Ausgabe 09 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Der nächste große Bluff

Subversion als Kapitulation oder wie die Zentrale Intelligenz Agentur auf den Buchmarkt drängt

Mal angenommen, Karl Moik hätte in einem Interview offenbart, der „Musikantenstadl" sei gar nicht so ernst gemeint gewesen, er habe sich bloß mit kühlem Kopf überlegt, mit welchem Format er den größten Fernseherfolg würde einheimsen können. Hat eigentlich jemand etwas anderes erwartet? Würde man dann sagen, der Moik, dieser schlaue Fuchs, hat doch glatt die deutsche Fernsehunterhaltung unterwandert, und keiner hat's gemerkt?

Wohl kaum. Genauso reagierten allerdings die Feuilletons, nachdem sie Wind davon bekommen hatten, daßdie diesjährige Bachmann-Preisträgerin Kathrin Passig einer ominösen Zentralen Intelligenz Agentur (ZIA) angehört und diese dieselben Aussagen getätigt hatte wie Karl Moik in dem fiktiven Interview. Die ZIA – für die, die es trotz Medien-Hype noch immer nicht mitbekommen haben – ist eine jener Berliner Medienklitschen, die sich mit Werbung, Pressearbeit und Buchprojekten durchs Leben schlagen. Im Netz wirft die ZIA, quasi als Dreingabe zu ihrer kommerziellen Arbeit, allerlei Nebelkerzen, verbreitet widersprüchliche Gründungsgeschichten und Aussagen über angebliche Mitglieder, Nicht-Mitglieder und IMs und macht sich über Journalisten lustig, die den Unsinn abschreiben. Im Grunde des Herzens möchte man aber doch ein geachteter Kulturträger sein. Warum sonst sollte man sich in Klagenfurt bewerben? Kann man mit Werbung nicht mehr Kohle machen?

Der Pressearbeit der ZIA ist nun auch das Literarische Colloquium (LCB) aufgesessen, das im Oktober mit Natalie Balkow, Holm Friebe, Wolfgang Herrndorf und Kathrin Passig von der ZIA die neue Veranstaltungsreihe „Subversionen" gestartet hat. Das LCB will in dieser Reihe, die man in den hippen Münzsalon in Mitte ausgelagert hat, Autoren präsentieren, „die sich querstellen zu festgefügten und allzu vertrauten Sichtweisen und literarischen Moden." Anscheinend hat man im LCB aber hauptsächlich die Feuilleton-Aufregung nach dem Bachmann-Preis und weniger die Äußerungen der ZIA rezipiert. Denn die stellt sich mitnichten quer, sondern produziert marktgängige Erzählware von lesebühnenwürdiger Harmlosigkeit und Unerheblichkeit; für 2007 sind bereits Erzählbände angedroht. Kathrin Passig erklärt sogar: „Wir finden das System Bachmann-Preis ganz gut. Es hat keine Bloßstellung verdient." So war die Veranstaltung, zu der sich ein Publikum einfand, das mehrheitlich so aussah, als sei es aus der jungen FDP rekrutiert worden, eine stinknormale Lesung, die auch noch mit einer Weihnachtsgeschichte aus einer Weihnachtsanthologie endete – auch so ein Kulturklitschen-Projekt.

So sieht sie also aus, die subversive Kunst made in Berlin 2006: Man macht sich nichts vor über einen durch und durch kommerzialisierten Kulturbetrieb. Man weiß: Wer hier mitmischen möchte, der hat sich dem Mainstream anzupassen und sollte sein kritisches Bewußtsein, so überhaupt noch vorhanden, besser über Bord werfen. Und man verwendet gleichzeitig eine unglaubliche Energie darauf, sich diese Kapitulation schönzureden und mit ironischen Statements zu garnieren, die markieren sollen: Ich bin nicht so einfältig wie mein Produkt, ich weiß, was ich tue, ich stehe über den Dingen! Es gibt eine ganze Menge Leute, die sich das einreden wollen, und deshalb gibt es auch einen dazugehörigen Markt. Allein, die Produkte werden dadurch nicht besser.

Florian Neuner

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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