Ausgabe 09 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Osmanisch-modernistische Irritationen

Für die deutsch-islamische Architektur besteht noch Hoffnung

Der Eingang ist eine schlichte Tordurchfahrt. Bunte Fotos hängen da, von Männern, die sich lachend Ziegel zuwerfen, einer strahlenden Menge beim Einweihungsfest, ernsten Kindergesichtern im neuen Klassenzimmer. Ein ganzes Kulturzentrum hat sich die Neuköllner schiitisch-türkische Gemeinde zwischen die Brandwände gebastelt, mit Räumen für den Koran-, Arabisch- und Deutschunterricht, mit Bibliothek und Cafeteria sowie einem Betsaal, der mit seiner ornamentierten Betnische und den auf den Teppich gemalten Gebetsreihen sogar so etwas wie Heiligkeit ausstrahlt. Der Rest allerdings wirkt eher wie ein Jugendclub, und der Führer der kleinen Besuchergruppe scheint etwas verlegen. Irgendwann sollen ein richtiges Portal und eine Kuppel an die Straßenfront, erklärt er, aber der Bauantrag wurde abgelehnt; auf ein Minarett „wagt man gar nicht zu hoffen". Sein Rat: Wer eine „richtige Moschee" sehen will, soll zum Columbiadamm, zur ¸Sehitlik gehen. Das ist die neueste und größte Moschee Berlins, ein Prunkbau mit mächtiger Kuppel, zwei schweren Minaretten und einer Unzahl historisierender Details; ein Verschnitt aus allem, was die klassische osmanische Sakralarchitektur hergibt.

So ist das mit den Moscheen. Ohne Kuppel und Minarett sind sie irgendwie gastarbeiterische, ärmliche und schamhaft versteckte Provisorien, nahezu unbeachtet, obwohl es in Deutschland über 2000 davon geben soll. Die paar Dutzend „richtigen Moscheen" werden zwar oft zum Ziel von Protesten und Brandanschlägen, wecken aber auch Neugier. Hunderte Besuchergruppen werden jährlich durch die ¸Sehitlik geschleust, die Moscheen in Hamburg, Lauingen oder Mannheim verzeichnen ähnliche Erfolge. Nicht selten taucht der Bau, den Behörden und Anwohner gestern noch um jeden Preis zu verhindern suchten, morgen auf der kommunalen Webseite auf ­ als Beispiel für Weltoffenheit.

Weltoffen wirken die meisten Moscheen freilich nicht. Die Mehrzahl der rund 50 islamischen Zentren, die derzeit im Bau oder in Planung sind, bedienen sich einer heimattümelnden, platt traditionalistischen Formensprache. Osmanische Kuppeln bei den Türken, persische Portale bei den Iranern. Dazu grobe Minarette mit Kegeldach und umlaufendem Balkon für den Muezzin, der in islamischen Ländern längst durch Lautsprecher ruft und in Deutschland gar nicht. Man findet aufgemalte Fugenmuster, Marmor oder bunte Kacheln aus dem Heimatland; die Kuppeln sind außen mit Kupfer verkleidet, innen mit traditionellen Motiven bemalt; Intarsien zieren Fenster und Türen, Stuck oder Schnitzwerk die Predigtstühle und Gebetsnischen. Wo es für solchen Luxus nicht reicht, hängen die Handwerker Scheinkuppeln an die Dekken, bauen aus Sperrholz zierliche Rundbögen vor die Fenster und fräsen Arabesken in den Rigips, alles so eng wie möglich an den historischen Vorlagen. In einer Fabriketagen-Moschee erklärt der Imam, woher er sie hat: von Reiseführer-Fotos, die er aus dem Netz zieht.

Natürlich hat der Imam einer kleinen Eigenbau-Moschee kaum eine Wahl. Er hat kein Geld und muß, um eine irgendwie islamische Atmosphäre zu erzeugen, zum einfachsten Mittel greifen: zum orientalischen Zitat. Das wird sofort verstanden, es wirkt vertraut, ja heimatlich, denn ist die Heimat des Islam nicht der Orient? Zwar kommen die hiesigen Muslime nicht aus dem mystischen Morgenland, sondern aus der Türkei, Arabien, dem Iran oder Afrika; auch gibt es immer mehr, deren Heimat einfach nur Deutschland ist. Aber ein neuer Stil, der die verschiedenen Bautraditionen der islamischen Welt vereinen, die alten Formen neu interpretieren und dem Hier und Heute architektonisch Ausdruck verleihen würde, läßt auf sich warten. Die eben fertiggestellte Duisburger Merkez-Moschee etwa, die die ¸Sehitlik an Größe noch übertrifft, steht ihr auch in puncto Altbakkenheit in nichts nach. Das Projekt der Ahmadiyya-Gemeinde, das derzeit in Pankow für Wirbel sorgt, ist ein billiger Kasten mit Zierkuppel und angeklebten Rundbögen, ebenso der Rohbau des Maschari-Centers in Kreuzberg, einer Art Shopping-Mall mit integrierter Hinterhofmoschee und hilflos auf dem Dach herumstehenden Metallhütchen, die Minarett spielen.

Keine Hoffnung also für die deutsch-islamische Architektur? Für die Kölner Zentralmoschee wurde unlängst ein Wettbewerb veranstaltet. Das Gewinnermodell zeigt einen schlichten Büroriegel im Hintergrund, einen halboffenen Innenhof und, prominent an der Straßenecke, einen aufgebockten flachen Kasten, aus dem zwei kantige Minarette wachsen. Das Erdgeschoß wirkt transparent, bis auf die gewaltige Kuppel des Gebetssaals, die aus dem Boden zu brechen scheint, den Kasten durchstößt und darüber steil in den Himmel ragt, kugelartig und wie zersplittert in großflächige, unregelmäßige, vage an Kontinente erinnernde Platten – ein Globus also. Eine schöne Metapher. Zu teuer? Einem viel unscheinbareren, aber ähnlich um Modernität bemühten Moscheeprojekt in München gelang vor kurzem sogar das Kunststück, die Überfremdungsrhetorik der örtlichen Protestinitiative auszuhebeln: Diese hatte die Planung irritiert als „osmanisch-modernistisch" kritisiert. Das klingt doch schon mal ganz gut.

Oskar Winter

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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