Ausgabe 08 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Keine Hafenstraße am Rhein

Geplatzte Hochhauspläne und Besetzerträume in Köln

Köln ist eine kleine, enge Stadt. Große Teile der Bevölkerung verstreuen sich auf Stadtviertel, deren Nachkriegsbauten als grauer Würfelhusten Gegenden besetzen, denen urbane Qualitäten abgehen, ohne daß sie zum Ausgleich ländliche Vorteile aufwiesen. An den Rändern liegen eingemeindete Kleinstädte und Dörfer, deren Zugehörigkeit zu Köln rein verwaltungstechnischer Natur ist. Flair und Möglichkeiten einer Großstadt bieten lediglich zwei Handvoll Bezirke im linksrheinischen Stadtgebiet, auf der rechten Rheinseite erfüllen diese Kriterien gar nur zwei Stadtteile. Das nördlich gelegene Mühlheim wird immer wieder mal als kommende Größe gehandelt, weil sich zwischen den Heimstätten ballonseidener Kampfhundebesitzer auch schon mal studentische Wohngemeinschaften ansiedeln, was jedoch – analog zum Auftauchen von Wildtieren in Fußgängerzonen – nur anzeigt, daß der angestammte Lebensraum der Spezies weitestgehend vernichtet wurde: preiswerter Wohnraum in Uninähe.

Der zweite rechtsrheinische Kiez mit annehmbarer Lebensqualität ist mit vier Brücken fest mit der Innenstadt vertäut wie ein Beiboot am Mutterschiff: Köln-Deutz, immer wieder Objekt stadtplanerischer Großvorhaben, die den 2000 Jahre alten Ort mit dem ostinaten Soundtrack der Kungelei unterlegen ­ ein endloses Lied, dessen zweitjüngste Strophe vom Deutzer Messegelände handelt. Der Umbau respektive Verkauf des Areals vor einigen Jahren wurde mit einem sich bis heute hinziehenden Ermittlungsverfahren wegen Untreue gegen Oberbürgermeister Fritz Schramma gekrönt.

Die jüngste Strophe verklingt gerade, und so hat sie sich angehört: Die Stadtoberen, den Blick fest nach oben gerichtet, nach Berlin, Hamburg, München, trachteten nach Größe in Form eines Wolkenkratzer-Quintetts, das in die Deutzer Landschaft gestochen werden sollte; einer davon dort, wo seit Anfang des 20. Jahrhunderts ein trutziger Block aus 371 Wohneinheiten stand, eingekeilt zwischen den Messehallen und dem wenig ansehnlichen Hinterteil des Deutzer Bahnhofs ­ ein stabiles, kastenförmiges Ding aus Sandstein, welches zwei Weltkriege überstanden hatte und günstige Wohnungen für zum Teil schon seit vielen Jahrzehnten hier ansässige Mieter bot. Dieser letzte Wohnblock nördlich der Bahntrasse, hinter der sonst nur noch Hotelbauten, Büros, alte und neue Messehallen um unwirtliche Durchgangsstraßen aufragen, sollte einem über 100 Meter hohen Turm mit Büroflächen weichen. Und die Bahn AG wollte den Deutzer Bahnhof mit Glas und Chrom zum kleinen Bruder des in Sichtweite befindlichen Hauptbahnhofs ausbauen. Im Stadtrat versprach man sich auch eine Aufwertung der Kölner Messe, deren per Schnellzug vor den neuen Eingang katapultierten Besuchern nicht noch der Umweg um das fünf Hektar große Wohngelände zugemutet werden sollte. Die Stadt Köln kaufte also der Eigentümerin, der Wohnungsbaugenossenschaft Erbbauverein Köln, den Block für 65 Millionen Euro ab, damit diese die Mieter umsiedeln und den Block abreißen könne. Ein gutes Geschäft für den Erbbauverein, der mit dem Geld sogar noch zusätzliche 130 Wohnungen finanzieren konnte. In Bezug auf den Kölner Wohnungsmangel freilich ein Nullsummenspiel, denn das Geld kam aus jenen schmalen Falten des schlaffen Stadtsäckels, in denen noch Etats für den Wohnungsbau zu finden waren.

Die Umsiedlung der Mieter verlief weitgehend reibungslos und teilweise durchaus zu deren Zufriedenheit. Manche allerdings, gerade ältere und seit langem im Viertel angesiedelte Parteien, wurden gegen ihren Willen verlegt und betrauern nachhaltig den Verlust ihres Heimatviertels.

Dann kam die kölsche Manhattanisierungsmaschinerie plötzlich knirschend zum Stehen. Unglaubliches war geschehen: Man hatte den Dom vergessen! Die dicke Gotik, deren von Deutz aus gesehen rechte Flanke bereits von einem seit zehn Jahren vorgeblich provisorischen, auf einer Lage Baucontainer gluckenden Musicalzelt ästhetisch konterkariert wird, wäre für den rechtsrheinischen Betrachter kaum noch zu sehen gewesen. Die UNESCO wertete die architektonische Camouflage-Attacke auf das identitätsstiftende Bauwerk als Angriff auf dessen städtebauliche Integrität und setzte den Dom auf ihre rote Liste der bedrohten Weltkulturerbe-Stätten. Im darauffolgenden Streit trennten sich die Lokalpolitiker schnell von mühsam antrainiertem Vokabular („Wirtschaftsstandocht", „Zukunftssischer"), um in althergebrachte kölsche Schängerei zu verfallen.

„Die Liste entscheidet nicht darüber, ob wir Weltkulturerbe sind oder nicht", schimpfte Ulrich Köver, Pressesprecher des Oberbürgermeisters, in nahezu charmanter Verkennung der Definitionshoheit in UNESCO-Angelegenheiten, in die Kameras des WDR. Im Juli 2005 konnte sein schnauzbärtiger Vorgesetzter nur noch nachtreten („Der UNESCO geht es gar nicht um den Dom... Aversion gegen Hochhäuser von einigen Hardlinern"), das Hochhausprojekt war Geschichte. Die Größenverhältnisse, sie waren nicht so, wie sie sich dem mitunter verzerrten Blick aus dem Rheintal darstellen, und der UNESCO-Titel für Köln zu wichtig. Zu allem Übel hatte die Bahn ihre Umbaupläne für Deutz in das Jahr 2025 verschoben, was getrost als die zahlenmystische Codierung des Wortes „nie" angesehen werden darf. Aus der Traum. Still und leer stand nun der Barmer-Block in einer der vom Mietniveau her teuersten Städte Deutschlands, preiswerter Platz für 1000 Menschen ­ und das in Innenstadtnähe, im einzigen vom Ring deutscher Makler genießerisch als „hochpreisig" bezeichneten rechtsrheinischen Stadtteil!

Bei 20000 als wohnungssuchend gemeldeten Personen und rapide zerbröselndem Sozialwohnungsbestand sollte allein der so entstehende osmotische Druck bald die ersten Obdachlosen in die unbenutzten Räume diffundieren lassen. Doch noch war es nicht so weit. Erst gab es Streit um den Abriß. Die Stadt warf der Wohnungsbaugenossenschaft vor, die Arbeiten nicht ordnungsgemäß ausgeschrieben zu haben, so daß der provokative Leerstand sich weiter hinzog. Darüber, daß der ganze Block abgerissen werden sollte, war sich die Ratsmehrheit aus am Rhein traditionell ununterscheidbaren SPD- und CDU-Fraktionen einig. Und ganz gleich, was dann komme, Wohnraum sollte es auf keinen Fall werden, da mit solchem die teure Investition sich nicht amortisieren würde.

Im März 2006 besetzten Mitglieder der Sozialistischen Selbsthilfe und der Kölner Montagsdemo mit 50 Aktivisten die verwaisten Gebäude. Da die Stadt Köln, bei eigenen Bauten seit Jahrzehnten mit Nulltoleranz-Strategien gegen derlei Aktionen rasch zur harten Hand, nicht Eigentümerin der Gebäude war, konnte sich die Besetzung halten und entfalten. Rasch hatte das Viertel das politische Besetzerpotential Kölns aufgesogen, und immer noch war Platz genug. Es folgten Punks, entlaufene Jugendliche, wohnungssuchende Studenten; Oi- und Redskins wurden ebenso gesichtet wie afrikanische Migranten und ganz normale Obdachlose. Der Stadtrat wurde nervös. Auf diese Weise sollte die Bevölkerungszahl, immer noch in demütigender Sechsstelligkeit verharrend, die Millionengrenze nun auch nicht überschreiten. Ausgerechnet RTL, deren neue Heimstatt unmittelbar gegenüber, in den alten Messehallen, entsteht, brachte eine mehrteilige, wohlwollende Dokumentation über die Besetzung.

Im Innern der Gebäude aber herrschte alles andere als Einigkeit. Der Aufbau eines autonomen Zentrums wurde wegen des unorthodoxen Eigentumsbegriffs anderer Bewohner abgebrochen, es kam zu Handgreiflichkeiten, und nachdem Strom und Wasser abgestellt worden waren, entwickelten sich auch die hygienischen Verhältnisse unvorteilhaft. Vielleicht wäre die Besetzung nach einer Weile einfach implodiert, vom eigenen Gewicht erdrückt, an der schieren Größe des Objekts gescheitert. Doch die Stadtverwaltung wähnte potentielle Investoren bereits kopfschüttelnd nach Berlin, Hamburg, München abwandern (oder Bonn, Essen, Düsseldorf, wenn man sich einer realistischen Liga zugeordnet hätte) und befürchtete eine „Hafenstraßisierung" des Barmer Blocks. Zudem stand die Fußball-WM ins Haus, und am Deutzer Rheinufer sollte eine Art Fanmeile entstehen. Das soziologische Experiment eines Aufeinandertreffens von Hausbesetzern und Fußballfans hatte wenig Reiz für Verwaltung und Ordnungshüter zu bieten.

Anfang Juni rückten mehrere Hundertschaften der Polizei im Morgengrauen an, trugen etwa 100 Besetzer ins Freie, brachten sechs Hunde ins Tierheim, und am Nachmittag bereits klopften Bauarbeiter die Fensterrahmen aus den Wänden. Ganz im Sinne des viel geforderten Abbaus bürokratischer Hindernisse hatte man sich um einen Räumungsbefehl gar nicht erst bemüht. Für einige Zeit wurden die Häuser in mehrere Lagen HERAS-Zäune eingewickelt und von einem privaten Sicherheitsdienst bewacht. Politisch bewegte sich nichts. Die Linke argumentierte gegen den Abriß, SPD und CDU hatten wieder zum „Wirtschaftsstandocht"-Mantra zurückgefunden, und die Grünen, stets um gewerbefreundliche Positionen bemüht, ohne die eigene Geschichte allzu offensichtlich zu verraten, waren nur halb für den Abriß, und auch nur halb dagegen. Dann kamen die Bagger.

Digo Chakraverty

Fotos: Veronika Chakraverty

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