Ausgabe 08 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Foto: Erik Irmer

Zukunftsweisend oder doch wieder nur größenwahnsinnig?

Berlin investiert in die Binnenschiffahrt

Daß Berlin der Schiffahrt viel verdankt, ist wohl unumstritten. Spree, Havel und die vielen Kanäle, das waren über Jahrhunderte die Lebensadern der Stadt. Dann bestimmten Eisenbahn und Lastwagen den Güterverkehr, Flüsse und Kanäle wurden nur mehr von Freizeitbooten und Ausflugsschiffen befahren. Nun werden wieder Hoffnungen in die Schiffahrt als umweltfreundliche und kostengünstige Transportform gesetzt. Ob diese Hoffnungen allerdings so begründet sind, ist umstritten.

Berlin ist nicht nur „aus dem Kahn gebaut" worden. Schon vor der Gründerzeit, auf die sich dieses geflügelte Wort bezieht, ist Berlin aus dem Kahn ernährt worden. Ob Obst und Gemüse aus Werder oder Heringe von der Ostsee, die meisten Lebensmittel auf den Berliner Märkten kommen übers Wasser. Es war den preußischen Fürsten und Königen daher stets ein Bedürfnis, das Wasserstraßennetz um und in Berlin zu pflegen und zu erweitern. Diesem Verkehrsnetz verdankt Berlin einen Gutteil seines wirtschaftlichen Aufschwungs im 18. Jahrhundert. Nicht nur wurden die Produkte der entstehenden Industrie mit Schiffen ausgeführt und die notwendigen Rohstoffe eingeführt, auch der Schiffbau selbst prosperierte. Straßennamen wie Schiffbauerdamm künden noch heute davon. Außerdem war es an vielen Stellen, an denen heute Brücken stehen, nur per Floß oder Boot möglich, die Spree zu überqueren.

Die preußischen Fürsten und Köni-ge erweiterten ständig das Netz der Wasserstraßen, ließen Schleusen und Brücken errichten und neue Kanäle anlegen. Die immensen Kosten, die dadurch dem preußischen Haushalt entstanden, waren nur durch die Aussicht auf stetiges Wachstum des Handelsvolumens zu rechtfertigen. Als Berlin 1871 Reichshauptstadt wurde, hatte sich die Eisenbahn als Haupttransportmittel bereits durchgesetzt, aber im innerstädtischen Verkehr spielte die Schiffahrt nach wie vor eine wichtige Rolle. Nur mit Kähnen konnten Steine und Metallteile an die vielen Baustellen der boomenden Hauptstadt gebracht werden. Daher stammt der Ausspruch, Berlin sei aus dem Kahn gebaut. Auf die neuen Regierungsgebäude und den Potsdamer Platz trifft dies übrigens auch zu. Der Transport der Baumaterialien erfolgte fast ausschließlich über das Wasser. Es ist fraglich, ob die großen Kanalprojekte Kaiser Wilhelms des Zweiten, dessen Affinität zu Schiffen ja bekannt ist, vernünftige Strukturinvestitionen waren, oder bereits Ausdruck von Größenwahn. Der Gütertransport auf Straße und Schiene überstieg jedenfalls schon damals den auf dem Wasser.

Heute wird wieder große Hoffnung in die Binnenschiffahrt gesetzt, sie verspricht umweltfreundlicher und rentabler zu sein als Massen von stinkenden LKWs oder der teure Transport per Bahn. Gerade für den Austausch von Waren mit den ehemaligen Ostblockstaaten scheinen die Wasserwege prädestiniert zu sein. Also wurde viel Geld ausgegeben, um die Wasserstraßen auf den neuesten Stand zu bringen und neue Kanäle anzulegen. Mit dem Abschluß des sogenannten „Projekt 17" des Verkehrsprojekts Deutsche Einheit, also einer ausgebauten Ost-West-Verbindung für Binnenschiffe über Havel, Elbe-Havel-Kanal und Mittellandkanal zu Elbe, Weser und Rhein, verfügt Deutschland über ein 7350 km langes, hochmodernes Wasserstraßennetz. In Berlin selbst wurde der Westhafen ausgebaut und gilt mittlerweile als einer der modernsten Binnenhäfen Europas. Vor allem sein Charakter als trimodaler Hafen, das heißt als Umladezentrum zwischen Schiene, Wasser und Straße, ist zukunftsweisend. Dank dem Projekt 17 können Großmotorgüterschiffe nach europäischem Standard, also bis zu 110 m lange Frachtkähne mit bis zu 2,50 m Abladetiefe, Berlin erreichen. Bis 2008 sollen Brücken erhöht und der Teltowkanal verbreitert werden, so daß auch Schiffe mit zwei Lagen Containern übereinander den Westhafen anfahren können. Auch der Ausbau des Oder-Spree-Kanals und der Bau eines neuen Schiffshebewerks bei Niederfinow sind beschlossen.

Dabei ist gar nicht so unumstritten, ob sich der Transport per Schiff tatsächlich lohnt. Einer Studie des BDI zufolge müßten die Wasserwege für noch größere Schiffe ausgebaut werden, um wirtschaftlich zu sein. Wie schon zu Kaisers Zeiten kostet aber allein der Unterhalt der bestehenden Schleusenanlagen, Dämme undFahrrinnen die öffentliche Hand Unsummen. Zudem eignet sich der Transport per Schiff nur für Stück- und Schüttgut. Nach einem Positionspapier des BUND sind es eben die begradigten und verbreiterten Wasserwege, die die Schiffahrt in Deutschland sehr unökologisch machen, da diese einen massiven Eingriff in die Natur darstellten und auf diese Weise bereits 80 Prozent der schützenswerten Auenwälder geopfert worden seien. Außerdem erhöhte sich durch begradigte und befestigte Wasserläufe die Hochwassergefahr. Zu den reinen Unterhaltskosten der Wasserstraßen kämen also auch noch die Kosten für den Hochwasserschutz.

Es muß sich zeigen, ob sich die getätigten Investitionen lohnen, und dazu müssen die Kapazitäten erst einmal voll ausgelastet werden. Man darf gespannt sein, ob der Westhafen, immerhin der zweitgrößte Binnenhafen Europas, tatsächlich die internationale Drehscheibe des Ost-West-Verkehrs werden wird, als die er beworben wurde. Momentan wird nach Berlin auf dem Wasser nur polnische Steinkohle für die Berliner Kraftwerke eingeführt. Im Gegensatz zum Ende des 19. Jahrhunderts, als Berlin eine wachsende Industriestadt war, erschließt es sich nicht auf den ersten Blick, was heute an Schwergut nach Berlin eingeführt werden soll. Ein Hafen dieser Größe ist eigentlich nur in einer Industrieregion wie dem Ruhrgebiet sinnvoll.

Die Vergangenheit hat es schon oft gezeigt: In Berlin liegen Investitionen in zukunftsweisende Verkehrsmittel und schierer Größenwahn nah bei einander. Wie der Ausbau des Westhafens zu bewerten ist, wird sich bald herausstellen.

Moritz Feichtinger

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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