Ausgabe 09 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Globalisierung im Schwarzwald und in Mumbai

Das Filmfestival ueber arbeiten zeigt Erschreckendes aus der internationalen Arbeitswelt

Über Arbeit oder vielmehr deren eklatantes Fehlen und die Ursachen dafür wird derzeit viel diskutiert. Die Schlagworte Globalisierung und Standortverlagerung werden dafür immer wieder als Ursachen angegeben. Daß diese jedoch nicht nur Auswirkungen auf unsere Wirtschaft haben, wird populär gerne ausgeklammert. Auch, daß wir in Europa eher auf hohem Niveau jammern. Wie sich die Globalisierung in ärmeren Teilen der Welt auswirkt, zeigen einige Beiträge des „bundesweiten Filmfestivals zu Arbeit, Wirtschaft und Globalisierung", kurz und doppeldeutig „ueber arbeiten", das von November 2006 bis April 2007 durch 80 deutsche Städte touren wird und von der Aktion Mensch ins Leben gerufen wurde. Auf dem Festival, dessen erste Station Berlin sein wird, sind ganz unterschiedliche Dokumentarfilme zum Thema zu sehen. Da geht es um Jugendliche in der Stadt und auf dem Land und deren Perspektiven, um Migranten, um Hartz IV und natürlich auch um die Auswirkungen der globalisierten Arbeitswelt in China, Indien oder Äthiopien.

Gleich zu Anfang sind Filme zu diesem Thema zu sehen. John und Jane etwa zeigt den Arbeitsalltag von indischen Call Center Agents in Mumbai, die ausschließlich US-Kunden bedienen und dafür extra einen amerikanischen Akzent antrainiert bekommen, damit niemandem etwas auffällt. Und auch sonst werden die jungen Mitarbeiter von ihrer Firma auf den American way of life eingeschworen, was teilweise surreale Komponenten hat, denn am Abend kehren die Mitarbeiter zurück in den indischen Alltag. Schwarzes Gold hingegen nimmt den Zuschauer mit auf eine Reise in die Welt der Kaffeeproduzenten. Da ist zum einen der Chef einer äthiopischen, ökologisch orientierten Kaffeebauernkooperative, die sehr gute Ware produziert, wie die wenigen Abnehmer in Europa und den USA immer wieder betonen. Da der Kaffeepreis jedoch von den Konzernen bestimmt wird, leidet die gesamte Belegschaft unter deren Preisdrückerei. Um über die Runden zu kommen, müssen die Bauern zusätzlich lokal bekannte Rauschmittel anbauen. China Blue wiederum zeigt, wie in der chinesischen Provinz Jeans unter sklavenähnlichen Bedingungen bis zu 17 Stunden am Tag von Teenagern für den amerikanischen und europäischen Markt produziert werden. Und Abschalten beleuchtet die rigide Vorgehensweise einer chilenischen Stromgesellschaft beim Bau eines Staudamms, wobei das Siedlungsgebiet eines aussterbenden urchilenischen Mapuche-Stammes im Wege ist. Den größten Finanzskandal der Weltwirtschaft rollt noch einmal der Film Enron – The Smartest Guys in the Room auf.

Andere Dokumentationen kommen stiller daher. Daß die Integration von Arbeitsmigranten aus der Türkei durchaus gelingen kann, ist in Zwischen den Welten sehr schön zu sehen. Des Wahnsinns letzter Schrei setzt sich mit den Auswirkungen der Hartz-IV-Gesetze anhand von ganz unterschiedlichen Protagonisten auseinander, die sich trotz Engagement und guter Ausbildung auf dem Abstellgleis sehen. Wie es aussieht, wenn Rentnerinnen mit gut 80 Jahren immer noch arbeiten, kann man in Herb, mein Herbst? besichtigen und sich schon mal auf die Rente freuen. Zwei andere Filme, Irgendwo dazwischen und Wir leben im 21. Jahrhundert begleiten Jugendliche in einem Dorf im Schwarzwald und in Köln bei deren Versuch herauszufinden, was sie nach der Schule machen wollen. Dabei sind deren Voraussetzungen völlig andere. Die einen sind wohlsituierte Gymnasiasten, die anderen Schüler einer Klasse, die durch integrierte Praktika wieder an ein „normales" Leben mit Frühaufstehen und Verpflichtungen gewöhnt werden sollen, damit sie wenigstens den Hauptschulabschluß schaffen. Eleganter geht es da in Behind the Couch zu. Gemeint ist damit die „Besetzungscouch" beim Film, genauer in Hollywood, das bekanntlich nur eine Produktionsstätte und Riesenindustrie ist, die ständig neues Material, also Gesichter braucht. Von Glamour ist da kaum eine Spur zu sehen.

Da alle diese Dokumentationen einigen Gesprächsstoff bieten, sind bei jeder Vorführung die Regisseure, deren Gäste und auch zum Thema passende Experten, zumeist von Non-Profit-Organisationen wie Oxfam, Transfair oder der AWO, anwesend. Und obwohl die Filme nicht gerade fröhlich machen: Gejammert wird woanders.

Ingrid Beerbaum

Das Festival „ueber arbeiten" findet ab 2. November im Cinestar Original am Potsdamer Platz statt, www.ueber-arbeiten.de

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