Ausgabe 09 - 2006 berliner stadtzeitung
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„Bis ich in die Kiste falle"

Marianne Rosenberg: Die Diva und der Schwarze Block

Hoppsala, das ist unsere Diva? Unsere Rosi? Wie seltsam. Sie sieht sich ganz anders. Berichtet von Mißerfolgen, von Stürzen, von Schuhen und Rollen, die ihr zu groß erschienen. Viele Seiten hat die Schlagertante, von der man leicht glaubt, alles zu wissen. Über Jahre sammelte sie Anekdoten und Geschichten aus ihrem Leben. Nun hat sie diese in einer Autobiographie zusammengeführt. Bei einer Lesung zeigte sie Reife, Humor – und das unverschämt frische Gesicht einer mittlerweile 50jährigen.

Sie berichtet aus dem Leben einer kinderreichen Familie in ärmlichen Verhältnissen. Dieses, intakt, wird doch überschattet von den Erfahrungen der Elterngeneration, zerrissene Familien. Und im Falle ihres Vaters, des Sinto, schlimmer noch: eine vernichtete. Für ihre Oma mütterlicherseits empfand sie stets Mitleid, konnte sie nicht trösten, wenn sie wieder weinte, um ihre Familie trauerte. Die Berliner Mauer verlief mitten durch die Stadt ­ und mitten durch ihre Familie.

Der Vater weinte nicht viel. Er ertränkte seinen Kummer. Dann ließ er die Kinder in die Kneipe kommen und für ihn singen. So begann die Karriere der Marianne Rosenberg. Wenn sie von der Geschichte des Vaters, Otto Rosenberg, spricht, klingt sie nicht bitter, nicht vorwurfsvoll. Als einziger von acht Geschwistern überlebte der Sinto Auschwitz. Ein normales Leben wollte er in Deutschland führen. Soweit das noch möglich war. „Ich bin froh, daß mein Vater das nicht miterleben muß", sagt sie mit Bezug auf den Ausgang der letzten Bezirkswahlen, es könne nicht sein, daß die NPD im Parlament sitze.

Mit „Altersmilde" blickt sie auf ihre Zeit im linken Spektrum zurück. Als die Schlagerverträge es endlich zuließen, strebte sie eine andere Arbeitsweise an, wollte sich nicht mehr zum „Kehlkopfknecht" degradieren lassen. Auch inhaltlich wollte sie sich weiterentwikkeln. Eine tiefe Freundschaft verband sie mit Rio Reiser. Sie war auf der Suche nach anderen Ufern, wie auch er. In der Mitte trafen sie sich, an der Schnittstelle zwischen Rock und Pop, arbeiteten gerne zusammen, auch wenn ihnen wenig Verständnis entgegengebracht wurde.

In dieser Zeit ging Rosenberg öfter zu Demonstrationen, begleitete den „Schwarzen Block" und teilte dessen politische Ansichten. Allerdings immer in High Heels und mit Schminke im Gesicht, was bei den Genossen nicht gerne gesehen wurde. Das Vorgehen gegen Andersdenkende, die von Passanten am Straßenrand mit faschistoiden Sprüchen beleidigt wurden, machte sie zornig. Wie auch der „Napoleon von Berlin", ein untersetzter Innensenator mit großen Ambitionen und zuweilen gefährlichen Phantasien. Gleichermaßen gingen ihr die kollektive Allmacht der Genossen und die linke Kleiderordnung auf den Senkel. „Links zu sein, Staat und Ordnung in Frage zu stellen, galt irgendwie auch als schick. Viele Revoluzzer waren eben auch nur Spießer."

Vom Rock hat sie sich bereits wieder entfernt. Von den großen Bühnen auch: „Das Theater um Karriere und Ruhm ist Kokolores gemessen an dem, was Leben ausmacht." Nun singt sie Chansons im Jazz-Ensemble. Die Platte wird gerade in Kreuzberg produziert.

Sonja John

Marianne Rosenberg: Kokolores. List Verlag, München 2006, 19,90 Euro

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