmerbecken sammelt sich das herabgefallene Laub, das Nichtschwimmerbecken ist mit Sand zugeschüttet. Es scheint, als würde sich das Bad anschicken, es dem benachbarten Poststadion gleichzutun, dessen Zuschauerränge nach Jahren des Verfalls mittlerweile ein prächtig gedeihender Wald ziert. Vergessen ist das Bad wohl noch nicht, ob man es als verloren ansehen muß, läßt sich im Augenblick aber auch nicht mit Bestimmtheit sagen.

2002 wurde das beliebte und bis dahin gut besuchte Freibad trotz Protesten geschlossen, da sich der Senat finanziell (natürlich!) nicht in der Lage sah, eine wegen verschärfter EU-Richtlinien zur Wasserqualität notwendig gewordene Sanierung zu gewährleisten. Kurz darauf bildete sich eine Initiative ­ zuerst „Moabit geht baden", später „Pro Sommerbad Poststadion" geheißen ­, die sich seitdem für die Wiedereröffnung des Bades einsetzt, insbesondere, weil mit dessen Schließung „eine wichtige soziale Einrichtung" im Stadtteil verschwunden sei. Die Initiative favorisiert den Bau eines Naturschwimmbads, bei dem die Reinigung des Wassers nicht mittels Chemikalien erfolgt, sondern ausschließlich auf der Grundlage biologischer Prozesse. Zudem seien die Investitionskosten für die Sanierung wie die Betriebskosten geringer als bei den üblichen Chlorbädern ­ bis zu einem Drittel, wie die Aktivisten versichern.

Im Sommer 2005 erhielt die Initiative Unterstützung aus der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Mitte: Christoph Ziermann, parteilos, und die Fraktion Bündnis 90/Grüne brachten gemeinsam einen Prüfantrag zum Erhalt der Sportstätte ein, dem alle Fraktionen zustimmten. Demnach soll das Bezirksamt unter anderem prüfen, ob der Erlös aus dem Verkauf des Geländes des ehemaligen Stadions der Weltjugend an den BND zur Sanierung des Bades eingesetzt werden könne. Geschehen ist seitdem nicht sehr viel, und die marode Idylle blüht.

Im Juli dieses Jahres startete Pro Sommerbad ein Bürgerbegehren, in dem neben Sanierung und Wiedereröffnung auch die Finanzierung der Baumaßnahmen über Einnahmen aus dem Grundstücksverkauf an den BND gefordert wird. 6400 Unterschriften benötigt die Initiative bis zum Ablauf der halbjährigen Frist für das Begehren Ende November, um die BVV zum Handeln zu zwingen: entweder dem Begehren zuzustimmen oder einen Bürgerentscheid durchzuführen, bei dem dann ­ eine Beteiligung von 15 Prozent der Wahlberechtigten vorausgesetzt ­ die einfache Mehrheit entschiede. Bis Mitte Oktober konnten etwa 3000 Unterschriften akquiriert werden. In Kürze beabsichtigt Pro Sommerbad, gemeinsam mit dem Netzwerk für soziale Unternehmen und Stadtteilökonomie (NEST) ein Betreiber- und Finanzierungskonzept zur Sanierung und Wiedereröffnung als Naturschwimmbad zu erarbeiten.

In der Zwischenzeit, von Mai bis Ende September, wurde das Gelände durch das Projekt Tentstation als Zeltplatz zwischengenutzt ­ recht erfolgreich. Zur Zeit laufen Verhandlungen mit dem Liegenschaftsfonds über eine neuerliche Nutzung im nächsten Jahr, auch weil eine Sanierung, wenn es denn überhaupt zu einer solchen kommen sollte, bis dahin kaum begonnen werden könnte.

Gertrude Schildbach

Weitere Informationen zum Thema und Unterschriftenlisten für das bis zum 30. November laufende Bürgerbegehren zur Wiedereröffnung des Sommerbades Poststadion erhält man im Netz: www.sommerbad-poststadion.de oder im B-Laden, Lehrter Straße 27-30, Moabit (Mo + Do 15-18 Uhr, Di 13-17 Uhr, Mi 10-12 Uhr).

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