Ausgabe 09 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Ornament und Verbrechen

Florian Gaag hat einen aufschlußreichen Film über die Sprayerszene gedreht

Ein modernes Großstadt-Melodram ist Florian Gaag an nur 32 Drehtagen in Warschau und München gelungen. Zwischen ländlicher Idylle und der durch Verkehrsmittel hektisch geprägten Großstadt wirft der Film die Frage nach Recht, Gesetz und Ordnung wieder einmal neu auf. Kriminalisiert werden hier Jugendliche und junge Erwachsene, die mit ihrer besonderen Ausdrucksweise als Gruppen miteinander konfrontiert werden und sich bisweilen genauso kämpferisch gegenüberstehen wie der Polizei. So zeigt der Film, daß selbst die „Pseudo-Kunst" Graffiti am öffentlichen Gut Kriminelle und Flüchtlinge in unmittelbarer Nähe hervorbringt.

Die Kommunikation mit der „normalen Welt" bleibt jedoch ausgeklammert. Gerade das aber wäre ein Thema, das viele interessieren würde: Was bedeuten die vielen Zeichen, von wem sind sie und wofür oder wogegen stehen sie konkret? Auch die Durchschnittsbevölkerung würde gerne Antworten auf diese Fragen finden und dann die Markierungen vielleicht nicht mehr als Schmierereien, mit denen niemand etwas anfangen kann, abtun. Ebensowenig weiß die Familie von den „Machenschaften" des Sohnes, der sonst ordentlich angezogen in einem Kino ­ Ort des öffentlichen Lebens und Konsums von Illusionen gleichermaßen ­ arbeitet. Erst sein Tod läßt die beiden Gruppen sich verbünden, um den ganz großen Coup zu landen.

Melodramatisch und gut gebaut, mit dem Titelsong „Wholetrain" als Leitmotiv, starken Figuren, die dank extrem bewegter Kamera wirklich authentisch rüberkommen, und kausal-motiviertem Spannungsbogen ist der Film schön und ergreifend: So erfährt der tote Anti-Held nicht mehr von der Postkarte seines Vaters, nach der er den ganzen Film hindurch fragt. Kurzzeitig hält er, im Hausflur lauernd, die heiß ersehnten Zeilen in seinen Händen, ohne sie jedoch zu bemerken, da er vor der Polizei flüchten muß.

Dieser filmische Beitrag, der auf der diesjährigen Berlinale in der Reihe „Perspektive Deutsches Kinos" ebenso lief wie auf dem 14plus Kinderfilmfest, bietet keine Lösung des Problems. Aber er regt zur Suche an.

Katrin Rösler

„Wholetrain" läuft seit dem 5. Oktober in den Kinos

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
Ausgabe 09 - 2006 © scheinschlag 2006