Ausgabe 09 - 2006 berliner stadtzeitung
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Pöbeln, schlagen, ruppen

In Veit Pätzugs Buch kommen Fans von Dynamo Dresden ungeschminkt zu Wort

Sie nennen sich Fans, Hooligans oder Ultras, und ihnen geht der Ruf voraus, überall dort, wo sie auftauchen, eine Schneise der Verwüstung zu hinterlassen. Der Dresdner Fußballverein Dynamo hat Anhänger, um die die Konkurrenz ihn nicht beneidet und die dem DFB ein ständiger Dorn im Auge sind. Veit Pätzug will in seinem Buch aber nicht, wie so oft, über sie reden, sondern er läßt sie in ausführlichen Gesprächen selbst zu Wort kommen und ihre Sicht der Dinge darstellen. In sechs Interviews entsteht das Bild mehrerer Fan-Generationen, von den achtziger Jahren bis in die jüngste Zeit.

Ob zu DDR-Zeiten oder in der gesamtdeutschen Regionalliga, bei Europapokal-Spielen gegen Bukarest oder beim Wiederaufstiegskampf in die zweite Bundesliga: Gewalt in den unterschiedlichsten Ausprägungen gehört dazu. In den Erzählungen hören sich die Geschichten zum Teil recht lustig an. Doch sie liegen manchmal lange zurück; werden deshalb nicht reflektiert, sondern erzählt, als handele es sich um Kinderstreiche. Wie die Opfer mit ihren Erfahrungen zurechtkamen, interessiert nicht. Zu DDR-Zeiten z.B. bekam jeder Schläge ab, der sich auch nur zufällig in dem Bahnhof aufhielt, durch den die Horde zog. Pöbeleien, Diebstähle und Körperverletzung zählte zum ganz normalen Repertoire. Einstecken mußten in dieser Zeit auch die Mitläufer, also nicht der „harte Kern" der Hooligans, oder, auf der anderen Seite, die Fans der gegnerischen Mannschaft, deren Schals „geruppt" wurden.

Durch alle Erzählungen ziehen sich drei Elemente, die bei den Hooligans die wichtigste Rolle spielen: Zum ersten ­ doch, doch! ­ Fußballbegeisterung und Hingabe an ihren Verein. Zweitens der Alkohol, ohne den kein Gang ins Stadion oder zum Fanbus angetreten wird. Und drittens die Aversion gegen Autoritäten, die in der DDR allerdings eine viel geeignetere Projektionsfläche boten als heute in der Bundesrepublik: „Die langen Haare und so, das war natürlich auch in erster Linie Lebenseinstellung, also kontra." Daß sich mit den Verhältnissen auch die Szene wandelte, ist klar. Vor 1990 dienten antisemitische und fremdenfeindliche Parolen wohl vor allem der Provokation, heute gibt es mehr oder weniger taugliche Versuche, sich von Rechtsradikalen abzugrenzen. Außerdem legt man anscheinend inzwischen mehr Wert auf eine „gute Choreographie", zu der das Absingen von Liedern und ­ wichtig ­ „Pyro" gehört, also das Zünden von Rauchgranaten, Fackeln oder Leuchtraketen.

Heutzutage sehen sich die Ultras zunehmend von den wirtschaftlichen Interessen der Vereine und des DFB in die Enge gedrängt. Je höher die Liga, desto höher die Anforderungen des DFB an die Sicherheit in und um die Stadien herum. Deshalb schimpfen sie auf die Funktionäre, auf den entseelten Fußball, auf Fans, die bloß die gute Stimmung im Ultra-Fanblock suchen, für die Choreographien aber kein Verständnis haben. Manche sehnen sich deshalb sogar in die Regionalliga zurück, wo die Vereine nicht unter demselben Vermarktungsdruck stehen wie im fernsehkompatiblen Bereich, der auch für die verachteten Normalbesucher attraktiv ist.

Als habe Pätzug am Ende befürchtet, das mit den Interviews gezeichnete Gemälde könne durch die subjektiven Darstellungen allzu einseitig ausfallen, schließen sich nach den Gesprächen mit den Fans zwei Interviews mit Polizeibeamten an, die berufsmäßig mit den Hooligans zu tun haben. Das tut dem Buch gut, denn so erfährt man, was die andere Seite denkt und fühlt, z.B. als am 1. September 2002 die Dynamo-Hools derartig aggressiv gegen die Polizei wüteten, daß es an ein Wunder grenzt, daß keine Todesfälle zu verzeichnen waren: Weder gelang es dem rasenden Mob, einen Beamten zu lynchen, noch setzte die Polizei Schußwaffen ein. Den Schilderungen zufolge lag beides im Bereich des Möglichen.

Da Pätzug am Ende auch die Polizei zu Wort kommen läßt, ist die Gefahr, sich von der wenig reflektierten und selbstgerechten Fan-Sicht vereinnahmen zu lassen, gebannt. Ihr Verhalten, das erschließt sich wie von selbst, ist und bleibt zum größten Teil mißbilligenswert: Während man ihnen ihre Begeisterung nicht nehmen mag, so bleibt ihre Gewalttätigkeit unanständig, kriminell. Indem Pätzug vermeidet, dies auszusprechen und das Urteil lieber dem Leser überläßt, hat er einen wichtigen Beitrag zum Verständnis, aber nicht zur Rechtfertigung des Hooliganismus geleistet.

Benno Kirsch

Veit Pätzug: Schwarzer Hals Gelbe Zähne – Fußballfans von Dynamo Dresden. MID Verlag, Dresden 2006, 19,90 Euro

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